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32. Verhandlungstag KO51 – Dienstag, 19.03.2024

An diesem Tag sollte es weiter um die „Kiezstreifen“ gehen und darum, wie sich die Eisenacher Neonazis Zugang zu persönlichen Daten von politischen Gegner:innen verschafften.

Kritische Prozessbeobachter:innen erschienen an diesem Tag. Auch da waren mehrere Unterstützer der Angeklagten – darunter die Mutter des Angeklagten Leon R. sowie mehreren Begleiter, die in rechter Szenekleidung und mit Tätowierungen rechter Symbole, zum Teil mit Klebeband abgeklebt.

Nachtrag und Antrag

Zu Beginn verkündete der vorsitzende Richter als Nachtrag zum vergangenen Verhandlungstag, dass der Senat nun von mehrere Urkunden im Selbstleseverfahren Kenntnis genommen habe. Dabei ging es um die Standortdatenauswertung der Fahrt zum Schießtraining in Tschechien und um zwei Behördengutachten zu Waffen und dem 3D-Drucker von Leon R.

Dann stellte Rechtsanwalt Hammer (Verteidiger von Leon R.) Antrag darauf, eine von ihm vorgeschlagene Zeugin zu laden, die bei einer bereits am 28. Verhandlungstag thematisierten Schulung im Flieder Volkshaus im Juni 2021 dabei gewesen sei – und die „nichts mit der rechten Szene zu tun“ habe. Mit ihrer Zeuginnenaussage wolle Hammer zeigen, dass die Veranstaltung inhaltlich anders gelagert gewesen sei als in der Anklage beschrieben. So solle die Zeugin entlastend berichten können, dass Leon R. bei der Vorstellung der dort ausgestellten Waffen zwar auch über seinen Compoundbogen sprach, diesen jedoch für den Einsatz gegen politische Gegner als ungeeignet bezeichnet habe – weil zu sperrig und zu bedienungsunfreundlich. Auch solle sie belegen, dass bei der Schulung einerseits nicht nur körperliche Auseinandersetzungen mit Linken sowie illegale und legale Waffen Thema gewesen seien und andererseits, dass nicht nur rechte Szene an Veranstaltung teilgenommen hätte.

Weiter mit „Kiezstreifen“

Anschließend wurde das Thema der sogenannten „Kiezstreifen“ vom letzten Verhandlungstag fortgesetzt. Eine solche Patrouille hätte der Angeklagte Maximilian A. auch am 1. Mai 2021 initiiert und koordiniert. Er hielt die Chatgruppe „Sportgruppe 2.0“ dazu bereits am Vortag auf dem Laufenden gehalten. A. kündigte an, ein Auto zu besorgen, dass Linken nicht bekannt sei und wünschte sich Bastian Ad. als Begleitung. Der gesondert Verfolgte Kevin N. gab in der Gruppe durch, Infos an „Erfurter Kameraden“ zu melden. Am Mittag des 1. Mai kündigte Maximilian A. dann Lauro B. an, dass er und Leon R. ihn abholen würden und ordnete per Telefon an, dass er nachts in Eisenach bleiben solle, falls sie ihn bräuchten.

Mit Autos fuhren mutmaßliche Mitglieder Knockout51 durch Eisenach Patrouille – unter anderem auf Routen vorbei am Flieder Volkshaus und am Bull’s Eye – um Ausschau nach Fahrzeugen mit Linken zu halten. Weitere Telefonate und Chatverläufe von Maximilian A., Julian M., Marvin W., Maximilian H., Bastian Ad. und Leon R. zeichneten nach, wie sie am 1. Mai 2021

Auch Ende Mai 2021 hätten Maximilian A. und Bastian Ad. erneut mit ihren Fahrzeugen durch den Eisenacher „Nazikiez“ patrouilliert. Maximilian A. habe laut Anklage hierbei vertretend für Leon R. Anweisungen erteilt, wo man patrouillieren und Ausschau halten soll.

Am selben Tag informierte Maximilian A. die Mutter von Leon R. telefonisch darüber, dass es eine Messengergruppe gäbe, in der „halb Eisenach“ sei. Die einen Tag zuvor erstellte Signalgruppe namens „Eisenach Sicherheit“ wurde von Leon R. administriert. Zu den mindestens 25 Mitgliedern gehörten auch die Angeklagten Maximilian A. und Bastian Ad. sowie die gesondert Verfolgten Kevin N., Nils A., Lauro B., und auch Stanley Röske. Die Chatgruppe, die der Kommunikation über die Beobachtungen linker Aktivitäten und über etwaige gewaltsame Reaktionen auf diese dienen sollte, wurde bereits am 27. Verhandlungstag eingeführt.

Auch in „Eisenach Sicherheit“ ließ sich nachverfolgen, dass Bastian Ad., Maximilian H. und Stanley Röske Anfang Juli 2021 ihnen verdächtig scheinende Personen bis auf einen Rastplatz außerhalb der Stadt verfolgten, sie belästigten, sichtbar gegen ihren Willen fotografierten und die Fotos in der Chatgruppe teilten. Leon R. hatte zuvor ein Foto von einem Fahrzeug in die Gruppe geschickt und forderte die anderen auf, herumzufahren, um nach der „Zeckenkarre“ Ausschau zu halten. Die Beteiligten stimmten sich auf der Suche stetig telefonisch ab.

In einem Telefonat meinte Maximilian H., unheilvolle „Klopfgeräusche“ an seiner Wand vernommen sowie ein verdächtiges Auto gesehen zu haben. Er gab Leon R. ein Kennzeichen durch. Leon R. versicherte daraufhin, dass er, wenn es „wirklich ernst ist“ auf Abruf mit dem Auto und Verstärkung kommen würden und stellte eine baldige „Schulung“ in Aussicht. Auf H.s Nachfrage meinte Leon R., dass sie zwar keine Kennzeichenlisten führen würden, aber mehrere Kennzeichen aus „der Akte“ hätten. (Mehr dazu im nächsten Abschnitt)

Im Januar 2022 chatteten Leon R. und Nils A. darüber, dass eine Bekannte, die offenbar im Baumarkt arbeitete, mehrere junge Personen beim Einkauf beobachtet hätte und diese „komische Sachen“ gekauft hätten. Leon R. forderte, dass die Beobachterin alles dokumentieren und Personenbeschreibungen liefern solle. Er zog einen Zusammenhang dazu, dass in der Vergangenheit „Zecken beim Spähen“ erspäht worden seien.

Nazis verschaffen sich Zugang zu linken Namen und Adressen

Weiter ging es darum, wie sich die Mitglieder von Knockout51 gezielt Informationen über Linke und deren Angehörige aus Ermittlungsakten beschafften.

Durch seine Zeugenvernehmung nach dem Angriff auf ihn, Leon R., Nils A. und Robert S. am 14. Dezember 2019 waren Maximilian A. die Namen von Tatverdächtigen bekannt. Im Rahmen seiner Vernehmung auf der Eisenacher Polizeiwache fotografierte er die Aktenteile mit Namen und Anschriften der Verdächtigen. Auch von den festgenommen Verdächtigen konnte Maximilian A. auf der Wache offenbar ungestört Fotos machen. Er leitete alle Fotos an Leon R. weiter, welcher sie wiederum u.a. an Patrick Wieschke weitergab. Wieschke veröffentlichte die Namen wenige Stunden später auf Facebook, was an dieser Stelle im Verfahren keine Erwähnung fand.

Leon R. leitete Fotos mit Personendaten u.a. an eine Hannah und an den Hohenkirchener Christian Z. weiter, um anhand der Namen mehr Informationen über Verdächtige und etwaige Zugehörigkeit zur linken Szene zu kriegen. Auch schickte er Aktenteile mit Daten von Tatverdächtigen an seine überregionalen Kontakte, so den Neonazis Pierre B. und Lasse R. von „Adrenalin Braunschweig“, damit diese „ein Auge darauf werfen“ könnten.

Maximilian A. teilte Leon R. im Januar 2021 – kurz nach einem Buttersäureanschlag auf das Bull’s Eye – mit, dass er die Strafakte zum Angriff von 2019 mit seinem Rechtsanwalt angefordert habe. Sie tauschten sich darüber aus, welche Linke sie als vermummte Angreifer:innen dieses Angriffs verdächtigten. Auf Maximilian A.s Frage, ob sie an Aufnahmen von Überwachungskameras kommen könnten, antwortete Leon R., dass er den Eisenacher Polizeibeamten M. anrufen würde.

Leon R. freute sich wenig später, dass er als Geschädigter im „Antifa Ost“-Verfahren durch Akteneinsicht Zugriff auf Informationen über Tatverdächtige bekam. Er äußerte selbst, dass nicht etwa die Aktenteile zum Angriff auf ihn, sondern die Ermittlung wegen einer kriminellen Vereinigung nach §129 für ihn „wohl das interessanteste“ sei. Über seinen Anwalt bemühte er sich im Mai 2021 nochmals um die Akte, die inzwischen mehrere Tatkomplexe umfasste. Bilder von Aktenteilen fanden sich auf einem Mobiltelefon von Leon R. und er übersandte sie auch an Maximilian A. Enthalten waren Namen, Anschriften, Berufstätigkeit, Kennzeichen von Fahrzeugen, Angaben zur Berufstätigkeit, Fotos von Personalausweisen von Verdächtigen sowie auch die persönlichen Daten der Mutter einer tatverdächtigen Person. Leon R. und Maximilian A. überlegten am Telefon auch, wie sie noch mehr über die Eltern herausfinden könnten.

Die besagten Daten nutzte Knockout51 auch für die „Kiezstreifen“. Leon R. teilte die Namenslisten aus den Strafakten in Chatgruppen und Erkenntnisse aus Akten mit Maximilian A. und Lauro B. Weiter regte Leon R. an, dass sie die Kennzeichen von ihnen verdächtig erscheinenden Autos anhand von Umweltplaketten überprüfen sollten, da Kennzeichen gefälscht sein könnten.

Vermeintliche Quelle in linken Kreisen

Beim Thema Informationsbeschaffung ging es auch um eine Person, die die Neonazis der linken Szene zuordneten und die sie über Maximilian A. als Informantin nutzen wollten. Leon R. und Maximilian A. zeigten sich in einem Chat auf Telegram – kurze Zeit nach dem Buttersäureangriff – überzeugt, dass diese ihnen Informationen über linke Strukturen und Personen in Eisenach und überregional liefern würde. Leon R. meinte, sie bräuchten dringend „die Akte“ und wollte der vermeintlichen Informantin Auszüge daraus zukommen lassen.

Leon R. wollte Informationen über vergangene und vermeintlich geplante antifaschistische Angriffe und die Koordinator:innen dahinter gewinnen – und kündigte eine entsprechende Reaktion an: „Eine einzige wertvolle Info reicht […] damit können wir dann alles beenden“. Auch wenn solche Informationen nicht geliefert wurden, vertrauten sie offenbar auf ihre Quelle und diffusen Verdächtigungen, die diese angeblich durch Beteiligung und Zugang zum RosaLuxx erhalten habe. Das Jugend- und Wahlkreisbüro RosaLuxx ging im Nachgang des Verhandlungstages in einer Stellungnahme auf Social Media darauf ein und ordnete die Behauptungen als Falschinformationen ein.

Der besagte Telegram-Zugang auf einem technischen Gerät von Maximilian A. wurde laut Bundeskriminalamt ab Ende Januar 2021 für drei Monate überwacht, jedoch habe er die Überwachungsmaßnahme vorzeitig selbst beendet, als er das betroffene Gerät von seinem Account trennte. Im Messenger war Leon R. unter dem Namen „Leon KO51“ eingespeichert.

Laut Bundesanwaltschaft habe Leon R. nur einen kleinen vertrauten Kreis in das vermeintliche Wissen aus der Quelle eingeweiht – zu diesem Kreis gehörten Patrick Wieschke, Kevin N. und Ulrike E. Auch dem Ermittlungsrichter läge der Chat vor.

Ausblick auf nächste Verhandlungstage

Am nächsten Verhandlungstag sollte es mit einer Reihe an Gesprächen aus Telekommunikationsüberwachung weitergehen. Auch sollte es Gelegenheit geben für Stellungnahmen zum Beweisantrag von Verteidiger Hammer. Auch kündigte der vorsitzende Richter auf Nachfrage an, dass der Senat über die Haftfortdauer der Angeklagten, zum zweijährigen Termin der U-Haft entscheiden, also Anfang April 2024.

Gegen 13.15 Uhr schloss der Vorsitzende den 32. Verhandlungstag. Der nächste sollte am Montag, den 25. März 2024 stattfinden.