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Knockout 51 - Prozess 2 (2025)

16. Verhandlungstag – KO51 -Zweiter Prozess – 22.07.2025

Die Themen dieses Verhandlungstags waren Sticker- und Graffiti-Aktionen von Knockout 51 in Eisenach sowie das Vorhaben, einen „Nazi-Kiez“ zu bilden. Auch Gewalttaten und -fantasien der Gruppenmitglieder wurden aus der Beweisaufnahme deutlich.

Unter den Beobachter*innen befand sich eine Person von der Presse und sechs Prozessbeobachter*innen, darunter keine Unterstützer*innen der Angeklagten.

Verteidiger von Patrick Wieschke nehmen Aussage von Kevin N. dankbar an

Der Verhandlungstag begann mit Erklärungen der Verteidiger von Patrick Wieschke nach § 257 StPO zu der Aussage des Angeklagten Kevin N. am Vortag, 21. Juli. Die Verteidiger von Kevin N. und Marvin W. gaben keine Erklärungen ab.

Die Verteidiger von Patrick Wieschke nutzten die Aussage von Kevin N. zur Bestätigung ihrer eigenen bisherigen Argumentation. Sie sagten, dass dessen Einlassungen zeigen würden, dass Knockout 51 allein aus Gründen des Selbstschutzes infolge von „Angriffen aus der linken Szene“ gehandelt hätte. Gewaltvolle Aussagen seien laut RA Richter Ausdruck eines „schwarzen Humors“ gewesen.

In Bezug auf ihren Mandanten Patrick Wieschke würde die Aussage von Kevin N. zeigen, dass Wieschke „eher älter“, „bürgerlicher“, „vielleicht auch langweilig“ auf Knockout 51 gewirkt hätte und nicht in die interne Gruppenkommunikation und Aktionen involviert gewesen sei.

Der Verteidiger von Patrick Wieschke regte zudem an, Polizeibeamten aus Eisenach als Zeugen vor Gericht vorzuladen. Diese sollten verifizieren, dass die Angeklagten mehrfach die Polizei informiert hätten, wenn sie Auffälligkeiten im Viertel festgestellt hätten (anstatt selbstständig zu handeln). Dies hatte Kevin N. am Tag zuvor ausgesagt. Von den anderen Verfahrensbeteiligten kamen keine Reaktionen zu diesem Vorschlag. In der Vergangenheit wurde bereits gegen Polizeibeamte ermittelt, die mutmaßlich Informationen an Knockout 51-Mitglieder durchgestochen oder in einem Fall sogar Teil der Gruppe gewesen sein sollten. Die Ermittlungen wurden Anfang 2025 eingestellt.

Sticker- und Graffiti-Aktionen von Knockout 51

Die folgende Beweisaufnahme drehte sich zunächst um Sticker- und Graffiti-Aktionen der Gruppe. Laut der Anklageschrift wären diese im Frühjahr 2021 durchgeführt worden, um auf Anschläge auf rechte Immobilien und Personen zu reagieren und die Vorherrschaft von Knockout 51 im „Nazi-Kiez“ zu demonstrieren. Es wurden Gespräche aus der Überwachung von Leon R.’s Auto sowie mehrere Telefonate zwischen Knockout 51-Mitgliedern angehört, die größtenteils bereits am 22. Verhandlungstag des ersten Prozesses eingeführt wurden.

Aus den Gesprächen wird vor allem ersichtlich, dass sowohl Marvin W. als auch Kevin N. in diese Aktionen (teilweise) involviert bzw. darüber informiert waren. Mehrmals wird darüber gesprochen, gemeinsam „im Viertel eine Runde laufen“ oder sprühen gehen zu wollen. Leon R. stellt in einem Gespräch mit Bastian Ad. und einer weiteren Person fest, dass gesprühte Hakenkreuze oder „Sieg Heil“-Schriftzüge sehr schnell von der Stadt entfernt werden. Im Auto hört Leon R. die rechtsextremen Bands Nordfront und Division Germania.

Vorgelesen werden zudem die Aufschriften Hunderter Sticker und Plakate, die bei Durchsuchungen in der Kneipe Bull’s Eye gefunden wurden. Darunter sind u.a. folgende Sprüche: „Anti-Antifa“, „Zecken boxen“, „Hunt your local dealer – Duterte youth“ mit Referenz auf den ehemaligen Präsidenten der Philippinen Rodrigo Duterte und dessen menschenrechtswidrigen Drogenkrieg, „The white race“, „We must secure the existence of our people”, „Freiheit für Horst Mahler“ (den kürzlich verstorbenen Holocaust-Leugner), „Loving violence is not a crime“, „Märtyrer sterben nicht“ mit einem Bild des NS-Verbrechers Rudolf Heß, „Solidarität mit Palästina – für das Selbstbestimmungsrecht der Völker“, „Nationalismus ist auch Mädelssache – traut euch was“ von den Jungen Nationalisten. Es wurden auch Sticker gefunden, die sich den verbotenen Gruppierungen Blood and Honour und Combat 18 zuordnen lassen.

Zusammenzug im “Nazi-Kiez”

Zweites Thema der Beweisaufnahme war der Zusammenzug mehrerer Knockout 51-Mitglieder in das Viertel Eisenach West (siehe auch Verhandlungstag 23 des ersten Prozesses). Dazu zählten Marvin W., Kevin N., Leon R. und Maximilian A. Auch das Bull’s Eye und das Flieder Volkshaus befinden sich in diesem Stadtteil. Kevin N. bestätigte auf Nachfrage eines GBA-Vertreters, dass er eine Zeit lang mit Leon R., dessen Lebensgefährtin und deren Kind in einem Haus lebte.

Auf einer Aufnahme aus Leon R.’s Auto ist zu hören, dass er einen Besucher aus dem Raum Bamberg sowie einen weiteren unbekannten Besucher durch Eisenach fährt. Er zeigt ihnen die Standorte linker Räume sowie die Stadtteile West und Nord. Dem Unbekannten bietet er an, dass er ihm Wohnung und Arbeit vermitteln könnte, wenn der nach Eisenach ziehen will. Eisenach West beschreibt er als „Nazi-Kiez“, wo 20 % die NPD und 30 % die AfD wählen würden: „also knapp die Hälfte der Leute sind rechts, hier wohnen wir echt gern.“ Ähnliches sagt Leon R. in weiteren Gesprächen in seinem Auto, bei denen u.a. Kevin N. dabei ist. Hingegen werden „der Westen“ und insbesondere der Stadtteil Dortmund-Dorstfeld als „verlorener Posten“ beschrieben.

Argumentative Verrenkungen der Verteidigung

Eine Neuerung in der Beweisaufnahme ist bei diesem Prozess, dass auf Anregung der GBA die relevanten Gesprächsabschnitte überwiegend in voller Länge und der richtigen Reihenfolge angehört werden. Dadurch lassen sich Gesprächsverläufe besser erschließen.

An einer Stelle verlangten jedoch sogar die Verteidiger, ein Gespräch noch länger anzuhören. RA Richter begründete dies damit, dass eine Person bei der Autofahrt sagen würde, er wolle sich eine K*******-Pizza holen. Das würde darauf hindeuten, dass die Gruppe sich Essen bei einem ausländischen Restaurant holen wolle – was nicht dazu passen würde, dass die Gruppenmitglieder ein Problem mit Ausländern hätten, so der Verteidiger von Patrick Wieschke.

Weiterhin argumentierte RA Richter, dass der frühere Alkohol- und Drogenkonsum von Knockout 51-Mitgliedern dagegen spräche, dass die Gruppe Drogenabhängige als minderwertig betrachten würde.

Gewaltverherrlichung und -verharmlosung

[Content Note: explizite Beschreibungen von Gewalt, auch sexualisierter Gewalt; rassistische und frauenverachtende Sprache]

Als Teil der Beweisaufnahme wird an diesem 16. Verhandlungstag auch ein Gespräch zwischen Leon R. und Kevin N. angehört, mit dem Letzterer bei seiner Aussage am Vortag bereits konfrontiert wurde. Leon R. sagt, dass er einer Person einen Teleskopschlagstock „so tief in seinen Arsch“ schieben wollen würde, „dass der das tagelang noch schmeckt“. Kevin N. antwortet, wenn sie das mit Knockout 51-Klamotten machen würden, hätten sie „gleich wieder einen Ruf hier“ und „die Zecken scheißen sich ein“ und würden „alle nach Leipzig“ ziehen.

Kevin N. hatte, als er mit diesen Aussagen konfrontiert wurde, ausgesagt, dass das alles humorvoll gemeint gewesen wäre. RA Richter hatte in seiner Erklärung nach § 257 (s.o.) zudem gesagt, dass die Gewaltfantasien nicht ernst gemeint sein könnten, weil unklar sei, wie es „anatomisch überhaupt möglich sein soll“, einer Person einen Teleskop-Schlagstock rektal einzuführen. Die Verteidiger von Kevin N. reagierten jetzt ähnlich. RA Bauerfeind sagt, dass die beschriebene Handlung so nicht möglich sei und es sich deswegen um „keine seriöse Planung“ handele. RA Picker sagt, dass man anhand des Gelächters auf der Aufnahme feststellen könne, dass es nicht ernst gemeint sei und ihn diese Sprüche an seine Zeit bei der Bundeswehr erinnern würden.

Ebenfalls thematisiert wurden die Angriffe des im ersten Prozess Angeklagten Bastian Ad. auf eine Person, die verdächtigt wurde, am Angriff auf das Bull’s Eye beteiligt gewesen zu sein sowie eine Person, die mit Knockout 51 trainiert hatte und im Antifa-Ost-Verfahren über die Gruppe ausgesagt hatte. In diesem Zusammenhang wurden Chatverläufe, u.a. längere Passagen aus der Chatgruppe „Shitposting“ vorgelesen, in der die Gewalttaten von anderen Mitgliedern der Gruppe befürwortet werden.

Darüber hinaus enthalten die angehörten Gespräche mehrfach enorm gewaltverherrlichende und frauenverachtende Passagen. Dieser Aspekt der Unterhaltungen der Knockout 51-Mitglieder wurde bislang noch nicht von der Anklage oder den Richtern thematisiert. Auffällig ist sexualisierte, gewaltvolle und abwertende Sprache gegenüber Frauen, die die Gruppe rassistisch bezeichnet oder als links einordnet. Bei einer Autofahrt mit Leon R., Bastian Ad., Kevin N. und Nils B. wird darüber diskutiert, unter welchen Bedingungen es „Rassenschande“ wäre, mit einer Schwarzen Frau (sie verwenden eine rassistische Bezeichnung) Sex zu haben. Auf einer weiteren Autofahrt freuen sich Leon R., Bastian Ad. und eine weitere Person über einen Bekannten, der eine Frau angespuckt hätte, nachdem diese ihn als Sexisten bezeichnet hätte.

Vermutlich der gleiche Bekannte hätte auch zwei Polizisten gewalttätig angegriffen und eine andere Person mit einer Schreckschusspistole bedroht. Die Gesprächsteilnehmenden wirken begeistert über diese Taten. Kurze Zeit später sagt einer der Gesprächsteilnehmer, dass sie mal „ein paar N**** wegpfeffern“ sollten.

Verhalten im Gerichtssaal

Trotz oder sogar gerade wegen solcher Aussagen wird an diesem Verhandlungstag noch mehr gelacht als sonst in diesem Verfahren. Vor allem beim Verlesen des Chats aus der Shitposting-Gruppe und der darin enthaltenen abwertenden und gewaltvollen Aussagen sind die drei Angeklagten fast durchgängig am Grinsen und Kichern.

Als die Nachricht „Venum tragen, Junkies jagen“ aus dem Chat vorgelesen wird, beugt sich Kevin N. erfreut zu seinen Verteidigern nach vorn und zeigt auf sein Shirt, das vermutlich ebenfalls von der Marke Venum ist.

Der vorsitzende Richter reagiert nicht auf dieses Verhalten; eine Zurechtweisung erfolgt nicht.

Formalitäten

Die Verteidiger von Patrick Wieschke nehmen ihre Verwertungswidersprüche für Telekommunikations- und Fahrzeuginnenraumüberwachungen zurück, da ihnen nun die richterlichen Beschlüsse für diese Maßnahmen vorliegen.

RA Richter stellt einen Beweisantrag, einen vollständigen Grundbuchauszug zum Flieder Volkshaus ins Verfahren aufzunehmen. Dieser soll nachweisen, dass nicht Patrick Wieschke, sondern Jan Z. alleiniger Eigentümer des Gebäudes sei. Vor allem aber soll damit die Glaubwürdigkeit eines Zeugen infrage gestellt werden, der in seiner Aussage gesagt hatte, dass Patrick Wieschke der Eigentümer des Flieder Volkshauses sei. Ein Vertreter der GBA widerspricht, dass der Zeuge keine Tatsachenbehauptung getätigt hätte und die Glaubwürdigkeit seiner Aussage dadurch nicht in Zweifel gezogen werden würde.

RA Picker stellt einen Antrag, eine Kriminalbeamten als Zeugen anzuhören, der für die Ermittlungen und Maßnahmen gegen Knockout 51-Mitglieder im Zuge einer Demonstration in Kassel zuständig gewesen wäre. Picker erschließe sich nicht die Rechtmäßigkeit der getroffenen Maßnahmen und sagt, dass willkürliche Polizeimaßnahmen Auswirkungen auf die Einstellung der Betroffenen zu staatlichen Institutionen hätten. Der Vertreter der GBA widerspricht dem Antrag.