An diesem Verhandlungstag fand die ausgiebige Vernehmung von zwei Zeugen (Julian M. und Till R.) statt, die über längere Zeit an Kampfsporttrainings von Knockout51 im Flieder Volkshaus teilnahmen. Im Vergleich zu den sonstigen Verhandlungstagen seit drei der Angeklagten aus der Untersuchungshaft entlassen wurden, gab es erhöhte Polizeipräsenz im Gerichtssaal zwischen Publikum und Zeugenstand.
Der Vorsitzende Richter Giebel ließ den ersten Zeugen in den Saal rufen und bezog vorher kurz wegen dessen Belehrung Stellung. Daraus, dass die beiden Zeugen mittrainiert haben sollen, ergäbe sich aus seiner Sicht noch kein Zeugnisverweigerungsrecht, auch da unterstellt würde, dass es da keine politischen Zusammenhänge gäbe. Die anderen Prozessbeteiligten äußerten dazu keine anderweitige Haltung.
Erster Zeuge: Trainingsteilnehmer und Unterstützer Julian M.
Nach der üblichen Zeugenbelehrung und Abfrage der Personalien, sollte der 27-jährige Julian M. zunächst zusammenhängend schildern, wie es sich mit den Trainings im Flieder Volkshaus verhielt. Letztlich spielte sich jedoch von Beginn an ein kurz angebundenes Frage-Antwort-Spiel zwischen Vorsitzendem und dem Zeugen ab, bei dem sich Julian M. alles aus der Nase ziehen lies.
Der Zeuge bejahte seine Teilnahme an den Trainings im Flieder Volkshaus und auch dass er diese als Trainings der „Sportgruppe“ Knockout51 zuordnete. Er selbst sei seit 2020 etwa eineinhalb Jahre dabei gewesen. Er sei dazu gekommen, weil er ursprünglich Wettkampfsportler im Judo gewesen sei und seine sportliche Betätigung im Zuge von Coronapandemie und Lockdown nicht mehr wie vorher möglich war. So hätte er 2020 die Angeklagten Maximilian A. und Leon R. im Fitnessstudio in Eisenach kennengelernt, wo diese auch Kampfsport, Boxen trainierten. Nach der Kontaktaufnahme hätte Julian M. dann die Möglichkeit zum Kampfsporttraining im Flieder Volkshaus genutzt, welches in der Regel zweimal die Woche stattfand.
Teilnahme an Kampfsporttrainings
Den „festen Stamm“ der Trainingsteilnehmer schätzte er auf drei bis vier Personen, als Namen nannte er Leon R. und Benjamin S., die Angeklagten Maximilian A. und Bastian Ad. wiederum seien zu seiner Zeit irgendwann dem Training öfter ferngeblieben. Eric K. hätte er nur ein oder zwei Male dort gesehen. Es habe laut Julian M. keinen festen Trainer gegeben, sondern wechselnde Anleitung durch Teilnehmende, einer sei „mehr auf Boxen, einer konnte bessere Kicks, einer besser am Boden“. Gezielte Selbstverteidigungstechniken seien dort nicht trainiert worden, sondern neben Ausdauer- und Zirkeltraining verschiedene Kampfsporttechniken aus Kickboxen, Boxen, Bodenkampf, Würgetechniken. Julian M. zufolge hätte man „auf jeden Fall“ mit Handschuhen und Mundschutz trainiert, optional Kopfschutz. Mit Verweis des Vorsitzenden Richters auf diverse Fotos, auf denen die Teilnehmer des Trainings teils mit stark blutenden Verletzungen posierten, meinte der Zeuge lediglich, dass Verletzungen auch mit Schutz passieren könnten.
Die Existenz von Teilnahmevoraussetzungen verneinte er zunächst, auch wollte der Zeuge vorerst noch nicht wissen, ob auch auf Wettkämpfe hin trainiert hätten. Der Zeuge bejahte, dass es Kleidung mit Emblemen von Knockout51 gab und er sich eine Hose habe mitbestellen lassen. Diese Kleidung sei jedoch nur für das Training gewesen, so Julian M’s Behauptung. Auf die Frage des Richters konnte er sich nicht erinnern, ob denn ein fester Kostenbeitrag für die Trainingsteilnahme erhoben wurde. Als die Vertreter der Bundesanwaltschaft erneut zu etwaigen Beiträgen fragten, erinnerte er sich dann doch, „öfters“ Geld bezahlt zu haben, blieb dabei aber weiter vage.
Ignoranz bis Sympathie für nationalsozialistische Ideologie
Seiner Darstellung nach hätte Politik „auf der Matte“ aber keine Rolle gespielt, sondern es sei ausschließlich um Kampfsport gegangen – so die anfängliche Aussage des Zeugen. Warum die Gruppe sich den Namen „Knockout51“ gab, habe ihn nicht interessiert. Ob er sich als Teil von Knockout51 gesehen habe, bejahte er – „da braucht ja keiner sagen Huiuiui, der ist da dabei. Ich war da beim Training, da war mir auch egal wer da trainiert.“ Der Frage, ob die Angeklagten sich außerhalb vom Training über politische Aktivitäten unterhalten hätten, wich der Zeuge aus – er habe die politische Gesinnung gekannt und es sei ihm egal gewesen.
Im Kontrast zur Behauptung eines unpolitischen Sporttrainings zeigte die Bundesanwaltschaft dem Zeugen später ein Gruppenfoto vom 18. April 2021 im Trainingsraum des Flieder Volkshauses, auf dem mehrere Männer in einer Reihe nebeneinander in Sportkleidung posieren, teils in Knockout51-Bekleidung: Maximilian A., Leon R., Eric K., Benjamin S., der Zeuge Julian M. selbst und der im Anschluss geladene Zeuge Till R. sowie herausstechend Bastian Ad., der einen Hitlergruß mit einer Boxpratze auf der Hand macht. Auch daraufhin blieb der Zeuge dabei, das Politik dort keine Rolle für ihn gespielt habe – es könne „jeder seine Meinung haben“. Verteidiger Wölfel versuchte, Julian M. noch unter die Arme zu greifen und die politische Dimension in Abrede zu stellen, den Gruß in die Kategorie „Blödelei“ einzuordnen. Der Zeuge schien den Wink nicht zu verstehen, kam zu dem Schluss, dass er „sowas eigentlich nicht schön“ fände, und es vermutlich nur im Augenwinkel gesehen habe.
Die Vertreter des Generalbundesanwalts hielt dem Zeugen ein Foto vor, das am 19. Oktober 2020 in der Chatgruppe „Training KO51 Diakonie“ verschickt wurde und las die dazugehörige Nachricht vor. Es wurde in die Gruppe gefragt, ob jemand die auf dem Handyfoto abgebildete Person (es handelte sich um Julian M.) kennen würde, die das Eisenacher Fitnessstudio besuchen und Kleidung vom „Kampf der Nibelungen“ herumlaufen würde. Auf Nachfrage, worum es sich dabei handelte, antwortete Julian M., dass der „Kampf der Nibelungen“ eine „politisierte“ Kampfsportveranstaltung sei, die auch zu seiner Einstellung passe. Er habe sich eine Hose davon online bestellt, jedoch nicht selbst an dem Neonazi-Kampfsportevent teilgenommen.
Julian M. bejahte, Mitglied in einer Chatgruppe für die Trainings mit Knockout51 gewesen zu sein, auch hier plagten den Zeugen große Erinnerungslücken, ob sich darin neben Trainingsabsprachen auch über politische Themen ausgetauscht wurde. Es seien zumindest Menschen in der Gruppe gewesen, die auf Demonstrationen gingen. Auf Nachfrage erinnerte der Zeuge sich, an einer einzigen Demo teilgenommen zu haben, in Eisenach im Oktober 2023. Die Erinnerung, was für eine Demo das genau war, fiel schwerer – „eine Coronademo oder Antikriegsdemo, irgendwie sowas“. Ansonsten habe er kein Interesse an Demonstrationen gehabt. Seine eigene politische Einstellung bezeichnete er als „konservativ rechts“. Später ergänzte er, das Rechte aktuell „immer außenvorgelassen“ würden. Als die Vertreter der Bundesanwaltschaft nachhakten, ob ihm „JN Sport“ als Chatgruppe etwas sagen würde, bestätigte Julian M., dass er in dieser Mitglied war und ordnete die Abkürzung auch den „Jungen Nationalisten“ zu.
Neben dem Flieder Volkshaus und gelegentlichem Training draußen sei Julian M. einmal mit nach Gotha zum Kampfsporttraining gefahren, mindestens zusammen mit Leon R. und Benjamin S.. Erst aus dem Fernsehen hätte er nach einer Razzia angeblich erfahren, dass die Stätte, in der sie trainierten, der Neonazi-Struktur „Turonen“ zuzuordnen ist. Vorher hätte er nicht gewusst, was das für ein Ort war. Die Vertreter der Bundesanwaltschaft fragten nach etwaiger Schrift an der Wand im dortigen Trainingsraum, woraufhin der Zeuge sich an den dort gemalten Spruch „Blut spart Schweiß“ erinnerte und hinzufügte, dass er diesen von Shirts vom „Kampf der Nibelungen“ kenne. Ergänzend wurde ein Foto vom 29. Dezember 2021 aus der „JN Sport“ Chatgruppe vorgehalten, auf dem jenes Wandbild mit der nationalsozialistischen Parole zu sehen ist.
Übergriffe durch Linke seien ihm in seiner Zeit bei Knockout51 nicht bekannt gewesen, lediglich der Buttersäureanschlag auf Leon R’s Kneipe Bull’s Eye, so Julian M. zunächst auf Nachfrage der Verteidigung. Vom Vorwurf des Generalbundesanwalts, dass mit ‚Knockout51‘ eine kriminelle Vereinigung gegründet wurde, habe er erst im Zuge der Razzien am 06. April 2022 davon mitbekommen, da an dem Tag in seinen Worten „Leute, die […] meine Freunde geworden sind“, verhaftet wurden. Der Zeuge habe insbesondere mit Maximilian A. persönlich mehr zu tun gehabt.
Auch außerhalb des Trainings habe der Zeuge mit den anderen Freizeit verbracht, sie seien in die Kneipe oder ins Café gegangen. Einmal habe eine Wanderung stattgefunden und Julian M. sei beim „Zelten“ bei Creuzburg zeitweise dabei gewesen, jedoch laut Eigenaussage nach dem Aufbau wieder abgereist. Zu etwaig dort gehissten Fahnen konnte er auf Nachfrage nichts sagen – der Vertreter der Bundesanwaltschaft Dr. Piehl erwiderte, dass das auf vorliegenden Fotos anders aussähe. Bilder aus der „JN Sport“-Gruppe wurden ihm vorgehalten. Darauf zu sehen war eine Hakenkreuzflagge, ein weiteres zeigte ein verbranntes Holzkreuz. (Brennende Kreuze sind als Symbol des rassistischen Ku-Klux-Klan bekannt. In den Neunzigern wurden in der Nähe von Jena ebenfalls Kreuze von Neonazis verbrannt, darunter die Mitglieder des NSU-Kerntrios Böhnhardt und Zschäpe sowie ihr Unterstützer Wohlleben.) Auf die eigene Chatnachricht vom 11. Juli 2021 in Reaktion auf das letzte Foto wollte sich Julian M. heute keinen Reim mehr machen können – „alles verbrennen, was Gewicht hat“.
Auch auf ein Foto von einem Frühstücksbrettchen mit Reichsadler mit Hakenkreuz reagierte Julian M. in derselben Chatgruppe mit drei vor Lachen weinenden Smileys. Verteidiger Urbanczyk versuchte mit gewohnt tendenziösen Fragen an den Zeugen, die Belustigung über den nationalsozialistischen Inhalt zu verharmlosen, indem er Hitler-Parodien im Fernsehen als Beispiel dafür anführte, dass man „mal über Witze lacht, auch wenn Hakenkreuze im Bild sind“. Die Bundesanwaltschaft fragte Julian M. auch nach weiteren gemeinsamen Freizeitaktivitäten und Chatgruppen mit den Angeklagten, worauf der Zeuge zunächst nicht antworten wollte. Auf Nachfragen nach einem bestimmten Online-Spiel bejahte er jedoch, dieses miteinander gespielt zu haben und auch in einer Chatgruppe dafür gewesen zu sein. Auch dort meinte er sich nicht an politische Inhalte erinnern zu können, auch nicht an ein Foto von Leon R’s Hakenkreuztattoo, welches dieser im April 2021 in der Gruppe postete.
Weiter wurde von der Bundesanwaltschaft ein Verlauf aus einer „Shitposting“ Chatgruppe vorgehalten, in der Bastian Ad. auf ein Bild zu einem queeren Aktionstag, auf dem eine Menschenmenge zu sehen war, ankündigte, mit einem Auto in diese zu fahren. Julian M. reagierte im Chat unkritisch. Im Publikum beschwerte sich Ulrike E., die Mutter von Leon R., darüber, wie unfair es sei, die Inhalte aus der Chatgruppe als Beweise heranzuziehen. Ihr Begleiter lachte minutenlang über den Chatinhalt.
Mitwirkung an „Kiezstreifen“
Weiter befragten die Vertreter der Bundesanwaltschaft Julian M. bezüglich der sogenannten „Kiezstreifen“ in Eisenach, die der Sichtung und Verfolgung von vermeintlichen Linken in Eisenach dienten.
Bereits am 31. und 32. Verhandlungstag im März tauchte Julian M. in der Mobilfunküberwachung und Chatverläufen als Aktiver bei mutmaßlichen Patrouillen durch Knockout51 auf. Nun erinnerte sich der Zeuge plötzlich wieder an vorangegangene Überfälle, die er als Begründung für die Notwendigkeit dieser Rundfahrten nannte. Er habe „nicht aktiv“ mitgemacht – außer, dass er Auto gefahren sei und nach Linken „geschaut“ habe. Das gab er erst zu, nachdem ihm von der Bundesanwaltschaft ein Verlauf aus einer „Sportgruppe 2.0“ Signal-Chatgruppe vom 1. Mai 2021 vorgespielt wurde. Julian M wies in der Chatgruppe auf „Zecken“ hin, die er in Eisenach an einer Tankstelle entdeckt habe. Benjamin S. antwortete darauf mit „weg damit“. Am Telefon beschrieb Julian M. daraufhin dem Angeklagten Maximilian A. die Personen sowie Fahrzeug und Kennzeichen. Maximilian A. kündigte an, dass man versuchen würde die „irgendwie zu kriegen“ und sie sprachen ab, dass Julian M. ihn später einsammeln sollte. Julian M. redete sich vor Gericht weiter damit raus, dass er lediglich „autoposermäßig“ herumgefahren sei und er nur seine Freunde hätte warnen wollen. Sonst würde man bei den in der „Autoszene“ üblichen Rundfahrten lediglich über „Assis“ informieren, über die man sich lustig machen könnte.
Nach etwa eineinhalb Stunden wurde der Zeuge entlassen. Nach seiner Befragung fragte Ulrike E. ihre Begleiter im Publikum in vertrauter Weise, ob „Julian“ noch bleiben oder direkt nach seiner Befragung fahren würde. Schließlich setzte sich Julian M. zu den UnterstützerInnen der Angeklagten ins Publikum.
Zweiter Zeuge: Über Polizisten zum Knockout51-Training gekommen
Auch der zweite Zeuge, der 22-jährige Till R. bestätigte, an den Kampfsporttrainings von Knockout51 teilgenommen zu haben. Er sei ab Mitte oder Ende 2020 regelmäßig dabei gewesen, „bis die Jungs verhaftet wurden“. Auch er sei zum Training gekommen als während der Coronapandemie die Möglichkeiten, gemeinsam Sport zu betreiben, eingeschränkt waren. Auf das Kampfsporttraining im Flieder Volkshaus habe ihn ein Bekannter aufmerksam gemacht, der Polizist Marius L.. Till R. sagte entgegen der Aktenlage aus, dass Marius L. damals Abiturient gewesen sei und heute ein Studium zum Fitness-Ökonom machen würde.
Zum Trainingsinhalt, Modus und Turnus sagte Till R. ähnlich aus wie Julian M. Von der politischen Einstellung der angeklagten Mittrainierenden habe man mal gehört, aber bei den Trainings sei es nie um Politisches gegangen, sagte der Zeuge. Dennoch sei seine persönliche Konsequenz aus den Verhaftungen 2022 gewesen, mit Politik nichts mehr zu tun haben zu wollen. Er selbst verorte sich „da so in der Mitte“, an Demos oder anderen politischen Aktivitäten habe er nicht teilgenommen. Auf Nachfrage bestätigte Till R. dann doch, dass sich in Gesprächen um das Training herum über Übergriffe durch Linke auf Leon R. und andere ausgetauscht wurde.
Wie schon dem ersten Zeugen hielt die Bundesanwaltschaft Till R. das Gruppenfoto aus dem Trainingsraum vor, auf dem dieser auch selbst zu sehen ist. Beim Betrachten musste Till R. lachen und meinte bezogen auf den Hitlergruß von Bastian Ad., dass das „nicht so ernst gemeint“ gewesen sei – er habe es als „Spaß“ aufgefasst. Auf Nachfrage war ihm die entsprechende politische Einstellung von Bastian Ad. durchaus bekannt, ebenso die von Leon R. und Benjamin S. konnte er als rechts identifizieren – dennoch blieb er dabei, dass dies nichts mit dem Training zu tun gehabt habe.
Zu allen Angeklagten bis auf Eric K. hätte Till R. über das Training hinaus sporadischen Kontakt gepflegt. Nach der Mittagspause fragten die Vertreter der Bundesanwaltschaft ihn, warum er dann die Prozesspause ausgerechnet mit Eric K. verbringen würde. Sie hätten sich über das gezeigte Gruppenfoto ausgetauscht und auch Eric K. habe den darauf gezeigten Hitlergruß als Spaß abgetan.
Till R. bejahte, dass es gelabelte Pullover, T-Shirts und Hosen der Gruppe Knockout51 gegeben habe. Darüber, ob er selbst auch Knockout51-Kleidung besessen hätte, schwieg er lieber. Auch bestätigte der Zeuge einen monatlich zu zahlenden Beitrag für die Trainingsteilnahme – schien sich jedoch mit jeder Nachfrage weniger zu erinnern, wie viel, wie oft oder an wen er diesen zahlte.
Verhinderte Teilnahme an Neonazi-Kampfsportevent
Die Bundesanwaltschaft befragte den Zeugen zur „National Fight Night“ – einem rechten Kampfsportevent, dass 2021 hätte stattfinden sollen. Till R. konnte diese als Kampfsportveranstaltung einordnen, wollte zu seinem eigenen Bezug dazu und der Frage, ob er da angemeldet gewesen sei, dann aber nicht weiter aussagen. Audios der Innenraumüberwachung aus Leon R.s Fahrzeug legten dann dar, dass Till R. eigentlich vorgehabt habe, aus der Gruppe heraus im September 2021 an der „National Fight Night“ in Belgien teilzunehmen. (Diese hätte am 25. September 2021 als Ersatzveranstaltung für den „Kampf der Nibelungen“ stattfinden sollen und wurde aufgrund staatlichen Eingreifens unterbunden.)
In dem überwachten Gespräch vom 23. September 2021 redeten die Angeklagten Leon R. und Maximilian A. darüber, welche Pullovergröße Till R. wohl habe und dass Leon R. ihn „gern zum Kampf geschickt“ hätte. Sie bedauerten, dass er nun nicht antreten könne. Auch echauffierten sich die beiden über den Ausfall der Neonazi-Veranstaltung und über die Entscheidung der Organisator:innen, so etwas in Belgien zu planen – statt in „Tschechien oder Polen, wo alles scheißegal ist“. Till R. bekundete, nicht zu wissen, ob die „National Fight Night“ eine rechte Szeneveranstaltung war.
Till R. bestätigte auch, dass sich der gesonderte Verfolgte Kevin N. bei Knockout51 darauf vorbereitete, am „Kampf der Nibelungen“ teilzunehmen und mutmaßte auch, dass dieser teilgenommen hatte. Dies war bereits am 17. Verhandlungstag Thema. Auch wusste Till R. darum, dass der „Kampf der Nibelungen“ 2020 verboten und von der Polizei beendet wurde. Selber sei er nicht dabei gewesen, man habe ihm von der Veranstaltung berichtet.
Nach kaum mehr als zehn Minuten wurde der Zeuge Till R. unvereidigt entlassen. Die Verteidigung gab noch zwei Erklärungen zu den Zeugenaussagen ab. Rechtsanwalt Hammer nutzte die Gelegenheit, um seine abstrus verharmlosende Sicht auf Bastian Ad’s Hitlergruß zu teilen: Er fände, dass das Foto zeige, dass Politik im Trainingsraum gar nicht ernst genommen worden sei, denn sonst hätten alle mitgemacht. Zweitens war der Verteidiger der Meinung, dass Bastian Ad. vielmehr selbst ein Opfer des nationalsozialistischen Regimes geworden wäre, da er den Gruß nicht korrekt und mit einer Boxpratze auf der Hand ausgeführt hätte. Verteidiger Wölfel wiederholte die These, dass in Knockout51 lediglich eine Trainingsgruppe, keine kriminelle Vereinigung zu erkennen sei – was seiner Meinung nach auch die Zeugen beweisen würden.
In einer späteren Unterbrechung unterhielten Ulrike E.s Begleiter und die Zeugen Julian M. und Till R. sich vertraut im Publikumsbereich.
Weiter in Beweisaufnahme: Teilnahme an „Frühlingserwachen“ in Kassel
Im Anschluss wurde sich weiter mit den Thesen aus der Anklageschrift befasst. Es wurde mit den Fußnoten zu einem mutmaßlichen körperlichen Angriff auf politische Gegner:innen durch Knockout51-Mitglieder bei einem Demogeschehen am 20. März 2021 in Kassel weitergemacht. Jene Versammlung namens „Frühlingserwachen“ wurde bereits am vorherigen Verhandlungstag thematisiert. Zu dem Geschehen wurde am 9. Verhandlungstag bereits ein geschädigter Zeuge und ein Polizeibeamter vernommen sowie ein Polizeivermerk am 11. Verhandlungstag eingeführt.
Diverse Chatverläufe und Gespräche aus der Fahrzeuginnenraumüberwachung wurden eingeführt. So sprach sich Leon R. mit seiner Partnerin Annkristin W. für die Anreise nach Kassel ab und erwähnte dabei auch, dass Kevin N. und weitere Personen aus Erfurt anreisen würden. In einem Video, dass Ann-Kristin W. am Tag der Versammlung per Chat an Leon R. schickte, ist ein Einkaufszentrum von innen zu sehen, in dem zahlreiche Menschen versammelt sind. Weiter schrieb W., dass sie nicht wegkommen würden, „die Jungs“ immer noch in einer Kontrolle stecken würden und schickte auch ein Foto von der Polizeimaßnahme. Ann-Kristin W. vermutete als Grund für die Kontrolle „wegen Knockout oder so“. Leon R. berichtete, dass er zuvor noch eine Auseinandersetzung mit einer Gruppe politischer Gegner:innen gehabt habe, in der aber nichts passiert sei. Daraufhin sprachen die beiden ab, dass Leon R. versuchen würde, sie mit dem Auto abzuholen. Leon R. schickte ihr den Kontakt seines in Kassel wohnenden Bruders, damit sich Ann-Kristin W. bei diesem melden könnte.
Auch hatte Leon R. am Nachmittag des 20. März 2021 Chatkontakt mit Stanley Röske, führende Persönlichkeit bei der verbotenen Neonaziorganisation „Combat 18 Deutschland“. Leon R. schrieb ihm, dass er erst aus einer Polizeimaßnahme entlassen worden sei, sich andere noch in Gewahrsam befinden würden und er darum für eine Verabredung mit Röske am Abend wahrscheinlich absagen müsste.
Laut Anklage sei Leon R. mit vier bis sieben Begleitern an diesem Tag in Kassel auf eine Gruppe getroffen, die sie als politische Gegner:innen gesehen hätten und durch sie geschädigt worden seien. Hierzu verwies der Vorsitzende auf die Zeugenbefragung des Kassler Polizeibeamten am 9. Verhandlungstag.
Leon R. habe entschieden, die Gruppe weiter anzugreifen, den ersten Kontakt habe er als „Startschuss“ für die eigentlich angestrebte Auseinandersetzung gesehen. Aus der Gruppe der Nazis habe Lauro B. den Geschädigten aufgefordert, einen politischen Anstecker abzunehmen und habe ihn, trotz Beschwichtigungsversuche, abgerissen. Später im Auto äußerte Leon R. witzelnd gegenüber seiner Partnerin, „ich glaub, den steck ich mir einfach an“. Leon R. sei ebenfalls an den Geschädigten herangetreten und habe ihm mit der Faust gegen den Kehlkopf und Kinn bzw. Kiefer geschlagen. Abends im Auto sprach die Reisegruppe um Leon R., Lauro B. und Ann-Kristin W. noch über die Auseinandersetzung.
Beweisantrag der Verteidigung zu Neonazi-Vernetzungstreffen
Verteidiger Hohnstädter beantragte die Ladung diverser bekannter Neonazis, darunter Thorsten Heise, Tommy Frenck, „der Volkslehrer“ Nicolai Nerling, der ehemalige NPD- und JN-Funktionär Paul Rzehaczek und Ricky N. aus Sonneberg. Deren Befragung als Zeugen solle beweisen, dass das Vernetzungstreffen im Flieder Volkshaus am 8. Mai 2021 und die daraus resultierte „Videobotschaft“ keine Bedeutung als „Kampfansage von Knockout51“ gehabt habe, anders als in der Anklage vorgeworfen. Besagte Rechte hätten daran teilgenommen, ebenso wie Leon R. Jenes Treffen war am 33. Verhandlungstag bereits Thema der Beweisaufnahme, ebenso wie in der Aussage von Patrick Wieschke am 37. Verhandlungstag. Den zweiten Beweisantrag sparte sich der Verteidiger von Bastian Ad. für das nächste Mal auf.
Nazis dürfen keine Akten mit nach Hause nehmen
Der Vorsitzender Richter stellte erneut klar, dass er den Angeklagten keine Urkunden zum Lesen mit nach Hause geben wird. Er stellte klar, dass es ihm dabei um Datenschutz ginge, da durch die Neonazis in der Vergangenheit persönliche Daten von Linken, so aus dem Dresdner Antifa-Ost-Verfahren weitergaben und zur Veröffentlichung brachten. Der Senat würde den Angeklagten die Akten also nicht aushändigen, sie könnten diese aber am Rande der Verhandlung lesen und diese auch jeden anderen Tag in einem zur Verfügung gestellten Raum im Gericht lesen. Die Verteidigung der drei Angeklagten auf freiem Fuß beanstandete die Entscheidung und verlangte eine Liste der Urkunden, die ihren Mandanten im Selbstleseverfahren zugänglich gemacht werden müssten.
Schließlich fassten die Vertreter der Bundesanwaltschaft und der Vorsitzende zusammen, welche Urkunden ihres Erachtens noch offen seien: drei Rechnungen, die Videoauswertung des Polizeibeamten S. aus Leipzig, Teile der Durchsuchungsbeschlüsse sowie das schriftliche Urteil aus dem Dresdner Verfahren.
Ankündigungen zum weiteren Prozessverlauf
Die Nachfrage der Verteidigung, wie sich der Senat zur Frage des „Nazikiezes“ positionieren würde, ließ der Vorsitzende unbeantwortet. Er verwies darauf, dass sie sich nur zu konkreten Anträgen positionieren würden und auf die Schlussberatung des Senats, in der erst eine abschließende Auffassung mitgeteilt würde. Richter Giebel bilanzierte, dass noch vier Stunden Audio- und Chatmaterial, die Vernehmung des Eisenacher Polizeibeamten Jochen M. – welcher unter Verdacht des Geheimnisverrats gegenüber Knockout51 steht – und die eines oder mehrerer Beamt:innen des Bundeskriminalamts ausstünden. Danach könnte in den nächsten zwei bis drei Verhandlungstagen die Beweisaufnahme geschlossen werden, abhängig von jetzigen und weiteren Beweisanträgen. Mitte Juni könnten seiner Ansicht nach somit die Plädoyers beginnen.
Am nächsten Verhandlungstag, dem 27. Mai 2024 sollte mit Lichtbildern zur mutmaßlichen Körperverletzung im Kontext des Versammlungsgeschehens in Kassel 2021 fortgesetzt werden. Der heutige Tag endete gegen 15.10 Uhr.