Verspätete Angeklagte
Der 29. Verhandlungstag vor dem Thüringer Oberlandesgericht am 30.09.2025 begann mit Verzögerung. Es fehlten zwei der drei Angeklagten: Kevin N. und Marvin W. sitzen in Untersuchungshaft und müssen für jeden Verhandlungstag von der Justiz nach Jena zu Gericht gebracht werden. Ihr Eintreffen verzögerte sich an diesem Verhandlungstag durch Stau auf der Autobahn. Gut eine halbe Stunde später als angesetzt, konnte die Hauptverhandlung dann aber doch fortgesetzt werden, nachdem Kevin N. und Marvin W. in Jena angekommen waren.
Zuerst stand wieder einmal das Anhören von Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) auf dem Programm der Beweisaufnahme. Dabei ging es darum, dass Leon R. als mutmaßlicher KO51-Rädelsführer nach der vorgeblichen Auflösung von KO51 Ende 2021 darauf bedacht gewesen sei, dass nach außen keine KO51-Erkennungszeichen mehr gezeigt und getragen werden, die Mitglieder aber auch im Februar 2022 intern bei Leon R. noch hätten um Erlaubnis ersuchen können, Kleidung mit KO51-Symbolik herzustellen. Beispielhaft hierfür stand ein Chat, an dem das mutmaßliche KO51-Mitglied Benjamin S. beteiligt war, in dem es um das Vorhaben ging, mit KO51-Logos in verschiedenen Aufmachungen und Formaten bedruckte Pullover zu bestellen. Dabei war die Rede davon, dass Leon R. stets die Darstellungen des KO51-Logos absegnen müsse. Zudem gab Leon R. Tipps für das Bedrucken der Kleidung und empfahl eine Firma hierfür.
Die Einführung der – ohnehin schon regelmäßig nur mühsam verständlichen – TKÜ-Ausschnitte war an diesem Verhandlungstag wieder einmal von technischen Problemen und Ausfällen begleitet, was allerdings ein seit Beginn der Hauptverhandlung in diesem Strafverfahren auftretendes Phänomen ist.
Aussage vor dem OLG Dresden im Lina E.-Prozess
Ein weiterer großer Block der eingeführten TKÜ kreiste dann um die Aussage des im ersten KO-Verfahren vor dem Jenaer OLG Angeklagten Maximilian A. im Lina E.-Verfahren vor dem OLG Dresden im Januar 2022. Maximilian A. wurde von Eric K., der ebenfalls im ersten KO51-Verfahren auf der Anklagebank saß, nach Dresden begleitet. Er fuhr ihn von Eisenach nach Dresden und hielt sich dann auch zur Abholung in Dresden für die Rückfahrt bereit. Dabei wähnten sich die mutmaßlichen KO51-Mitglieder wohl in Gefahr vor Angriffen durch Linksextreme. Maximilian A. wies Eric K. darauf hin, dass dieser sich bei der Polizei vor dem Gericht melden solle, da diese den beiden eine Eskorte aus der Stadt hinaus bis auf die Autobahn geben würde. A. und K. wurden dann auch tatsächlich von der Polizei aus der Stadt begleitet. Rechtsanwalt Richter (Verteidigung Wieschke) erklärte dazu, dass KO51 die einzige Terrororganisation der Welt sein müsse, in der man sich regelmäßig gegenseitig dazu rate, mit der Polizei in Kontakt zu treten und polizeiliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Zu diesem Themenkreis wurde auch ein längeres Telefonat zwischen Maximilian A. und seiner Mutter angehört. A. beklagte sich, dass ihm das Handy abgenommen wurde und er sich die Zeit vor und in den Pausen seiner Zeugeneinvernahme mit einer alten ADAC-Karte und Dresdner Kulturzeitschriften vertreiben musste. Zudem sei er von den „Zecken-Anwälten“ in die Mangel genommen worden. Lina – also die im Dresdner Verfahren Angeklagte Lina E. – habe einen halben Meter hinter ihm gesessen und es sei einfach furchtbar gewesen. Weiter kam im Gespräch zur Sprache, dass – so Maximilian A. zu seiner Mutter – ein Mitarbeiter des Eisenacher Bauamtes verhaftet worden sei, der Meldedaten mutmaßlicher KO51-Mitglieder aus dem Eisenacher Einwohnermeldeamt an die für den Brandanschlag am „Bull´s Eye“ Verantwortlichen herausgegeben und an einem Fahrzeug mutmaßlicher KO51-Mitglieder einen GPS-Tracker angebracht habe. Insgesamt stellte Maximilian A. vor allem die psychische Belastung gegenüber seiner Mutter dar, die die Situation der Aussage als Zeuge vor Gericht für ihn bedeute. Auf die Bitte seiner Mutter, nicht mehr in so eine Situation zu kommen, antwortete er, dass er sich das nicht ausgesucht habe.
Für die Verteidigung war in erster Linie jene Passage des Gespräches interessant, in der es um den mutmaßlich „korrupten Beamten“ ging. Diese wurde auf Bitten der Verteidigung sodann auch ein zweites Mal angehört. In einer Erklärung machte Rechtsanwalt Bauerfeind (Verteidigung Kevin N.) deutlich, dass das Gespräch für ihn zeige, dass KO51 ein gutes Verhältnis zur Polizei gepflegt habe, wohingegen Behördenmitarbeiter mit Linksextremisten zusammengearbeitet hätten. Die Verteidigung stellt auch sonst immer wieder einen ihrer Auffassung nach vorhandenen Schutzbedarf der mutmaßlichen Mitglieder der Gruppierung vor Angriffen und Übergriffen Linksextremer in den Vordergrund.
Fortbestand von Knockout 51
Letzter großer Punkt des Beweisprogramms dieses Tages war der Fortbestand der Vereinigung über den Zeitpunkt der Verhaftung von Leon R., Bastian Ad., Maximilian A. und Eric K. – also der Angeklagten des ersten Knockout-Prozesses – am 6.4.2022 hinaus. Dazu wurde eine Fotokollage aus neun Einzelbildern in Augenschein genommen. Diese wurde auf dem Mobiltelefon des Angeklagten Marvin W. gefunden und zeigt mutmaßliche Vereinigungsmitglieder nach diesem Zeitpunkt zusammen.
Die Verteidigung bestritt vehement, dass es sich um einen geeigneten Beleg für die Fortführung der Vereinigung handele, denn Bilder von der Zeit vor der Auflösung der Gruppierung bzw. vor der Inhaftierung würden längst noch nicht den Fortbestand beweisen. Auch Kevin N. gab dazu persönlich eine so lautende Erklärung ab und sprach einer Collage jeglichen Beweiswert für den Beleg der Anklagethese über den Fortbestand der Vereinigung ab. Sein Verteidiger Rechtsanwalt Bauerfeind stellte die Gegenthese auf, dass es sich bei der Collage vielmehr um ein Geburtstagsgeschenk für Leon R. gehandelt habe. Dieser habe schließlich am 29.1. Geburtstag und aus den Metadaten des Bildes ergab sich, dass es am 29.1.2023 versendet wurde.
Auf der Bildcollage waren neben Leon R. und Maximilian A. auch Marvin W. und Kevin N. zu sehen. Kevin N. bemerkte in seiner Erklärung, dass er die Hälfte der Leute auf dem Gruppenbild in der Mitte der Collage zwar kenne, die andere Hälfte jedoch nicht. Auch liege zwischen den einzelnen Bildern ein zum Teil erheblicher zeitlicher Abstand, sodass daraus nichts abgeleitet werden könne.
Ähnliche Argumentationen verfolgte die Verteidigung in Reaktion auf die Einführung weiterer Beweismittel, aus der der Generalbundesanwalt (GBA) die These des Fortbestandes der Vereinigung ableitete. Konkret ging es dabei zum einen um den sogenannten „Saalschutz“ im Flieder Volkshaus, den Marvin W. noch von August 2022 bis in das Jahr 2023 organisiert, eingeteilt und ausgeführt haben soll. Aus den dazu eingeführten Chats ergab sich, dass dies offenbar auf Bitten und in Koordination mit Wieschke geschah. Weitere Chats dazu sind zur Einführung in die Hauptverhandlung im Wege des Selbstleseverfahrens vorgesehen.
Darüber hinaus hat der Strafsenat Beweis zu der Anklagethese des GBA erhoben, dass KO 51 auch noch im März 2023 seine Vormachtstellung in Eisenach demonstriert habe, so etwa durch einschlägige Aufkleber. So wurde in diesem Zeitraum auf einer Baustellenabsperrung im Bereich der Alexanderstraße in der Eisenacher Innenstadt ein 10 x 10 cm großer „Antifa hat Eisenach-Verbot“-Aufkleber gefunden, der eine Darstellung zeigt, bei der eine weiß dargestellte Person einer anderen schwarz dargestellten Person in den Kopf schießt. Diesen Fund brachte ein örtlicher Wahlkreismitarbeiter der Partei Die Linke zur Anzeige, woraufhin die Polizei ein Ermittlungsverfahren wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten nach § 111 des Strafgesetzbuches einleitete und an die Staatsanwaltschaft Meiningen abgab.
Zudem wurden weitere Sticker wie „Defend Eisenach“ oder „Nazi Kiez“ bei einer Durchsuchung bei Julian M. gefunden. Julian M. wurde laut Anklagethese von Marvin W. für den Saalschutz engagiert. Die Chats, die dies belegen sollten, sind allerdings für die Einführung im Selbstleseverfahren vorgesehen worden. Julian M. soll dem GBA zufolge darüber hinaus auch Kontakt zu Florian O. gehabt haben, den wiederum die Anklage KO51 als festes Vereinigungsmitglied zurechnet.
Reaktionen der Verteidigung: keine Belege für Fortbestand der Vereinigung
Die Verteidigung führte in weiterer Reaktion auf diese Beweiserhebungen in mehreren Erklärungen aus, dass es sich lediglich um weit hergeholte Konstruktionen des GBA handele, die mit den eingeführten Beweismitteln nicht zu belegen seien. Wieschkes Verteidiger Richter bezeichnete es als steile These, den Fortbestand der Vereinigung aus einer Collage herzuleiten, von der man nicht einmal wisse, wer sie erstellt hat. Weiterhin könne man einen Vereinigungsfortbestand auch nicht aus Security-Tätigkeiten von Marvin W. schließen, der immerhin zum Vorstand im Flieder Volkshaus-Verein gehört habe und sich insofern einfach nur um vereinsinterne Veranstaltungsorganisation gekümmert habe. Genauso ungeeignet für den Beleg des Fortbestandes sei ein verklebter Sticker, der auf irgendeiner Baustelle in Eisenach gefunden wird oder Sticker, die bei irgendeinem gefunden würden, der einen von KO51 kennt. Es sei absurd und unverständlich, wie man derartiges überhaupt in eine Anklageschrift schreiben könne.
Ähnliche Töne schlug Richters Kollege, ebenfalls Verteidiger Wieschkes, Rechtsanwalt Baitinger an. Ihn wundere es, mit welcher Vehemenz die GBA-Vertreter Infantiles und Absurdes verteidigen würden. Das sei schwer erträglich für jemanden, der noch rechtsstaatlich denkt.
In einem verlesenen Chat, in dem sich mehrere Thüringer Neonazis und Angehörige der rechtsextremen Szene vernetzt hatten und in dem auch Kevin N. Mitglied war, äußerte sich N. in Reaktion auf eine MDR-Meldung über den Überfall auf einen – den Chatteilnehmern offenbar bekannten – Neonazi in Erfurt im Januar 2023 dahingehend, dass jeder, der keine legalen Waffen bei sich trage, fahrlässig handele. Die Linken hätten zum Teil Äxte und Hämmer und kämen, wenn man nicht damit rechne, etwa nach der Arbeit. Er denke, dass auch eine Tötung nur noch eine Frage der Zeit sei.
In Reaktion hierauf erklärte Rechtsanwalt Richter, dass auch daraus weder ein Fortbestand der Gruppierung abgeleitet werden könne noch sonst etwas Belastendes zu schließen sei, immerhin schreibe Noeske im Chat von legalen Waffen, um Linke auf Abstand zu halten.
Zu alledem erwiderte der Sitzungsvertreter des GBA, Staatsanwalt Oehme, dass man natürlich alles, was sonst in der Beweisaufnahme eingeführt wird, in der eigenen Würdigung weglassen könne, die Frage sei nur, wie sinnvoll das ist. Schließlich sei es ja nicht so, dass Aufkleber wie „Defend Eisenach“ oder „Nazi Kiez“ im bisherigen Verfahrensverlauf nicht schon untergekommen seien. Auf der Collage haben man einen Pullover mit „Lina rein, Leon raus“ sehen können. Diese habe es erst nach der Verhaftung von Leon R. gegeben. Da ergebe es keinen Sinn, zu sagen, man wisse nicht, von wann einzelne Bilder stammten.
Dem setzte die Verteidigung weitere Erklärungen entgegen. Rechtsanwalt Bauerfeind argumentierte etwa, dass die Bezeichnung „Nazi Kiez“ eine bloße Floskel sei, die ganz oft verwandt werde und das nicht nur in Eisenach, sondern überall. Sie sei beliebt in der rechten Szene, so wie die Antifa „Antifa Area“ oder „Antifa Zone“ verwende und spraye, genauso sei auch dieser Begriff zu verstehen. Der GBA versäume es, überall dort, wo „Antifa Area“ oder „Antifa Zone“ gesprayt wurde, wegen krimineller Vereinigung zu ermitteln, weil dann auch dort ein Ordnungsmachtsanspruch vermittelt würde.
Rechtsanwalt Baitinger argumentierte unter Anschluss der anderen Verteidiger noch einmal, dass alte Bilder nichts über den Vereinigungsfortbestand aussagen könnten. Auch er habe noch ein T-Shirt eines früheren Arbeitgebers in seinem Kleiderschrank, was lediglich darauf schließen lasse, dass er dort einmal beschäftigt gewesen sei, nicht aber, dass er es heute noch ist.
Nach einer Fülle derartiger Verteidigererklärungen, war der kontroverse Austausch über die Beweiserhebung des Tages abgeschlossen und der Verhandlungstag konnte mit einer Selbstleseanordnung des Vorsitzenden, mit der weitere Chats sowie Teile des Urteils des OLG Dresden im Lina E.-Verfahren in die Hauptverhandlung im Selbstleseverfahren eingeführt werden sollen, sein Ende finden.
