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Knockout 51 - Prozess 2 (2025)

3. Verhandlungstag – KO51 -Zweiter Prozess – 05.05.2025

Am dritten Verhandlungstag waren im Publikum wenige kritische Prozessbeobachter*innen anwesend, ein:e Journalist:in sowie Ulrike E., die Mutter vom gesondert Verfolgten Leon R., mit zwei Männern. Es wurde sogleich  mit der Zeugenbefragung des Polizeibeamten G. vom Bundeskriminalamt (BKA) begonnen, die zwei Stunden dauerte.

Polizeizeuge zu Überwachungsmaßnahmen gegen Marvin W.

Der 26-jährige Kriminalkommissar beim BKA wurde vom Vorsitzenden als Zeuge belehrt und legte seine Aussagegenehmigung vor, welche er auf Bitten des Vorsitzenden dabei hatte. Beweisthema der Befragung sollten Ermittlungsverlauf und Ermittlungserkenntnisse den Angeklagten Marvin W. betreffend sein, insbesondere aus der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) sowie den Überwachungs- und Durchsuchungsmaßnahmen.

Der Beamte G. war zuständig für Überwachungsmaßnahmen und die zweite Hausdurchsuchung bei Marvin W. am 14. Dezember 2023, im Zuge derer W. fest- und in Untersuchungshaft genommen wurde. Der Polizeibeamte G. stieß im Mai 2021, etwa drei Monate nach Beginn der Ermittlungen gegen Knockout51, zur Ermittlungsgruppe dazu und zunächst für verdeckte Maßnahmen eingesetzt worden. Dazu zählte auch die TKÜ. Ab Herbst habe er auch Personenüberwachungen von einem Kollegen übernommen, so auch die Überwachungsmaßnahmen gegen Marvin W. Auf Nachfrage der Verteidigung bestätigte der Zeuge, dass er seinen Bericht selbst strukturiert und verfasst habe.

Die Ergebnisse aus TKÜ-Maßnahmen wertete er nicht selbst aus, sondern übernahm diese aus Sachakten und fasste sie zusammen, dabei verwies er in seinem Bericht wiederum auf die jeweiligen Auswertungsberichte als Quelle. Auf Nachfrage des Vorsitzenden Blaszczak erklärte der Zeuge, dass die Telefonanschlüsse bereits dem Marvin W. zugeordnet gewesen seien, als er übernahm. Dies konnte seines Wissens nach per Anfrage bei der Bundesnetzagentur in Erfahrung gebracht werden, da die Nummern alle auf W.s Namen registriert waren. Durch Marvin W. seien zwei verschiedene Rufnummern in Benutzung gewesen, wobei er eine davon auch nach der ersten Hausdurchsuchung weiter genutzt habe. Es habe eine dritte auf den Angeklagten ausgegebene Rufnummer gegeben, die aber nicht genutzt worden sei. Zur Frage, inwiefern die zwei aktiven Nummern genutzt wurden, verwies der Zeuge auf die Berichte zur TKÜ.

Social Media-Auftritt von W.

Der Vorsitzende fragte weiter nach Erkenntnissen zu von Marvin W. genutzten Social Media Accounts. So wurden dem Angeklagten zwei Profile auf der Plattform Instagram zugeordnet. Diese wurden im Rahmen von Internetermittlungen durch die polizeiliche Fachdienststelle gesichtet und gesichert. Zum Ermittlungszeitpunkt sei das aktuell genutzte Profil ein öffentliches gewesen, an dessen Namen sich der Beamte G. vom BKA jedoch nicht mehr erinnerte. Aus der Akte wurde vorgehalten, dass es sich um ein Profil mit den Namen welding_master_51  handelte.

Screenshots von diesem Profil wurden ins Verfahren eingeführt und an die Leinwand im Saal projiziert. In der Profilbeschreibung des Accounts findet sich der Vorname des Angeklagten sowie „lvl 33 Eisenach“ gefolgt von Emojis, die die Farbkombination Schwarz-Weiß-Rot bilden. Auch veröffentlichte Bildbeiträge des Profils wurden in Augenschein genommen, die die Zuordnung zum Angeklagten unterstrichen. Ein Foto, veröffentlicht am 22. Mai 2021, zeigte einen Handrücken mit der offenbar frisch tätowierten Zahl „51“.

Ein weiterer Bildbeitrag vom 19. Januar 2023 zeigte augenscheinlich Marvin W., der sich mit Smartphone vor dem Gesicht im Spiegel fotografierte und dabei ein T-Shirt mit der Aufschrift „Leon raus Lina rein“ trägt. Das Shirt bezieht sich offensichtlich auf den vom Oberlandesgericht als Rädelsführer von Knockout51 verurteilten Leon R. und die im Rahmen des sogenannten „Antifa Ost“ Verfahrens verurteilte Lina E. Auch waren auf dem Profil mehrere Fotobeiträge zu sehen, die eine Person in Arbeitsmontur beim Schweißen zeigen.

Auf Bitten von Richter Blaszczak fasste der Zeuge G. die angeordneten strafprozessualen Maßnahmen gegen Marvin W. zusammen: So gab es mehrere Beschlüsse zur Telekommunikationsüberwachung gegen die besagten Rufnummern, gegen eine Email-Adresse und zwei Durchsuchungsbeschlüsse. Der erste Beschluss wurde mit einer Hausdurchsuchung am 6. April 2022 vollstreckt, der zweite am 14. Dezember 2023. An letzterem Termin wurde auch der Haftbefehl gegen Marvin W. vollstreckt.

Das E-Mail-Postfach sei dem Angeklagten Marvin W. bereits zugeordnet und überwacht worden, bevor der Beamte G. in die Ermittlungen einbezogen war. Diese Email-Adresse enthielt einen Bezug zum Nationalsozialismus, der sich sinngemäß mit „nationalsozialistischer Stürmer“ oder aber „Schlagbolzen“ übersetzen lässt, sowie die Zahl 1889, das Geburtsjahr von Adolf Hitler.

Auf Nachfrage der Vertreter der Generalbundesanwaltschaft bestätigte der Zeuge vom BKA, dass mit Beschluss vom 18. Januar 2021 die Überwachung eines Telegram-Accounts von Marvin W. über drei Monate angeordnet wurde, welcher am dem 27. Januar 2021 umgesetzt wurde. Der Beamte G. habe dies aber nicht selbst bearbeitet.

Die Festnahme von Marvin W.

Der befragte BKA-Beamte G. leitete die Durchsuchungsmaßnahmen gegen Marvin W. am 14. Dezember 2023. Richter Blaszczak bat ihn, zu schildern, wie und wo die Durchsuchung vonstatten ging, wie Marvin W. sich verhielt und was sichergestellt wurde. Gegen 5.15 Uhr morgens sei Marvin W. vom Mobilen Einsatzkommando (MEK) festgenommen worden, als dieser seinen Weg zur Arbeit antrat. Hier sei der Beamte G. selbst noch nicht dabei gewesen. Das MEK habe ihm Marvin W. etwa 15 Minuten nach der Festnahme an einem Autobahn-Rastplatz bei Eisenach übergeben. Dort habe er ihm den Durchsuchungsbeschluss und den Haftbefehl eröffnet und ihn als Beschuldigter belehrt.

Marvin W. habe sich „soweit kooperativ“ verhalten. Er habe zwar Kommentare geäußert, dass er die Maßnahmen nicht anerkennen würde und dass sich zeigen würde, dass die Vorwürfe und Ermittlungen wegen einer terroristischen Vereinigung „falsch“ seien. Zu dem Zeitpunkt war das Hauptverfahren gegen die vier Beschuldigten Leon R., Bastian Ad., Maximilian A. und Eric K. bereits im Gange. Der Beschuldigte Marvin W. habe die ihm vorgelegten Dokumente inklusive der Belehrung nicht lesen wollen, so habe der Beamte ihm die Belehrung vorgelesen. Weiter habe der Polizist ihm Kontakt zu einem Anwalt ermöglicht und den Versuch, den Arbeitgeber von W. zu erreichen – was schließlich über Anruf bei dessen Kollegen geschah – um Bescheid zu geben, dass W. festgenommen wurde.

Anschließend habe er Marvin W. einer Einheit der Bereitschaftspolizei Sachsen-Anhalt übergeben, welche den Transport zum Ermittlungsrichter in Karlsruhe übernahm. So war Marvin W. selber nicht bei der folgenden Durchsuchung seiner Wohnung anwesend. Das MEK habe Marvin W. durchsucht, dem Beamten G. dessen Portemonnaie und Handy übergeben sowie sechs Aufkleber mit der Aufschrift „Leon raus Lina rein“. Das Handy sei mit einem Code gesperrt gewesen, welchen Marvin W. dem Beamten G. nicht preisgeben wollte, dafür aber den Polizeibeamt:innen des MEK, welche wiederum den Code zum Entsperren an den BKA-Beamten weitergaben. In dem Mobiltelefon habe sich die SIM-Karte mit der laut TKÜ überwiegend von W. genutzten Rufnummer befunden.

Die zweite Hausdurchsuchung bei W.

Der Polizeibeamte G. sei nach der Übergabe mit Kolleg:innen zur Wohnung des Beschuldigten aufgebrochen. Gegen 6 Uhr habe das MEK diese mithilfe des Schlüssels von Marvin W. geöffnet. Das MEK habe dort keine Personen antreffen können, daraufhin dem Beamten G. die Wohnung zur Durchsuchung übergeben und die Örtlichkeit verlassen. Ein zunächst eingesetzter Sprengmittelspürhund habe nichts in der Wohnung gefunden. Warum der Sprengstoffhund eingesetzt wurde, konnte der Zeuge nicht beantworten, die Informationen für diese Entscheidung hätten ihm nicht vorgelegen.

Festgestellt und sichergestellt hingegen wurden mehrere Speichermedien, zwei Mobiltelefone, diverse Aufkleber, darunter solche mit dem Text „Leon raus Lina rein“, ein mit demselben Spruch bedrucktes T-Shirt sowie ein „Knockout51“ T-Shirt.

Kommentiert vom Zeugen G. wurden dann einzelne Fotos von der durchsuchten Wohnung in Augenschein genommen. Zu sehen waren die Wohnräume von Marvin W. mit den Fundorten der zwei Mobiltelefone. Eines davon sei dem Flieder Volkshaus zuzuordnen gewesen. Auch zu sehen war ein handschriftlicher Zettel mit der Überschrift „25.11. Liederabend“ und einer Liste von Namen und Geldbeträgen dahinter. Die Ermittler:innen ordneten den Zettel einer Eintrittsliste und den dazugehörigen Eintrittseinnahmen eines „Liederabends“ im Flieder Volkshaus zu, bei dem Marvin W. für Einlass und die Vergabe von Eintrittskarten zuständig gewesen sei.

Weitere Fotos der Durchsuchung zeigten eine Reichskriegsflagge mit Hakenkreuz, ein weißes Shirt mit dem Logo von „Knockout51“, zwei „Leon raus Lina rein“ T-Shirts, eines vom Flieder Volkshaus sowie ein Shirt und ein Pullover vom „Kampf der Nibelungen“, einer rechten Kampfsportveranstaltung. Dem Zeugen lägen keine Erkenntnisse vor, ob Marvin W. an diesem selbst teilgenommen hat.

Durchsuchungsfotos zeigten außerdem verschiedene Sticker mit rechten Slogans, die teils nicht sichergestellt wurden, darunter „Braun statt Gold. FCK Linke“ und „Love Football. Hate Antifa“. Ebenfalls gefunden und nicht sichergestellt wurde ein Kochbuch mit „rechten Gerichten“. Sichergestellt wurde eine CD mit der Beschriftung „Born to fight“, deren Inhalt dem Beamten G. nicht mehr bekannt war, aber die ihm zufolge im Zuge der Ermittlungen ausgewertet wurde.

Mehrere Fotos dokumentierten den Fund eines Motorola-Handys. Die Auswertung des Mobiltelefons habe gezeigt, dass es nach der ersten Hausdurchsuchung von Marvin W. am 6. April 2022 (siehe bei dem 20. VHT des 1. KO51-Verfahrens: https://prozessdoku-thueringen.de/2024/03/12/20-verhandlungstag-ko51-23-01-2024/) für nur wenige Monate in Benutzung war.

Chats voller Besorgnis

Auf dem Gerät seien mehrere Chats, darunter auch die „unmittelbare Reaktion“ von Marvin W. nach der jener ersten Durchsuchungsmaßnahme feststellbar gewesen. Auf Nachfrage des Richters erläuterte der Zeuge, dass Marvin W. hierüber Freunden und Familie von den Durchsuchungsmaßnahmen gegen ihn berichtet habe, darunter auch seinem Vater, welcher sich „nicht begeistert von dem Tatvorwurf“ gezeigt haben sein soll.

Auch eine Korrespondenz mit Ann-Kristin W., der damaligen Lebenspartnerin von Leon R., sei auf dem Telefon nachvollziehbar, in der sie sich „sehr besorgt“ über die Lage in Eisenach geäußert und Patrick Wieschke vorgeworfen habe, die „Gunst der Stunde“ zu nutzen, um die „Macht“ in Eisenach an sich zu reißen. Laut dem Polizeizeugen G. habe es demzufolge von Wieschke Bestrebungen gegeben, die Kneipe Bull’s Eye zu übernehmen, welche nach der Festnahme von Leon R. von dessen Mutter übernommen wurde. Ann-Kristin W. habe von Drohungen berichtet, dass Wieschke die Kneipe „aushungern“ wolle, wenn Ulrike E. diese nicht freigeben würde, woraufhin Marvin W. seine Unterstützung für ein solches Szenario zugesagt habe.

Eine Smart-Watch wurde auf dem Nachttisch des Beschuldigten gefunden, welche laut Auswertung mit einem der Mobiltelefone und einem Apple-Konto verbunden war. Hierauf wurden einige Fotoaufnahmen gefunden und sichergestellt.

Diskussion über Ablauf der Durchsuchung

Auf Nachfrage der Verteidiger von Marvin W. erklärte der Beamte, dass dem BKA die ungefähren Arbeitszeiten im Schichtdienst des Marvin W. durch die Auswertung von dessen Handydaten bekannt waren. Während Marvin W. – soweit sich der Zeuge erinnerte – der ersten Hausdurchsuchung am 6. April 2022 beigewohnt hätte, sei bei der zweiten Durchsuchung am 14. Dezember 2023 die Festnahme des Beschuldigten geplant gewesen. Daher hatte aus Polizeisicht die Vorführung beim Ermittlungsrichter Vorrang gegenüber Marvin W.s Recht auf Anwesenheit bei der Durchsuchung.

Auf die Verteidigerfrage, ob ein unabhängiger Durchsuchungszeuge benannt wurde, erwiderte der Zeuge G., dass ein Vertreter der Bundesanwaltschaft durchgängig anwesend gewesen sei. Das würde seiner Meinung nach einen ausreichenden Durchsuchungszeugen darstellen. Dieser sei auch im Durchsuchungsbericht, der eine Woche nach der Durchsuchung fertiggestellt war, namentlich erwähnt. Der Vorschlag für den Durchsuchungszeugen sei von der Bundesanwaltschaft selbst gekommen.

Die Verteidigung bemängelte dies und kritisierte, dass die Bundesanwaltschaft nicht neutral aus der Sicht von Beschuldigten ist und führte an, dass es Alternativen gäbe tatsächlich neutrale Zeug:innen dazu zu holen. Nach Entlassung des Zeugen äußerte die Verteidigung nochmal ihr Erstaunen und Bedauern, dass so aus ihrer Sicht der § 106 StPO bei der Durchsuchung und in Anwesenheit der Bundesanwaltschaft außer Acht gelassen wurde. Ein Beweisverwertungsverbot würde daraus für sie jedoch nicht resultieren.

Erkenntnisse zur Mitgliedschaft von Marvin W. bei Knockout51

Richter Blaszczak fragte den Kriminalbeamten gezielter nach Erkenntnissen aus den Maßnahmen bezüglich der Mitgliedschaft von Marvin W. bei Knockout51. So gab es mehrere Fotos, welche den „offiziellen Gründungstag“ von Knockout51 am 29. März 2019 zeigen sollten. Bei dieser Bezeichnung bezog sich der BKA-Beamte G. auf Aussagen des im vorherigen Gerichtsverfahren am Thüringer Oberlandesgericht verurteilten Eric K., welche im Rahmen der Fahrzeuginnenraumüberwachung dokumentiert wurden. Ein Foto, das in einem Online-Fotoalbum auf der Plattform flickr.com festgestellt und Leon R. zugeordnet wurde, wurde hierzu in Augenschein genommen.

Auf dem Foto zu sehen war das auf eine Wand gesprühte Logo von Knockout51, vor dem mehrere Personen posierten, deren Gesichter unkenntlich gemacht wurden. Der Zeuge erläuterte, dass auf dem Schwarzweiß-Foto Marvin W., Kevin N. und Eric K. zu sehen sind, die für die Kamera inszeniert ihre Fäuste ballen. Dies zeige das Original des Fotos, welches in Farbe und ohne verpixelte Gesichter bei der Auswertung des Mobiltelefons von Leon R. gefunden wurde. Die Auswertung der Metadaten habe ergeben, dass das Foto am 29. Mai 2019 aufgenommen wurde. Auf dem Mobiltelefon von Eric K. sei wiederum in der Notizen-App ein Link zu jenem Flickr-Album gefunden worden. Somit ordnete das BKA diesen digitalen Fund, die Äußerungen von Eric K., die gefundenen Fotos und das Online-Fotoalbum der Gründung von Knockout51 zu.

Der Vorsitzende bat den Zeugen, den Verlauf der Mitgliedschaft und der Tätigkeiten bei Knockout51 zu schildern, insbesondere auf Marvin W. bezogen. Der Beamte G. unterstrich, dass Marvin W. augenscheinlich seit dem Gründungstag Mitglied bei Knockout51 dabei und zunächst auch aktiv war. In einem Chatverlauf des Hauptangeklagten Kevin N. wurde Marvin W. als „Vollmitglied“ bezeichnet, was sich auf den Zeitraum 2019 und 2020 bezogen habe.

Zwischenzeitiger Ausschluss

Der Angeklagte Marvin W. sei im weiteren Verlauf jedoch weniger zu Trainings im Flieder Volkshaus erschienen, was zu Missfallen bei den tonangebenden Kevin N. und Leon R. geführt habe. Sie hätten Marvin W. zurechtgewiesen, dass er öfter zum Training zu kommen und sich nicht auf seiner Mitgliedschaft ausruhen dürfe, doch Marvin W. sei Chats zufolge den Ansprachen nicht nachgekommen.

In Konsequenz sei Marvin W. als Sanktion seine Knockout51-Kleidung entzogen worden, die er zu dem Zeitpunkt noch besessen habe – mit dem Hinweis, dass er sie wiederbekäme, sobald er sich wieder aktiv beteiligen würde. Leon R. habe dies per Chat mit einem „durch die Gruppe getroffenen Votums“ begründet. Auch die Gruppe sei per Chat über die Sanktion gegen Marvin W. in Kenntnis gesetzt worden. Ende 2021 habe Marvin W. wieder vermehrt am Training beigewohnt und die Mitgliedschafts-Kleidung zurückbekommen.

Auf Nachfrage erklärte der Polizeibeamte G., dass die Bekleidung ebenso wie die Tätowierung als Erkennungsmerkmal dienten. Kleidung mit der Aufschrift „Knockout51“, habe allen Vollmitgliedern zugestanden und Marvin W. war im Besitz solcher. Ebenso die auf der Hand tätowierte Zahl „51“ sei nur Vollmitgliedern vorbehalten gewesen. Auf die Frage, wer darüber bestimmte, wer sich dieses Erkennungszeichen tätowieren lassen darf, antwortete der Zeuge, dass Leon R. Äußerungen getätigt habe, denen zufolge er „eingefädelt“ hätte, dass Marvin W. sich die 51 durch den mutmaßlichen Knockout51-Unterstützer Eric R. auf die Hand tätowieren ließ. Marvin W. habe ursprünglich noch ein Hakenkreuz dazu haben wollen, auf Abraten von Leon R. hin habe er sich jedoch dagegen entschieden.

Weiteres Befragungsthema war die Teilnahme von Marvin W. an Demonstrationen und Schulungen. Der Zeuge führte hierzu mindestens drei Kundgebungen an, darunter ein „Querdenken“ Protest in Leipzig und eine Demo in Kassel. Mitunter waren bei diesen Leon R., Bastian Ad., Lauro B. und bei einigen auch Kevin N. dabei.

Teilnahme von Knockout51 an rechten Demos

Bei einer Querdenken-Demonstration in Leipzig am 7. November 2020  hätten neben Marvin W. auch seine Mitangeklagten Kevin N. und Patrick Wieschke sowie der im letzten Knockout51-Verfahren verurteilte Bastian Ad. teilgenommen. (Bereits in der Beweisaufnahme des vorherigen Verfahrens wurde diese Demonstration ausführlich thematisiert (siehe den Bericht zum 42. VHT: https://prozessdoku-thueringen.de/2024/06/19/42-verhandlungstag-ko51-30-04-2024/).

Es sei im Verlauf dieses rechten Protests mutmaßlich zu einem Glasflaschenwurf durch Bastian Ad. in Richtung der Polizeikräfte in Schutzausrüstung gekommen, wobei ein Journalist von der Flasche getroffen worden sei. In der TKÜ wurde in einer Äußerung festgestellt, dass Marvin W. dort ebenfalls eine Glasflasche wurfbereit mit sich getragen habe. Bastian Ad. habe ihm geraten, die Flasche in seine Hosentasche zu stecken, um nicht aufzufallen. Leon R. sei hier nicht anwesend gewesen, sondern in Eisenach geblieben. Auch eine Erkenntnis aus der TKÜ sei gewesen, dass Kevin N. in Leipzig die „Führung übernommen“ habe.

Da er zur Frage, ob ihnen Aktionen von Knockout51 bei dieser Demo, Auseinandersetzungen mit Linken oder der Polizei bekannt geworden seien, nichts einfiel, wurden dem Zeugen Zitate aus einem Gruppenchat in der Akte vorgehalten, so eine Nachricht von Kevin N. am Abend des 7. Novembers 2020, dass dies „eine der geilsten Demos seit langem“ gewesen sei, woraufhin Marvin W. ergänzte: „mit 20, 30 Leuten […] schön Zecken gejagt“.

Richter Blaszczak sprach den BKA-Beamten auf eine weitere Demonstration in Leipzig an. Dieser erinnerte sich, dass wenige Wochen später, am 21. November 2020 Beschuldigte an einem weiteren Protest teilnahmen. Hier seien Marvin W., Patrick Wieschke und dieses Mal auch Leon R. anwesend gewesen, Kevin N. seines Wissens jedoch nicht. Hier sei es zu „Auseinandersetzungen zwischen Linken und Rechten“ gekommen. Auf Fotos kam es wohl erkennbar zum Wurf eines Straßenschildes vonseiten rechter Demonstranten, was die Auseinandersetzung weiter befeuert habe. Davon gäbe es im Vermerk ein Foto.

Inwieweit die Angeklagten daran mitbeteiligt waren, ginge nicht klar aus Überwachungsmaßnahmen hervor. Hierzu wurde dem Zeugen noch ein Vermerk aus der Akte vorgehalten. So seien nach Ankunft ihres Zuges im Leipziger Bahnhof die Beschuldigten Marvin W., Lauro B., Patrick Wieschke, Leon R., Bastian Ad. einer Kontrolle unterzogen und bald darauf wieder aus der Polizeimaßnahme entlassen worden. Der Polizeibeamte G. wies auf überwachte Äußerungen zwischen Leon R. und Bastian Ad. am Abend nach dem Aufzug hin. Laut diesen hätten insbesondere die Leon R. und Bastian Ad. vorgehabt, Linke schwer zu verletzten. In den durch die TKÜ festgehaltenen Gesprächen war die Rede davon, dass sie gerne „Zecken kalt gemacht“ hätten und „auf sie einschlagen […] bis der Kopf platzt“.

Auch bei einer Demonstration in Kassel am 20. März 2021 sei Marvin W. anwesend gewesen, an mehr erinnerte Beamter G. sich jedoch nicht mehr. Der Richter hielt ihm vor, dass Leon R. dabei eine Körperverletzung zugeordnet wurde. Dieser habe eine anwesende Person als links identifiziert aufgrund eines Ansteckers. Ob Marvin W. an der Körperverletzung beteiligt war, war dem Zeugen nicht bekannt. Auch Kevin N. sei dabei gewesen, denn laut Vermerk sei Marvin W. als Beifahrer im Auto von Kevin N. mitgefahren.

Patrick Wieschke sei bei dem Protest nicht festgestellt worden. Bei der Demonstration sei ein Banner entrollt und von der Polizei festgestellt worden. Mehr Details waren dem Zeugen nicht erinnerlich, weshalb ihm aus der Akte vorgehalten wurde: Laut Vermerk eines Kriminaloberkommissars handelte es sich bei der Gruppe um Marvin W., Lauro B., Kevin N., Leon R. und Bastian Ad. und das entrollte Banner trug die Aufschrift „Heimatschutz statt Maskenschutz“.

Waffenschulungen im Flieder Volkshaus

Als nächstes thematisiert wurde eine Schulungsveranstaltung im Flieder Volkshaus am 12. Juni 2021. (Auch diese war bereits Inhalt des letzten Knockout51-Verfahrens am Thüringer Oberlandesgericht (siehe den Prozessbericht zum 28. Verhandlungstag: https://prozessdoku-thueringen.de/2024/04/23/28-verhandlungstag-ko51-05-03-2024/). Bei der Schulung sei es um verschiedene Waffen gegangen, Marvin W. habe bei der Veranstaltung Fotos gemacht, so der Zeuge.

Hierzu wurden Lichtbilder in Augenschein genommen. Darauf zu sehen waren Innenräume des Flieder Volkshaus, an eine Wand mit einem Beamer projiziert ist offenbar eine Präsentationsfolie zu lesen „Volk und Staat. Wie wir das sehen“, darauf blicken einige Zuschauende, die mit dem Rücken zur Kamera sitzen, während auf einem Tisch hinter ihnen diverse Waffen ausgestellt liegen, u.a. Messer und ein Compoundbogen.

Offenbar als Redner steht Leon R. vor dem Publikum. Auf Nachfrage des Richters, was dort geschult wurde, gab der BKA-Beamte G. an, dass die „Verteidigung gegen links“ thematisiert worden sei sowie die Zulässigkeit und Verbote von Waffen. Den Ermittler:innen sei ersichtlich gewesen, dass Patrick Wieschke ebenfalls dort referiert habe.

Rolle im Verein des Flieder Volkshauses

Zu Erkenntnissen aus den Überwachungsmaßnahmen führte der Beamte weiter aus, dass sich Marvin W. nach der Festnahme von Rädelsführer Leon R. „bestürzt“ gezeigt habe. Es habe sich bei Leon R. demnach um seinen „besten Kumpel“ gehandelt und wichtige Kontaktperson. In Telefongesprächen tauschte Marvin W. sich mit Patrick Wieschke darüber aus, wie man die Jugendgruppe von Knockout51 zusammenhalten und weiterführen könnte.

Wieschke habe die Idee ins Spiel gebracht, Marvin W. im Flieder Volkshaus weiterzubeschäftigen. W. war bereits seit 2019 Mitglied im zugehörigen Verein. Von Wieschke habe er die Schlüssel zum Flieder Volkshaus erhalten, so ginge es aus der Auswertung der TKÜ-Maßnahmen hervor. Marvin W. sei insbesondere mit dem „Saalschutz“, also Security-Aufgaben und Einlasskontrollen betraut worden, wie es schon vorher durch Knockout51 getätigt worden sei. Im Zuge der Ermittlungen wurde bei mehreren Veranstaltungen 2022 und 2023 festgestellt, dass Marvin W. anwesend war und entsprechend eingesetzt wurde.

Die Staatsanwälte hielten dem Zeugen hierzu Daten von diversen Veranstaltungen und Konzerten zwischen Sommer 2022 und Herbst 2023 vor, an denen Marvin W. eingesetzt worden sei. Ein Großteil der Informationen sei laut dem BKA-Beamten G. aus Chatverläufen gezogen worden, teils aus Fotoaufnahmen, die im Internet frei verfügbar gewesen seien. Neben Marvin W. hätten weitere Personen der „Jugend“ von Knockout51, darunter Florian O. und Julian M., auch an Security-Aufgaben teilgenommen. Auch von einer Hausmeistertätigkeit des Marvin W. im Flieder Volkshaus sei in der Anklage die Rede, wozu der Polizeizeuge jedoch keine Angaben machen konnte.

Im Laufe des Jahres 2023 wurde Marvin W zum Vorstandsmitglied des Flieder Volkshaus e.V. gewählt. Marvin W. erhielt ein Handy vom Flieder Volkshaus. Um den Verkauf von Eintrittskarten mit zu organisieren und Einnahmen durch den Verkauf einzusehen, hatte Marvin W. auch Zugriff auf das Paypal-Konto des Vereins. Dies wurde im Rahmen der Chatauswertung festgestellt.

„Kiezstreifen“ und nationalsozialistische Graffiti

Zur Beteiligung von Marvin W. an den sogenannten „Kiezstreifen“ erklärte der Zeuge, dass diese aus den Reihen von Knockout51 heraus stattgefunden haben. Mit Autos, die den Mitgliedern zu Verfügung standen seien Eisenacher Straßen, insbesondere um die Wohnorte der Mitglieder bestreift worden. Marvin W. habe zwar kein Auto und keine Fahrerlaubnis besessen, aber als Beifahrer an den Streifen teilgenommen.

Auf die Frage nach dem Sinn der Kiezstreifen antwortete der Zeuge G., dass Knockout51 bestrebt gewesen sei, einen „Nazi-Kiez“ in Eisenach zu etablieren, so hätten die Beschuldigten in Eisenach auch nah beieinander gewohnt. Der Polizeibeamte deutete, dass die Kiezstreifen dazu gedient hätten, „nach dem Rechten“ zu sehen und „auf dem Stand zu bleiben“, was in Eisenach passiert auf Straßen. Richter Blaszczak fragte, ob man sich womöglich damit vor Angriffen habe schützen wollen, was der Zeuge kurz angebunden bejahte – auch das hätten Gespräche ergeben.

Weiter habe Marvin W. an „Graffiti-Sprühereien“ teilgenommen. Mindestens einmal sei „Sieg Heil“ gesprüht worden, wobei nicht klar war, ob W. persönlich gesprüht oder aber er nur an der Aktion teilnahm.

Nächtliche Fahrt nach Erfurt

Als nächstes fragte das Gericht nach einer Fahrt nach Erfurt in der Nacht vom 25. auf den 26. September 2021. (Auch diese war bereits im Verfahren gegen Leon R. Thema (siehe den damaligen Prozessbericht: https://prozessdoku-thueringen.de/2024/06/03/33-verhandlungstag-ko51-25-03-2024/).) In der Nacht habe eine Bekannte Kontakt mit Leon R. aufgenommen und ihn darum gebeten, sie von einer Veranstaltung aus Erfurt abzuholen. Leon R. habe die Bekannte der linken Szene zugeordnet und einen Hinterhalt für einen Angriff vermutet. Daraufhin habe Leon R. die mutmaßlichen Mitglieder von Knockout51 über die Kontaktaufnahme informiert – darunter Marvin W. und Kevin N., welcher in Erfurt wohnte, sowie Maximilian A.

Daraufhin hätten sich Leon R., Maximilian A. und Marvin W. mit Waffen, mit Messern und einer Axt, ausgerüstet, die sie im Auto deponiert haben sollen. Leon R. habe sich mit den beiden in seinem Auto auf den Weg nach Erfurt gemacht und seine Bekannte darüber informiert. Diese habe die Abholung da längst abgesagt. Die Beschuldigten hätten sich dennoch auf den Weg gemacht und in Erfurt Kevin N. eine weitere Person angetroffen. Sie seien durch Erfurt gefahren, unter anderem vorbei an einem Zentrum, das sie der linken Szene zuordneten.

Zu Kontakt mit der Bekannten oder aber einer Auseinandersetzung mit Linken sei es jedoch nicht gekommen und so seien sie unverrichteter Dinge wieder nach Hause gefahren. An dem linken Zentrum seien sie laut dem Zeugen G. „gezielt“ vorbeigefahren, um zu beobachten, wer das Haus verlässt und „was sich dort tut“. Dies gehe aus Äußerungen aus der Fahrzeuginnenraumüberwachung hervor. Schließlich sei aber sonst nichts unternommen worden. Für umfassendere Informationen verwies der Zeuge G. auf den Gesamtbericht seiner Kollegin R.

Schießtrainings in Tschechien und Waffenherstellung

Dem Zeugen waren mehrere Schießtrainings im Kontext von Knockout51 erinnerlich. Ein genaues Datum, an dem Marvin W. teilnahm, war ihm jedoch nicht bekannt. In einem Gruppenchat habe Leon R. angefragt, wer daran interessiert sei, an Schießtrainings teilzunehmen, und diejenigen Interessierten gebeten, sich zu melden. Marvin W. hätte hierauf abgesagt.

Jedoch lagen Nachrichten des gesondert Verfolgten Marc B. vor, welcher sich lustig machte, dass Marvin W. bei einem vergangenem Training Schießscheiben aus der Halterung befördert habe. Insofern war Marvin W. mindestens einmal dabei, so die Aussage des BKA-Beamten G. Es drehte sich dabei um einen professionellen Schießstand in Tschechien an dem die Beschuldigten kostenpflichtig geschossen hätten.

Marvin W. soll Leon R. des weiteren bei der Herstellung einer Schusswaffe geholfen haben. Hierzu verwies der Polizeibeamte auf einen ausführlichen Bericht seines Kollegen B. Laut Fahrzeuginnenraumüberwachung sei Leon R. im Frühling 2021 bestrebt gewesen, eine Schusswaffe mittels 3D-Drucker herzustellen. In einem Gespräch im Auto seien Marvin W. und Leon R. eine Bauanleitung durchgegangen.

Da es Leon R. nicht möglich gewesen sei, alle Waffenteile selbst herzustellen, bat er Marvin W. um Hilfe, die Schweißarbeiten am Waffenverschluss durchzuführen. Kurze Zeit später, womöglich bereits am Folgetag, habe Marvin W. telefonisch bekannt gegeben, dass die Arbeiten fertig seien und eine Übergabe möglich. Mit dem 3D-Drucker sollte eine Schusswaffe des Typs FGC-9-EG hergestellt werden. Bei dieser Maschinenpistole handelte es sich um eine Waffe, die gezielt für die Produktion mit dem 3D-Drucker gedacht ist.

Bei der Durchsuchung seien bei Marvin W. keine Waffenteile gefunden worden, jedoch ein etwa 45 cm langes Vollprofilstahlrohr, welches laut Zeuge nach den Rohren aussah, die für den Waffenverschluss beim gesondert Verfolgten Maximilian H. genutzt und polizeilich sichergestellt wurden. Jenes Rohr wurde dem BKA zur Untersuchung übergeben. Der Zeuge G. verwies auf den Untersuchungsbericht. Seiner Erinnerung nach habe das Stahlrohr von Material und Durchmesser aber zu dem Waffenteil gepasst.


Nach etwa zweistündiger Befragung wurde der Bundeskriminalbeamte G. unvereidigt entlassen.

Gründung von Knockout51

Nach der Zeugenbefragung wurde sich weiter durch Beweismittel entlang von Ermittlungsthesen der Anklage durchgearbeitet, es wurde mit der Fußnote 115 fortgefahren. Vorrangig wurden Audioaufzeichnungen aus der Telekommunikations- und Fahrzeuginnenraumüberwachung abgespielt und Chatverläufe verlesen. Wegen technischen Problemen und Verwirrungen ging es mit dem Abspielen und Öffnen von Dateien nur langsam voran.

Diverse überwachte Gespräche wurden abgespielt, in denen es um die Gründung von Knockout51 durch Leon R., Kevin N., Maximilian A. und Eric K. ging. Sie wurden in Gesprächen als Gründungsmitglieder benannt oder nannten sich selbst so. Marvin W. bezeichnete die anderen so, nannte sich selbst dabei jedoch nicht, was von Leon R. unwidersprochen blieb.

„Kämpfen können, kämpfen wollen“

In einem Gespräch im November 2021 in seinem Auto breitete Leon R. vor dem ebenfalls Beschuldigten Dennis K. aus, warum er als eines der „Gründungsmitglieder“ Knockout51 ins Leben gerufen hatte – während im Hintergrund das zutiefst antisemitische Lied „Blut muss fließen“ lief, zu dem die beiden mitsingen. Das Gespräch wurde bereits im ersten Prozess am Oberlandesgericht (siehe den damaligen Bericht übe den Prozesstag: https://prozessdoku-thueringen.de/2024/02/02/13-verhandlungstag-20-12-2023/) eingeführt. Leon R. führte auf Dennis K.s Frage hin aus, dass immer mehr Boxclubs keine Nazis mehr hätten trainieren wollen, was sie dazu bewegt habe, unter sich zu trainieren.

Während man beim Nationalen Aufbau Eisenach oder Mitglied bei den Jungen Nationalisten sein könne, fehle es am „körperlichen“. Hier gäbe es Knockout51 mit Voraussetzungen und „Grundsätze“, die Anwärter zu erfüllen hätten: „Kein Drogenabhängiger, kein Alkoholiker“, man müsse „kämpfen können, kämpfen wollen“. Ein Körpergewicht von mindestens achtzig Kilogramm sei Pflicht, man müsse eine Kampfsportart grundlegend beherrschen und im sogenannten „Anwärterjahr“ an mindestens 48 Trainings teilnehmen. Leon R. betonte, es sei wichtig, eine „Nazigruppe“ zu haben, „die wirklich Ansprüche“ hat, bei der Mitglieder nicht nur sagen sondern „unter Beweis stellen“ müssen, dass sie rechts sind.

Auf die Erwiderung von Dennis K., dass sich herumspräche, dass es beim Training von „Knockout“ darum ginge, nachts durch die Straßen zu ziehen und „Leute zu boxen“, entgegnete Leon R., dass man trainiere, um sich „verteidigen“ zu können, zum Beispiel wenn man bei der Kirmes „Zecken“ gegenüber stünde.

Rechtsanwalt Richter, ein Verteidiger von Marvin W., und Rechtsanwalt Picker, Verteidiger von Kevin N., gaben Erklärungen nach §257 StPO ab: Der Sinn des Kampfsports sei gewesen, sich gegen vermutete und erwartete Angriffe zu wehren. Es sei um rein defensives Verhalten gegangen.

In einem weiteren aufgezeichneten Gespräch aus dem Fahrzeug von Leon R. vom 26. Dezember 2021, sollen wieder Leon R. und Dennis K. sowie Marvin W. zu hören sein. Als „Gründungsmitglieder“ wurden Leon R., Kevin N. und Maximilian A. genannt. Weiterhin sagte Leon R. in diesem Gespräch, dass er und u.a. der Braunschweiger Neonazi Lasse R. sich mit einem „Antifa-Rapper“ zur körperlichen Auseinandersetzung verabreden wollten, dieser aber abgesagt habe.

Bezüge zu anderen rechtsextremen Gruppen

Es folgte eine Gesprächspassage aus der Fahrzeuginnenraumüberwachung, an der Eric K. und seine damalige Partnerin beteiligt gewesen sein sollen. Sie unterhielten sich darüber, dass um 2016 herum die „Hochzeit“ der jungen Eisenacher Neonaziszene gewesen wäre, in der sie sich häufig in der Kneipe „Swing“ in Eisenach getroffen hätten. Eric K. habe es zunächst die „Jugendoffensive Wartburgkreis“ gegeben, bis diese seiner Behauptung nach verboten wurde (Anmerkung: Ein Verbot der Gruppierung ist nicht bekannt, lediglich deren damalige Beobachtung durch das Amt für Verfassungsschutz.) und man den „Nationalen Aufbau“ gegründet habe. Auch dieser sei als kriminelle Vereinigung verboten worden. (Anmerkung: Auch hier liegt kein Verbot vor. Soweit bekannt, löste sich die Gruppe lediglich aufgrund von der Befürchtung eines drohenden Verbots selbst auf.)

Wegen Verbindungen von Leon R. zur „Atomwaffen Division“ und seinen Veröffentlichungen auf einer rechten Netzwerkseite, auf der Anleitungen zur Bombenherstellung hochgeladen wurden, sei der „Terrorverdacht“ erhoben worden. Laut Eric K. sei 2019 – wobei er hier in der Wir-Form spricht Knockout51 gegründet worden, was zweieinhalb Jahre bis zur Auflösung existiert habe und fünfzehn Mitglieder umfasst habe. Nach der Auflösung „sind wir wieder zusammengekommen“, führte Eric K. weiter aus. Er selbst habe den Instagram-Account betreut. Leon R. sei auf ihn zugekommen und habe ihm gesagt, dass er wegen des Verfahrens gegen Knockout51 auf Instagram öffentlich die Auflösung bekanntgeben solle.

Rechtsanwalt Bauerfeind gab hierzu eine Erklärung ab, in der er bemängelte, dass das gesprochene Wort und das protokollierte Wort aus den Überwachungsmaßnahmen nicht übereinstimmen würden. Auch wies er auf die „gefärbte Erzählung“ von Eric K. hin, da die genannten Verbote bzw. Verfahren nie stattgefunden hätten.

Eric K. und das Flickr-Album

Weiter ging es mit der Anklagethese, dass es Erkenntnisse vorliegen würden, dass Ende 2018 / Anfang 2019 die Gruppierung möglicherweise schon bestanden habe. Das wurde auf ein Schreiben vom Verfassungsschutz vom 14. Januar 2020 gestützt. Laut Richter Blaszczak seien zwar Fotos enthalten, er würde aber für die These keine Hinweise erkennen, ebenso sehe er es bezüglich eines Verfassungsschutz-Schreibens vom 13. Juli 2020. Die Schreiben wurden nicht als Beweismittel eingeführt.

Auf den Mobiltelefonen von Leon R. und Erik K. wurden Fotos gefunden, die laut Anklage einerseits Kevin N., Eric K. und weitere Personen in „Knockout51“-Shirts und andererseits vor einem Graffiti mit dem Logo der Gruppierung posieren zeigen. Ein Gespräch aus der Innenraumüberwachung aus dem Fahrzeug von Eric K. wurde als Beweismittel hierzu abgespielt, in dem Eric K. offenbar einer zweiten Person Fotos zeigte und diese kommentierte. Laut Ermittlung soll sein Gesprächspartner Enrico K. gewesen sein.

Erheitert berichtete Eric K. zunächst von einer nächtlichen betrunkenen Situation, in der sie in Eisenach eine „Straße abgesperrt“ und eine Person „Halt, stehen bleiben, Gestapo!“ gerufen habe. Dann erklärte Eric K., dass sie auf der Foto-Plattform Flickr einen Account und ein Album „Skinhead Jugend Eisenach“ hätten. Darin befänden sich auch mehrere Jahre alte Fotos.

Eric K. beschrieb im Schnelldurchlauf Bildaufnahmen, die an diversen Orten und politischen rechten Versammlungen und Aktionen gemacht worden seien: „Da sehen wir aus wie Antifa, komplett vermummt“, „da waren wir in Paris“, „hier mit Steinschleudern“, „Nationale Sozialisten, bundesweite Aktion“. Weiter zählte Eric K. Anlässe auf wie „Eisenach gegen Zirkus, Tierschutz“, „Plauen, da war Leon vorne mit Funkgerät. Das war alles so durchorganisiert.“

Eisenacher Vorläufergruppen und Gründungstag

Auch erzählte Eric K. – anscheinend bezugnehmend auf die Jugendoffensive Wartburgkreis – sie hätten damals noch „JOWAK“ oder „JUWAK“ gehießen und kommentierte weiter gemeinsame Aktivitäten von Fotos: „Gotha“, „Berlin-Spandau Rudolf-Heß-Marsch“, „das war in Kiew“, „die erste Demo von uns, organisiert in Eisenach 2016“, „1. Mai, da haben wir Graffiti gemacht“, zweimal „Heldengedenken“, „zum Tiwaz gefahren“, „Tschechien“, „Demo vor dem RosaLuxx“ und eine Foto, das Eric K. beim „Kämpfen“ gegen zwei Personen auf einer Wiese zeige.

Laut Eric K. war auch Thorsten Heise auf einem der Demofotos zu sehen. So schweiften die beiden Gesprächspartner ab und redeten über eine große Immobilie von Thorsten Heise, die er für „Kameradschaftstreffs, Liederabende“ zur Verfügung stelle und in dessen Mitte eine „riesengroße“ Schwarze Sonne eingelassen sei.

Bei der Fotoschau kam Eric K. schließlich auch konkreter auf die Gründung von Knockout51 zu sprechen: „Da haben wir Knockout gegründet, haben gegrillt, haben das Graffiti gesprüht. Natürlich alle verpixelt außer ich.“ 

Zu den Aussagen in der Audioaufnahme wurden Lichtbilder als Belege in Augenschein genommen. Der polizeiliche Vermerk zu der Fotoserie bestätigte, was bereits der heute befragte Polizeibeamte geschildert hatte: Am 6. April 2022 wurden die Wohnräume von Eric K. in Eisenach mit Beschluss des Ermittlungsrichters vom BKA durchsucht. Von dem iPhone, welches dabei sichergestellt wurde, wurden Daten gesichert und aufbereitet und als Notiz der Link zu besagtem Album „Skinhead Jugend Eisenach“ bei Flickr gefunden, welcher am 5. Dezember 2019 auf dem Smartphone gespeichert wurde. Das Album enthielt 72 Fotos, die zwischen dem 2. Juni 2017 und Dezember 2019 hochgeladen und von einem Account mit dem Namen x-florianmüller-x erstellt worden seien.

Mehrere Fotos aus dem Album wurden sodann gezeigt: Ein Schwarzweiß-Foto von fünf Personen mit verpixelten Gesichtern und mit einem Hund vor einem „Knockout51“ Graffiti wurde gezeigt, welches am 5. Dezember 2019 in dem Flickr-Album hochgeladen worden sei. Dasselbe Foto habe die Polizei auf dem Mobiltelefon von Leon R. gefunden – in Farbe, unverpixelt, auf dem Kevin N., Eric K. und Marvin W. vor der Wand posierend erkennbar waren.

Weiter wurden Aufnahmen gezeigt von einer Veranstaltung im Flieder Volkshaus, bei der projiziert an eine Wand „Jugend für Eisenach“ zu lesen und Patrick Wieschke als Redner zu erkennen war. Die Fotos, auf denen weitere Personen unkenntlich gemacht worden waren, seien am 5. Dezember 2019 hochgeladen und dieselben Aufnahmen ebenfalls auf dem Mobiltelefon von Eric K. sichergestellt worden, wobei hier Eric K. und Kevin N. als Teilnehmer identifiziert werden konnten.

Ein weiteres Foto wurde gezeigt, darauf zu sehen waren die sich im Bodenkampf befindenden Eric K. und Leon R. in „Knockout51“-Shirt. Ein weiteres Bild zeigte fünf Männer in einem Trainingsraum im Keller, davon zwei Personen mit „Knockout51“-Shirt, deren Gesichter unkenntlich gemacht wurden. Auch hier fand sich das mutmaßlich originale Version des Fotos, auf dem Kevin N., Leon R. und Maximilian A. in „Knockout51“-Shirt sowie Eric K. erkennbar waren, wiederum auf dem Mobiltelefon von Leon R.

Auch Erkenntnisse zum Instagram-Account knockout_51 wurden aus einem Vermerk vorgelesen und ein Screenshot vom Profil in Augenschein genommen. Hierüber sei die Vereinigung ab dem 1. April 2019 nach außen aufgetreten. An diesem Tag wurde auf Instagram die besagte verpixelte Variante des Gruppenfotos mit der Wand, auf die das Logo von Knockout51 aufgebracht worden war, als erster Beitrag des Accounts veröffentlicht. Im Beitrag zu lesen war „Kampfgemeinschaft“ und „Pain is temporary but honor is forever“, was sich als Schriftzug auch auf Kleidung von Knockout51 wiederfindet.

Kampfsporttraining im Flieder Volkshaus

Weiter ging es um die Nutzung des Flieder Volkshaus in Eisenach als Trainingsstätte für den Kampfsport von Knockout51. Zunächst wurde ein überwachtes Telefonat von Leon R. mit einem Michael J. aus November 2022 abgespielt. Sie unterhielten sich darin über Verschiedenes, so auch über anstehende rechte Veranstaltungen und Proteste. Es ging um die vergangene und geplante Teilnahme an „Corona-Protesten“ u.a. in Leipzig und körperliche Auseinandersetzungen mit Polizei und politischen Gegner:innen. Beide berichteten von neuen Mitgliedern in ihren Reihen und die (fehlende) Disziplin und Teilnahme am Training. Sie tauschten sich über ihre politische Vernetzung in Thüringen aus.

Leon R. war von dem Gedanken angetan, ein bundesweites Neonazi-Zeltlager zu veranstalten, zu dem man „alle Leute aus Thüringen ranholen“ solle, da es „ja überall welche“ gäbe. Leon R. sprach sich dafür aus, dass die Vernetzung über Grenzen und Abneigungen gegen Gruppen oder Parteien wie NPD oder Der Dritte Weg hinweg funktionieren müsse. Auch wenn er die NPD nicht möge, mache Wieschke und die Partei vor Ort in Eisenach „gute Arbeit“. Michael J. ergänzte, dass es sowohl „friedliche“ als auch „militante“ rechte Akteure auf der Straße bräuchte. Leon R. berichtete, dass im anhaltenden Lockdown intensiv ihren Kampfsport vor Ort weiter betreiben würden.

Das Kampfsporttraining soll anfangs von Leon R. zusammen mit Kevin N. angeleitet worden sein und später mit Benjamin S., der über langjährige Kampfsporterfahrung verfügte. Hierzu wurden Telefonate zwischen Leon R. und Benjamin S. aus Herbst 2021 angehört. Die beiden unterhielten sich darüber, wer zum Training erscheinen würde und verständigten sich an einem Termin darauf, ein „Anfängertraining“ zu machen. Ein Chatverlauf zwischen Leon R. und Kevin N. dokumentierte ebenfalls Absprachen zur Anleitung des Trainings.

Auf zwei in Augenschein genommenen Videos, welche auf dem Mobiltelefon von Leon R. gesichert wurden, waren Leon R. und Bastian Ad. in „Knockout51“-Kleidung beim Boxtraining im Flieder Volkshaus zu sehen. Auf weiteren Fotos posierten Leon R., Nils A., Kevin N. ebenfalls im Trainingsraum im Flieder Volkshaus. In einer Überwachungsaufnahme aus dem Auto von Leon R. Ende 2021 schilderte dieser seine Zufriedenheit mit dem Stand der Gruppe. Es seien zehn bis fünfzehn Personen aktiv, wobei er u.a. „Nils“ und „Eric“ namentlich nannte und ergänzte, „die Jugend [mache] schon ihr Ding“.

Verwertungswidersprüche gegen alle Überwachungsmaßnahmen

Wegen technischer Probleme wurde die Einführung einiger Chats und Sprachnachrichten auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Hier sollte es um den Raum im Flieder Volkshaus gehen, den Knockout51-Mitglieder für ihr Training ausgestattet haben sollen, und darum, dass es sich dabei nicht nur um reines Kampfsporttraining gehandelt habe, sondern vielmehr die Teilnehmer auf den „Kampf auf der Straße“ vorbereiten werden sollten.

In weiteren Tonaufnahmen ging es darum, dass die Vereinigung über Schlüssel für das Flieder Volkshaus verfügt habe. Dokumentiert wurde durch die Überwachung diverser Telefonate auch die wiederholte Suche nach den vergessenen und verloren gegangenen Schlüsseln unter den mutmaßlichen Mitgliedern. Auch habe die Gruppe eine monatliche Miete im Flieder Volkshaus zu entrichten gehabt und die Kosten für Training, Raummiete und Ausrüstung seien durch Mitgliedsbeiträge finanziert worden, so die Anklage.

Mehrere Verteidiger legten wiederholt Widerspruch gegen die Verwertung von allen Beweismitteln aus den Überwachungsmaßnahmen ein, da hier nicht-öffentlich gesprochenes Wort aufgezeichnet wurde und ihnen der legitimierende richterliche Beschluss dafür nicht vorliege. Verteidiger Picker schloss sich dem Widerspruch nicht an, da er davon ausgehe, dass der Beschluss existiere. Die Vertreter des Generalbundesanwalts betonten, dass solche Beschlüsse vorliegen, traten dem Verwertungswiderspruch entgegen und schlugen vor, die Beschlüsse bald einzuführen, um diese Diskussion für die Zukunft zu vermeiden.

Kevin N. möchte wieder studieren

Zum Schluss sprach die Verteidigung von Kevin N. den Senat noch auf die Haftsituation des in U-Haft sitzenden Angeklagten an. Kevin N. äußerte Interesse, sein Studium wieder aufzunehmen. Ihm sei aber aktuell die Kontaktaufnahme aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) nach außen verboten, was diese so auslegen würde, dass sie auch keinen Kontakt zu Bildungsträgern führen könne. Daher bat Verteidiger Bauerfeind um eine explizite Bestätigung für die Bildungsbeauftragte der JVA, dass sie mit Hochschulen Kommunikation für Kevin N. führen könne.

Dieser sagte selbst, es ginge um Kontakt zur Fachhochschule oder einer anderen Möglichkeit für ein Fernstudium an einer Hochschule. Die Bundesanwaltschaft erwiderte, dass die Bildungsbeauftragte Bildungsmaterialien entgegennehmen könne und lediglich sichergestellt werden müsse, dass nicht Kevin N. selbst direkt kommunizieren würde. Dann spräche aus Sicht der Anklagebehörde nichts dagegen.

Für den folgenden 4. Verhandlungstag am 06. Mai 2025 wurde der Polizeibeamte K. geladen, der ursprünglich die Verfahrensführung und die Überwachungsmaßnahmen innehatte. Die Vertreter der Bundesanwaltschaft regten an, dass der Bundeskriminalbeamte erläutern könne wie es zu den TKÜ-Maßnahmen kam und die Zuordnung der Sprecher:innen zustande kam. Auch im letzten Knockout51-Verfahren am Oberlandesgericht habe er dies „anschaulich dargestellt“.

Der Verhandlungstag endete um 15.30 Uhr.