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Knockout 51 - Prozess

43. Verhandlungstag – KO51 – 06.05.2024

Der Verhandlungstag begann bereits mit einem Paukenschlag. Der Vorsitzende Richter verkündete, dass die geplante Aussage des ersten Polizeibeamten abgesagt wurde. Grund dafür ist eine Hausdurchsuchung, die sich bei dem Kriminalhauptkommissar in der vergangenen Woche ereignet hatte. Die Staatsanwaltschaft Gera ermittelt gegen den Beamten, da er im Verdacht steht, Dienstgeheimnisse an den Angeklagten Eric K. übermittelt zu haben. In Eisenach war der in der Staatsschutzabteilung tätige Polizist mit politischer Kriminalität vertraut. Nachdem der Vorsitzende Richter von dem Kriminalhauptkommissar selbst über die Ermittlungen gegen seine Person in Kenntnis gesetzt wurde, entschied er, die Vernehmung zunächst zu vertagen.

Razzia bei Staatschützer

Hintergrund ist, dass Personen vor Gericht eine Aussage als Zeuge verweigern dürfen, sofern sie bei wahrheitsgemäßer Aussage Gefahr laufen, sich selbst einer Straftat bezichtigen müsste. Eigentlich sollte er über seine dienstlichen Erfahrungen mit Knockout 51 am heutigen Verhandlungstag Angaben machen. An Folgetagen wurde publik, dass die Staatsanwaltschaft Gera derzeit gegen sechs Thüringer Beamte ermittelt, die sich allesamt wegen des Straftatbestandes der Verletzung Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht (§ 353b StGB) strafbar gemacht haben sollen, indem sie mutmaßlich Dienstinterna an die rechtsextreme Kampfsportgruppe weitergeleitet haben. Der Richter will nun den Durchsuchungsbeschluss beiziehen und eine erneute Vorladung als Zeugen prüfen.

Eine ganz normale Gruppe

Übrig blieb nur noch ein weiterer Polizeibeamter als heutiger Zeuge. Auch Tobias S. wurde von der Verteidigung von Leon R. als Zeuge vorgeschlagen, da Patrick Wieschke in seiner eigenen Zeugenvernehmung auf eine Kooperation mit dem besagten Beamten hingewiesen hat. Bereits zu Beginn stellte er klar, dass aus Sicht der Eisenacher Polizei „Knockout 51“ keine Bestrebungen dahingehend gehabt hätten, eine Ordnungsmacht zu etablieren. Sie seien lediglich bei Auffälligkeiten im Flieder Volkshaus informiert worden.

So hätte Wieschke Videomaterial an sie herangetragen, als auffällige Personen das Gelände betreten hätten. Personen vor Ort konnten aber nicht festgestellt werden. Als Landesgeschäftsstelle der NPD würde das Flieder Volkshaus selbstverständlich auch ein Schutzobjekt darstellen. Wie bei allen anderen Parteien wurde mit dem Veranstaltungsleiter kooperiert und vor Ort kommuniziert. Bei jeder Veranstaltung würde die PI Eisenach auch eine Gefahrenprognose vornehmen, führte er weiter aus. Jedoch sei die Polizeipräsenz aufgrund des erhöhten Besucheraufkommens im Flieder Volkshaus größer als bei anderen parteilichen Einrichtungen.

Keine negativen Erfahrungen mit KO51

Anschließend wurde der Zeuge zu den dienstlichen Erfahrungen über „Knockout 51“ gefragt. Allerdings hätte die Gruppe für die Eisenacher Polizei überhaupt keine Rolle gespielt. Die Bezeichnung sei ihnen zwar als Kampfsportgruppe bekannt, negative Erfahrungen hätte es allerdings nie gegeben. Auch die Corona-Demos wollte er nicht „Knockout 51“ zuordnen. Vielmehr seien dies allgemein Personen aus der rechten Szene in Eisenach gewesen. Wenn man entsprechende Personen vor Ort angesprochen hätte, seien aber nie Probleme aufgetreten. Besonderheiten in Bezug auf „Knockout 51“ hätte es also weder bei Demos noch anderweitig gegeben.

Später hakte Staatsanwalt Oehme nochmal nach und bezeichnete die bisherigen Ausführungen des Polizeibeamten als „bisschen kryptisch“. Nicht einmal hinter „Knockout 51“ stehende Personen seien ihm bekannt, erwiderte der Zeuge. Er würde lediglich die bloße Existenz und den Namen der Gruppe kennen. Dass sie Kampfsport machen würden, wurde ihm von der Polizeiführung vor etwa fünf Jahren übermittelt. Zu welchem Zweck diese Information weitergegeben wurde, wusste er allerdings nicht. Ob er heute auch noch Infos über Sportvereine in Eisenach erhält, fragte der Staatsanwalt daraufhin spöttisch.

Der Staatsanwalt fragte dann noch weiter, ob er etwas über Gefährderansprachen gegenüber Mitgliedern von „Knockout 51“ wisse. Als er verneinte, ergänzte der Staatsanwalt ironisch, dass er dies ja gar nicht wissen könne. Schließlich kenne er ja gar keine Namen von Mitglieder. Nachdem der Staatsanwalt noch erfolglos nach von der Polizei genutzten Code-Wörtern für „Knockout 51“ fragte, gab er schließlich die Befragung auf.

Verwunderung über Festnahmen

Der Verteidigung kam die Befragung des Polizeibeamten natürlich gelegen. Schließlich passte die relativierende Aussage des Eisenacher Polizisten perfekt in ihr Narrativ der Verharmlosung als Hobby-Sportgruppe. Auf die Fragen von Rechtsanwalt Wölfel gab er zunächst an, dass er selbst für Gefährderansprachen gar nicht zuständig wäre. Während seiner bisherigen Dienstzeit sei ihm zudem nie ein Vorkommnis bekannt geworden, wo die Gruppierung nach außen aufgetreten ist.

Zudem hätte er von den Ermittlungen erst aus der Presse erfahren. Angesichts seines bisherigen Aussageverhaltens erscheint es kaum überraschend, dass ihn auch die Festnahmen verwundert haben. Hinsichtlich des Bulls Eyes würde er außerdem nur die zwei bekannten Vorfälle kennen. Allerdings sei er auch gar nicht im Streifendienst tätig. Die Eisenacher Szenekneipe sei zuvor lediglich ein Objekt mit besonderer Beachtung gewesen, wurde aber mittlerweile ebenso zum Schutzobjekt heraufgestuft. In erster Linie beschränke sich der Schutzauftrag auf regelmäßige Bestreifung. Dies sei auch nach wie vor so.

Die Erstellung von Schutzkonzepten bei Veranstaltungen im Flieder Volkshaus würde außerdem in seinen Zuständigkeitsbereich fallen. Die Gefährdungslage sei zudem seiner Sicht nach höher, wenn beispielsweise für Liederabende eine überregionale Anreise stattfindet, als wenn „nur“ die lokale Nazi-Szene Eisenachs vor Ort ist. Damit endete auch der denkwürdige Auftritt des Eisenacher Polizisten im Zeugenstand.

Corona-Demo in Leipzig

Bevor es nach der Entlassung des Zeugen mit dem üblichen Beweisprogramm weitergehen konnte, stellte der Richter auf Nachfrage von Rechtsanwalt Hentze nochmals klar, dass den Angeklagten keine Aktenbestandteile ausgehändigt werden, damit sie diese mit nach Hause nehmen dürfen. Dies steht vor dem Hintergrund, dass die Angeklagten bereits dafür verantwortlich sein sollen, dass Akten aus anderen Verfahren in rechten Chatgruppen kursieren.

Im Beweisprogramm fehlen noch mehrere Querdenker-Demos, die von den Eisenacher Neonazis als Plattform für politische Gewalt genutzt worden sein sollen. Die nun im Mittelpunkt stehende davon fand am 21. November 2020 in Leipzig statt. Leon R. rechnete im Vorfeld mit einem erhöhten Polizeipotential und riet Bastian Ad., keine Pyrotechnik mitzuführen. Trotzdem wollte er sich selbst vermummen, um eine Identifizierung zu vermeiden.

Schließlich sollen Leon R., Bastian Ad., Kevin N., Lauro B. sowie Marvin W. in einer Gruppe aus insgesamt 36 Personen nach Leipzig gefahren und um 13:39 Uhr am Leipziger Hauptbahnhof angekommen sein. Hierfür wurden Aufnahmen aus den Überwachungskameras des Hauptbahnhofs eingeführt. Dabei wurden die überwiegend vermummten Akteure von „Knockout 51“ sowie sympathisierende Gruppen am Bahnhof für eine Identitätsfeststellung festgehalten. Bei Bastian Ad. wurden Handschuhe mit Knöchelverstärkung festgestellt

Absprachen mit Combat 18 und Marco Zint

Zudem wurde Chats zwischen Leon R. und Stanley Röske eingeführt, die sich sowohl vor als auch nach der Demo ereigneten. Letzterer ist eine Schlüsselfigur der Neonazi-Gruppe „Combat 18“. Trotz des Verbots soll er die Vereinigung fortgeführt haben. Gegen Röske und drei weitere Beschuldigte erhob der Generalbundesanwalt im April 2024 Anklage. In den besagten Chats erkundigte er sich bei Leon R., ob dieser am Samstag auch nach Leipzig fahren werde. Anschließend wurde sich darauf geeinigt, bei der Demo als gemeinsame Gruppe aufzulaufen. Nach der Demo bot Röske außerdem an, bei ihm zu Hause noch ein Bier zu trinken. Außerdem befürchteten beide, dass gegen sie Ermittlungsverfahren aufgrund der „direkten Aufmerksamkeit der ganzen Zecken-Presse“ eingeleitet werden könnten.

Auch Marco Z. Aus Gotha war unter den Teilnehmenden in Leipzig. In einem Gespräch mit Leon R. wurde Z. zudem als Schlüsselfigur für das Protestgeschehen in Gotha angesehen. Leon R. bat ihn darum, an Silvester eine Demo in Gotha zu organisieren. Sie würden die Polizei in Eisenach oder Erfurt „binden“, sodass die Rechtsextremen in Gotha „freie Bahn hätten“. Marco Z. wollte dies auch an „Tino“ schicken, der aus der AfD rausgeflogen wäre, weil er zu rechts gewesen sei. Leon R. wünschte sich, dass es auch in Gotha klappen würde, Querdenker und Nationalisten gemeinsam auf die Straße zu holen. In Eisenach wisse jeder, dass sich die Nazis um Patrick Wieschke für die Bevölkerung einsetzen würde. Gleiches müsse auch in Gotha umgesetzt werden.

Angriff mit Bierflaschen

In der Westthüringen-Gruppe zeigte sich Leon R. enttäuscht, dass sie bislang „nur stundenlang Kessel“ erlebt hätten, während die „Zecken direkt gelaufen [sind]“. Nils A. kommentierte „Sowas hätt’s 1945 nicht gegeben und postete ein Goebbels-Bild. Eine weitere Bilderserie einer privaten Pressestelle zeigte, wie schließlich rechtsextreme Demonstranten die Verfolgung gegenüber Gegendemonstrant:innen aufnahmen, wobei auch Bierflaschen geworfen wurden. Zuvor soll ein Maskierter aus der rechtsextremen Gruppe von einem Vermummten mit einem Straßenschild attackiert worden sein.

Aus einem Gespräch zwischen Leon R. und Bastian Ad. nach der Tat ging hervor, dass beide ebenso an der Verfolgung teilgenommen haben und mutmaßlich schwere Verletzungen beabsichtigt haben. Ad. wünschte sich, den Verfolgten eine Bierflasche an den Kopf zu werfen und auf das „Drecksvieh“ einzuschlagen, „bis der Kopf platzt“. Leon R. bedauerte dagegen, dass der Großteil der „Linksextremen“ ihnen entkommen konnte.

Außerdem ärgerten sie sich darüber, dass die „richtigen Zecken“ direkt gewusst hätten, dass sie in Leipzig auftreten würden und sie daher mehrfach fotografiert wurden. Gegen 17:10 Uhr sei die Gruppe schließlich erneut am Bahnhof eingetroffen. Dabei wurde auch Patrick Wieschke, Marco Z. und Karsten Höhn festgestellt. Gegenüber Ann-Katrin W, erfreute sich Leon R., dass die „dummen Bullen“ gegenüber ihnen keine Beweise hätten. Gleichzeitig war er ratlos, wie sich strategisch hätten verhalten sollen. Seine Idee war dabei, beim nächsten Mal „die Bürgerlichen vorzuschicken“.

Gleiches Spiel in Kassel

Auch bei dem Querdenker-Versammlungsaufzug „Frühlingserwachen“ am 20. März 2021 in Kassel soll die Gruppe um Leon R. gewalttätig aufgetreten sein. Dabei geht der Generalbundesanwalt davon aus, dass Mitglieder von „Knockout 51“ von Leon R.s Mutter, die bereits früher vor Ort war, angefordert wurden, um beispielsweise Polizeiketten vor Ort zu durchbrechen. Hierfür wurden zunächst Gespräche zwischen Leon R. und seinem Bruder Sebastian R. angehört, der in Kassel wohnt. Leon R. berichtete, dass es laut Twitter bereits „paar Zusammenstöße“ gegeben hätte und sie schnell nachkommen wollen.

In einem weiteren Gespräch der Innenraumüberwachung des Fahrzeugs kündigte Leon R. gegenüber seiner Lebensgefährtin Ann-Katrin W. an, noch Bastian Ad. abholen zu wollen. Ulrike E. erzählte bei einem anschließenden Telefonat, dass bereits Wasserwerfer vor Ort wären und alle eingekesselt wurden. Außerdem gäbe es für Fahrzeuge keine Möglichkeit mehr, zentral zu parken, woraufhin Leon R. sie bat, bereits nach einer Parkmöglichkeit Ausschau zu halten. Zu Ann-Katrin W. sagte Leon R. nach dem Telefonat: „Gibt richtig Action, Schlagstöcke und Wasserwerfer. Zecken machen Terror und wir sitzen in Eisenach“. Marvin W. befahl er daraufhin, so schnell wie möglich zu fahren. Leon R.s Bruder meinte zu ihm, dass die „Alten“ Unterstützung bräuchten und bezeichnete die Demo als „typischer Eisenach-Samstagsausflug“.

Um nachzuweisen, wer von den Angeklagten und gesondert Verfolgten in Kassel mitgewirkt hat, wurden dann Bilder der festgestellten Personalausweise eingeführt. Neben Leon R. und Bastian Ad. waren Kevin N., Marvin W. und Lauro B. mit von der Partie. Auch ein Foto von Ad.s rechtem Arm wurde gezeigt. Diesen muss der Mitangeklagte aufgrund verbotener Tattoos stets überdecken. Auch an diesem Tag nahm Ad. noch einen Termin bei dem Tätowierer Eric R. wahr, weshalb sich die Anreise verspätete.

Darüber hinaus soll „Knockout 51“ auch eine Plakataktion am „Citypoint“ in Kassel durchgeführt haben. Diese Aktion besprach Leon R. wiederum mit seinem Bruder. Als diese dann umgesetzt wurde, forderte Leon R. den ebenso mitwirkenden Kevin N. aufzupassen, „dass die Leute nicht gucken“. Schließlich sei er aktuell noch auf Bewährung.

Die Verhandlung wird am folgenden Tag (07.05.) fortgesetzt.