Am 13. Prozesstag wurden erstmals Audioaufnahmen aus Überwachungsmaßnahmen gegen die Angeklagten ins Verfahren eingeführt. Dabei handelte es sich um Gespräche, die im Rahmen von Innenraumüberwachungsmaßnahmen in Fahrzeugen der Angeklagten mitgeschnitten wurden. Außerdem wurden Fotos und Chatverläufe eingeführt, die auf Handys sichergestellt wurden. Inhaltlich ging es dabei um den Zeitpunkt des Beitritts des Angeklagten Bastian Ad. zu „Knockout 51“, die Beteiligung der Angeklagten an Schießtrainings in Tschechien, den Zeitraum der Mitgliedschaft von Erik K., die Gründung von „Knockout 51“ durch Leon R., Maximilian A. und Kevin N. Der Verhandlungstag wurde häufig zur Klärung von Formalitäten zur Einführung der Ergebnisse aus den Überwachungsmaßnahmen unterbrochen. Wieder nahmen die Schwester und Mutter des Angeklagten Leon R. sowie eine weitere Person als Besucher*innen an der Verhandlung teil, um die angeklagten Neonazis zu unterstützen. Diesen standen mehrere Dutzend kritische Prozessbeobachter*innen gegenüber.
Ablehnung des Verwertungswiderspruchs
Am 12. Prozesstag legte die Verteidigung einen Verwertungswiderspruch für Beweise aus der Telekommunikationsüberwachung ein. Dieser wurde zu Beginn des 13. Verhandlungstags durch den Senat in Teilen abgelehnt. Ein weiterer Teil des Antrags, in dem es um Überwachungsmaßnahmen im sogenannten „Atomwaffen Division“-Verfahren geht, wurde durch den Senat zunächst zurückgestellt. Der Senat sieht die Beweise als verwertbar, da er die Anordnung der Überwachungsmaßnahmen als rechtmäßig einschätzt. Dies sei auch der Fall, wenn der Ursprungsverdacht auf Zufallsfunde in anderen Verfahren entstanden sei. In Bezug auf Erkenntnisse aus dem vorherigen Verfahren, das gegen Leon R. wegen mutmaßlicher Beteiligung an der rechtsterroristischen Gruppe „Atomwaffen Division“ geführt wurde, stellte der Senat eine Entscheidung zurück, da er zunächst die damalige Ermittlungsakte beiziehen möchte, um den damaligen Ermittlungsstand auf Grundlage dessen die Überwachungsmaßnahmen angeordnet wurden, nachvollziehen zu können.
Beitritt von Bastian Ad. zu „Knockout 51“
Als erstes wurde eine Aufnahme einer Fahrzeuginnenraumüberwachung vom 8. Februar 2020 abgespielt. Das Gespräch wurde in der Anklageschrift als Beleg für die Mitgliedschaft von Bastian Ad. bei „Knockout 51“ ab Ende 2019 oder Anfang 2020 verwendet. Diese wurde im Fahrzeug des Angeklagten Leon R. aufgenommen. Es handelt sich um ein Gespräch von drei bis vier Personen, während diese im Auto fahren. Beteiligt waren dabei laut Einschätzung des BKA Leon R., dessen damalige Lebensgefährtin, Bastian Ad. und eine Person, die „Ronny“ genannt wurde. Leon R. schilderte der Person „Ronny“, dass Bastian Ad. zu diesem Zeitpunkt seit drei bis fünf Jahren an seinem damaligen Wohnort wohnte. Ad. sei 2013-15 dabei gewesen, als sie sich begonnen hatten zu politisieren, dann habe er begonnen Drogen zu verkaufen und zu konsumieren, habe nicht mehr „Politik machen“ wollen und sei „von morgens bis abends auf Koks gewesen“. R. habe ihm damals gesagt, dass er solang er mit Drogen zu tun hätte, nicht mit ihnen „rumhängen“ könne. Vor einem Jahr sei Ad. gekommen und habe gesagt, dass er nun clean sei. R. habe ihm daraufhin gesagt: „Erwisch ich dich einmal mit Drogen, bist du A raus und B kriegst du auf die Schnauze.“ „Ronny“ schilderte im weiteren Gespräch seine Erfahrungen in der Neonaziszene Hannovers und deren Verbindungen zur Fußball- und Rockerszene. R. entgegnete, dass man mit Mitgliedern der Hells Angels zwar ein „Bierchen trinken“ könne, diese aber nichts in der „Kameradschaft“ oder dem „Sportprojekt“ zu suchen hätten.
Nach Abspielen des Mitschnitts legte Bastian Ad.s Verteidiger Hohnstädter einen Verwertungswiderspruch gegen den Beweis ein, da sich die damaligen Maßnahmen gegen Leon R. und nicht gegen seinen Mandanten gerichtet hätten und somit persönliche Daten Dritter von den Überwachungsmaßnahmen betroffen gewesen seien, die nicht hätten gespeichert werden dürfen, da es keine Hinweise auf strafbares Verhalten durch seinen Mandanten gegeben habe.
Anschließend wurde ein Foto eingeführt. Bei diesem handelte es sich um ein Gruppenbild in einem Sportraum auf dem Bastian Ad., Leon R., Maximilian A. und die gesondert Verfolgten Nils A., Kevin N. und eine weitere Person zu sehen sind. Es soll am 22. März 2020 aufgenommen worden sein. Das Foto wurde auf einem Handy der früheren Partnerin Bastian Ad.s sichergestellt. Nach der Einführung des Fotos gibt es Uneinigkeit zwischen dem Vorsitzenden und den Vertretern der Bundesanwaltschaft in der Frage wie die Metadaten und der Entstehungszeitpunkt von Bildern ins Verfahren einzuführen sind. Nach einer Beratung stellt der Vorsitzende fest, dass bei dem gerade gezeigten Bild auch der entsprechende BKA-Vermerk zur Sicherstellung verlesen werden muss, da das Bild nicht aus einem Datensatz stamme, der durch Auswertungssoftware des Herstellers Celebrite erstellt wurde, bei dem die Metadaten enthalten sind, sondern nur in der Papierakte zu finden sei. In dem Vermerk wird geschildert, dass das Foto auf einem iPhone 7 Plus sichergestellt wurde, das Bastian Ad. gehört habe und welches dieser seiner Partnerin geliehen hatte, da deren Handy defekt war. Auf dem Handy seien nur noch die Daten seiner Partnerin auswertbar gewesen und vorherige Daten gelöscht gewesen. Dabei habe es sich u. a. um Fotos und Videos gehandelt, die Ad. bei Kampfsporttrainings und nationalistischen Veranstaltungen gezeigt hätten. Es seien mehrere Fotos von Kampfsporttrainings im „Flieder Volkshaus“ dabei gewesen.
Videos von Schießtrainings in Tschechien
Weiterhin seien auf dem Smartphone mehrere Fotos und Videos von einem Schießtraining am 28.12.2021 in Tschechien gefunden worden. Bei diesen seien u.a. Bastian Ad., Maximilian A., Leon R. und drei weitere Personen beteiligt gewesen. Auf den Videos seien mehrere Personen beim Schießen mit Sturmgewehren zu sehen gewesen. Ein Video sei so bearbeitet worden, dass die Zielscheibe durch ein Antifa-Logo ersetzt wurde. Nach Verlesung des Vermerks werden vier Videos in Augenschein genommen, auf denen Bastian Ad. beim Schießen mit verschiedenen Gewehren auf einem Schießstand zu sehen ist. Beim letzten Video wurde die Zielscheibe durch ein Antifa-Logo ersetzt, während Ad. auf diese schießt.
Ausschluss von Eric K.
Als nächstes wurde der Verlauf eines WhatsApp-Chats zwischen Kevin N. und Erik K. vom 7. November 2020 verlesen. Dieser wurde als Beleg für den Ausschluss Erik K.s aus „Knockout-51“ durch Leon R. in der Anklage angeführt. N. fragte K. im Chat zunächst, ob er überhaupt noch zum Training komme und warum er „den Leuten auch nicht mehr hallo“ sage. K. entgegnete dem, dass er sich nicht erinnern könne, wen er nicht gegrüßt habe und dass es in den letzten Tagen nicht mit dem Training gepasst habe, aber alles gut sei. N. sagte, dass ihm Lauro B. gesagt habe, dass K. ihn nicht gegrüßt habe, was K. aber nicht gesehen haben will. K. gibt weiter an, dass er seinen Pullover abgegeben habe und aktuell nicht anstrebe eine „Anwärterschaft zu machen“, da er dafür keine Zeit habe und erstmal nur „Kameradschaft“ wolle. N. entgegnet daraufhin, dass er sich „straffen“ und wenigstens einmal pro Woche zum Training kommen solle.
Gründung von „Knockout 51“ durch Leon R., Maximilian A. und Kevin N.
Nach der Mittagspause wurde ein weiteres überwachtes Gespräch aus dem Auto von Leon R. vom 2. November 2021 eingeführt. Dabei handelte es sich nach Angaben des BKA um eine Unterhaltung zwischen Leon R. und dem gesondert Verfolgten Dennis K. Zu Beginn der Aufnahme singen beide das antisemitische sogenannte „Blutlied“ und Leon R. kommentiert dieses mit: „Alter, auf jedem Nazikonzert. Ich liebe es.“ Im weiteren Verlauf fragt K. R. wie es zur Gründung von „Knockout-51“ gekommen sei. R. schildert daraufhin, dass die Gruppe nicht nur durch ihn gegründet worden sei, er aber eines der Gründungsmitglieder war. Der Impuls sei daraus entstanden, dass immer mehr Boxclubs Nazis von den Trainings ausgeschlossen hätten und sie sich gesagt hätten: „Dann trainieren die Nazis halt allein.“
Neben „Knockout-51“ habe es damals noch die Gruppe „Nationaler Aufbau Eisenach“ gegeben, bei der jeder habe Mitglied werden müssen. „Knockout“ sollte sich von dieser auch dadurch unterscheiden, dass die Aufnahmekriterien höher sein sollten. Dazu habe gezählt, dass man zunächst für ein halbes bis ganzes Jahr Anwärter war, man mindestens 80 kg schwer sein musste, eine Kampfsportart grundlegend beherrschen und man während der Anwärterschaft zu einer bestimmten Anzahl Trainings kommen musste. R. habe es gut gefunden, mal eine „Nazigruppe“ zu haben, „die wirklich Ansprüche hat. Wo du nicht einfach sagen kannst, du bist rechts.“ Dennis K. fragt daraufhin, dass man immer mal wieder höre, dass es bei „Knockout“ darum gehe zu trainieren, um nachts durch die Straßen zu ziehen und Leute zu schlagen. Darauf entgegnet R., dass dies nicht der Zweck sei, man aber trainiere, um sich wehren zu können.
Nach Abspielen des Gesprächs gibt R.s Verteidiger Wölfel an, dass die Verteidigung der Verwertung dieses Gesprächs explizit nicht widersprechen wolle, falls es sich bei einem der Gesprächspartner um ihren Mandanten handle. Das Gespräch habe seiner Meinung nach belegt, dass es bei der Gründung von „Knockout-51“ nicht um die Begehung von Straftaten gegangen sei, sondern um die physische und psychische Vorbereitung auf „Notwehr gegenüber Angriffen der politischen anderen Seite.“ RA Hohnstädter springt dieser Argumentation bei.
Anschließend wurde ein weiteres Gespräch vom 26. Dezember 2021 aus dem selben Fahrzeug abgespielt. An diesem sollen Leon R. und die gesondert Verfolgten Marvin W. und Dennis K. beteiligt. Darin wurde u.a. gesagt, dass die Gründungsmitglieder von „Knockout-51“ Leon R., Kevin N. und Maximilian A. gewesen seien. Eric K. sei demnach kein Gründungsmitglied gewesen. Weiterhin sagte Leon R. in diesem Gespräch, dass er und zwei Braunschweiger Neonazis sich mit einem „Antifa-Rapper“ zum „Fetzen“ verabreden wollten, dieser aber abgesagt habe.
Kein Beweiswert von Verfassungsschutz-Schreiben
In der Anklageschrift habe die Bundesanwaltschaft für die These, dass es „Knockout-51“ bereits Ende 2018 oder Anfang 2019 gegeben haben könnte, ein Schreiben des Verfassungsschutzes als Beleg angegeben. Das Gericht sieht in diesem kein originäres Beweismittel und stellte daher fest, dass es diese nicht weiterverfolgen wolle, außer wenn ein Beweisantrag durch andere Prozessbeteiligte gestellt würde. Ein GBA-Vertreter gab daraufhin an, dass es sich dabei um ein Behördengutachten gehandelt habe, dass einen Beweiswert haben könne und schlug vor, dass man Vertreter*innen des BFV und des LV Thüringen als Zeug*innen laden könne. RA Hohnstädter führte dazu aus, dass Behördenzeugnisse im Rahmen der Aufgabe eines*r Beamt*in entstehen müssten, z. B. bei einem*r Notar*in oder auf eigenen Wahrnehmungen basieren müssten. Dies sei seiner Ansicht beim Verfassungsschutz meist nicht der Fall. Es bräuchte immer originäre Beweismittel, also immer eine*n Zeug*in, eine Urkunde, etwas Belastbares, um bei einer möglichen Fälschung jemanden zur Verantwortung ziehen zu können. Hohnstädter führte dazu als Beispiel ein Verfahren zur DDR-Flucht an, bei dem Beweise durch die Stasi gefälscht worden seien.
Flickr-Fotoalbum von Leon R.
Anschließend wurde noch eine kurze Gesprächspassage aus einer Innenraumüberwachung vom 5. März 2021 gehört. Am Gespräch sollen Erik K. und seine damalige Partnerin beteiligt gewesen sein. Sie unterhielten sich darüber, dass sich die Gruppe im Zeitraum 2016-17 häufig in der Kneipe „Swing“ in Eisenach getroffen habe und es sich dabei um die „Hochzeit“ der jungen Eisenacher Neonaziszene gehandelt habe. K. führte aus, dass es zunächst eine Gruppe mit dem Namen „Jugendoffensive Eisenach“ gegeben habe. Diese sei dann verboten worden und man habe den „Nationalen Aufbau“ gegründet, der auch verboten worden sei. Dieser sei laut K. wegen der Verbindungen Leon R.s zur „Atomwaffen Division“ sogar als terroristische Vereinigung verboten worden. 2019 sei dann „Knockout-51“ gegründet worden. Die Gruppe habe ca. zwei Jahre bestanden und zum Zeitpunkt der Auflösung habe sie fünfzehn Mitglieder gehabt. K. habe die Instagram-Seite betreut. Leon R. sei dann auf ihn zugekommen und habe ihm gesagt, dass ein Verfahren gegen „Knockout-51“ laufe und er deshalb auf Instagram die Auflösung bekanntgeben solle.
RA Urbanzyk erklärte im Anschluss, dass er eine Aufhebung des Untersuchungshaftbefehls gegen seinen Mandanten Leon R. beantragen wolle, wenn es sich um diesen in diesem Gespräch gehandelt habe. Aus dem Gespräch sei hervorgegangen, dass er von dem Verfahren gewusst habe, als er noch nicht in Haft war und dennoch nicht geflohen sei. Damit sei die Begründung der U-Haft nicht zulässig.
Im Anschluss wird ein polizeilicher Vermerk zur Auswertung eines Fotoalbums mit dem Namen „Skinhead Jugend Eisenach“, das Leon R. auf die Fotoplattform Flickr hochgeladen haben soll, verlesen. Das BKA sei auf dieses aufmerksam geworden, weil sich Erik K. in einem abgehörten Gespräch darüber unterhalten habe und auf einem sichergestellten Smartphone ein Link zu diesem gefunden worden sei. Das Album sei am 5. Dezember 2019 erstellt worden und habe 72 Fotos enthalten. Es sei von einem Account mit dem Namen „x-florianmueller-x“ erstellt worden, der aufgrund anderer Ermittlungserkenntnisse Leon R. zugeordnet werden konnte.
Das Gericht nahm mehrere Fotos aus dem Album in Augenschein. Auf diesen waren Mitglieder von „Knockout-51“ im März 2019 in Pullovern der Gruppe abgebildet.
Danach wurde noch ein Gespräch zwischen Eric K. und einer weiteren männlichen Person vom 16. März 2022 gehört, in dem K. diesem u.a. von dem Fotoalbum erzählte. K. erzählte außerdem, dass die Gruppe gemeinsam zum neonazistischen Kampfsportfestival „Tiwaz“ gefahren sei und von einem Aufmarsch vor dem Parteibüro der Partei „Die LINKE“ in Eisenach, bei dem Thorsten Heise beteiligt gewesen sei. Die zweite Person fragte K. daraufhin, ob dieser schon mal bei Heise gewesen sei. K. führte aus, dass Heise mittlerweile ein halbes Dorf gebaut habe und u. a. ein „Kameradschaftshaus“ gebaut hätte, in dem eine „Schwarze Sonne“ in den Boden eingelassen sei.
Als letzter Punkt dieses Prozesstags wurde ein Vermerk des BKA zur Auswertung des Instagram-Accounts von „Knockout-51“ verlesen. Der Account sei auf „privat“ eingestellt gewesen, weshalb die Ermittlerin eine Freundschaftsanfrage geschickt habe, die angenommen worden sei. Anschließend seien fünf Videos und Fotos sichtbar gewesen. Es wurde u. a. die Liste der Abonnent*innen des Accounts ausgewertet und dabei Accounts mit der Zahl „51“ im Namen genauer untersucht.
Um 15:15 Uhr wurde der Verhandlungstag beendet.