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Knockout 51 - Prozess

22. Verhandlungstag KO51 30.01.2024

Der 22. Verhandlungstag begann mit leichter Verspätung und wieder unter den Augen einiger weniger kritischer Zuschauer:innen. Neben der Verbindung zu „Adrenalin Braunschweig“ sollte es an diesem Tag weiter um Testosteronkonsum, die Etablierung von Knockout51 als rechte Ordnungsmacht in Eisenach und um den Einsatz von Graffiti und Aufklebern u.a. zu diesem Zwecke gehen.

Antisemitische Haftpost als Verbindung zu „Adrenalin Braunschweig“

Wie am vergangenen Verhandlungstag bereits durch die Bundesanwaltschaft angeregt, wurden nun zwei Briefe thematisiert, die die Angeklagten Leon R. und Maximilian A. am 7. Februar 2023 in ihrer Haft vom Braunschweiger Neonazi Lasse R. von der Gruppe „Adrenalin Braunschweig 381“ erhielten. Der zugehörige Beschluss vom Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof wurde dazu verlesen, der die Beschlagnahmung der Briefe als in Betracht zu ziehende Beweismittel begründet.

Nur einer der beiden Briefe wurden verlesen, da diese sich glichen und der Inhalt des Briefs „kritisch“ sei, so der vorsitzende Richter.

In dem Brief wünschte Lasse R. seinem „Kamerad“ zunächst, durchzuhalten – „Heil dir, Max“ – und berichtete dann von einer „Banneraktion“, die er im vergangenen Jahr in Solidarität mit den Inhaftierten von Knockout51 an einem Gefängnis in Braunschweig gemacht habe, wozu dem Brief auch ein Foto beigelegt war, das ein Banner, auf dem u.a. „#51unvergessen“ zu lesen war. Der Verfasser fragte, wie er sonst noch unterstützen könnte, z.B. mithilfe eines Spendenkontos. Dann wurde ein unmissverständlich antisemitisches Gedicht, zitiert aus dem nationalsozialistischen Buch „Der Giftpilz“ zitiert und mit „Sieg Heil“ geendet. Lasse R. berichtete weiter in dem Brief von einem Vorfall im Tattoostudio von Neonazi David Köckert und von politischen Gegnern als „Schmutz“.

Wegen der potenziellen Beweisbedeutung für die regionale Vernetzung von „Knockout51“ mit anderen rechten Kampfsportgruppen wie „Adrenalin Braunschweig“ sei der Brief relevant. Ein Verteidiger schlug vor, die Einschätzung eines Nachrichtendienst einzuholen, da seiner Meinung nach jemand schon „nicht ganz helle“ sein müsse, solch einen Brief ins Gefängnis zu schicken – was seine Echtheit in Zweifel stelle.

Nachtrag und Gutachten zu Testosteronkonsum

Es folgte auf Anregung der Bundesanwaltschaft ein Nachtrag zum Thema Testosteron-Konsum. Hier wurden Fotos gezeigt, die u.a. Leon R. und den gesondert Verfolgten Ben S. bei Spritzenverabreichung zeigten und welche in die bereits am letzten Verhandlungstag thematisierte „Shitposting“ Chatgruppe geschickt wurden.

Anschließend bestätigte Verteidiger Urbanczyk, dass sein Mandant Eric K. einem Sachverständigen-Gutachten über eine etwaige Testosteronsucht zustimme. Die Bundesanwaltschaft nahm insofern Stellung dazu, dass sie gerne bei der Sachverständigensuche einbezogen würden. Sie selbst sähen allerdings keinen Bedarf für das Einholen des Gutachtens, dafür fehlten sachbezogene Anknüpfungspunkte. Falls ein Gutachten in Auftrag gegeben werden sollte, würden die Anklagebehörde dieses – anders als die Verteidigung – eher auf die etwaige Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§64 StGB) erstrecken.

Knockout51 als Ordnungsmacht durch „Saalschutz“ und „Kiezpflege“

Das Beweisprogramm wurde, inhaltlich an den letzten Verhandlungstag anknüpfend, fortgeführt. Es wurde weiter das vorgeworfene Ziel von „Knockout51“ betrachtet, eine Ordnungsmacht in Eisenach zu etablieren. Mehrere überwachte Telefonate von Leon R.s Mobiltelefon und Chatverläufe wurden herangezogen hinsichtlich der Ausübung des „Saalschutzes“ durch mutmaßliche Vereinigungsmitglieder im Flieder Volkshaus. Konkret ging es dabei um eine Musikveranstaltung im Flieder Volkshaus am 11. September 2019, bei welcher das für Leon R. relevante Ziel des „Saalschutzes“, die potenzielle Auseinandersetzung mit politischen Gegnern, deutlich wurde. Maximilian A. und Bastian Ad. hätten in der Umgebung des „Flieder Volkshauses“ patrouilliert und dabei ein Auto als verdächtig und als eines von Linken eingeordnet, was sie per Anruf an Leon R. durchgaben. Ergänzend dazu gab der vorsitzende Richter einen Observationsbericht des Bundeskriminalamts ins Selbstleseverfahren.

Bei jener Veranstaltung habe Leon R. einen betrunkenen Gast, der randaliert hätte, bewusstlos geschlagen und gewürgt. Es wurden dazu Chats verlesen und Aufnahmen von der Überwachungskamera über dem Eingang vom Flieder Volkshaus gezeigt. In den Chatverläufen zeichneten Leon R. und der gesondert Verfolgte Marc B. diffus einen Abend von Eskalationen zwischen Männern nach. Dabei gewesen seien u.a. Eric R. – der dem Angeklagten Eric K. das SA-Symbol tätowierte (siehe 20. Verhandlungstag) und bereits mehrfach wegen Körperverletzung zu Haftstrafen verurteilt wurde – und Patrick Wieschke. Die Chatpartner brüsteten sich mit ihrer Gewaltausübung, belustigten sich ausführlich über eine Person, die durch Leon R. „Schläge kassiert“ habe und eine, die sich an dem Abend den Kiefer gebrochen habe. Leon R. betonte im Chat, dass er jemanden auch noch ein zweites Mal „k.o. geschickt“ hätte. Auch in einem Gruppenchat wurden entsprechende Ausschnitte aus den Überwachungsvideos geteilt und gefeiert.

Die Verteidigung wies in einer Erklärung die Vorwürfe hinsichtlich „Saalschutz“ und der kriminellen Ausrichtung von „Knockout51“ zurück. So ordneten die Verteidiger Leon R.’s Verhalten als Notwehrreaktion ein, zweifelten den Beweiswert der soeben eingeführten Chats mit Marc B. und generell den Zusammenhang zwischen dieser Betätigung im „Flieder Volkshaus“ und „Knockout51“ an. Sie betonte in bekanntem Modus einer Täter-Opfer-Umkehr, dass sich Nazis nicht mehr in Eisenach sicher fühlten wegen linken Angriffen und des dort angeblich bestehenden rechtsfreien Raums. So sei aber die angesprochene Thematik „Saalschutz“ höchstens ein Fall für die Gewerbeaufsicht oder das Finanzamt, nicht jedoch für den Generalbundesanwalt und den Senat des Oberlandesgerichts.

Nach einer kurzen Pause wurde mit einer nächsten These fortgesetzt: Leon R. habe von „Kiezpflege“ gesprochen bezüglich der durchgeführten Patrouillen und Streifengänge „seine[r] Jungs“ durch Eisenach durch „Knockout51“. Dies wurde durch einen Chat zwischen Leon R. und seiner Mutter Ulrike E. aus dem Jahr 2018 belegt. In diesem äußert sich Ulrike E. außerdem zum „Flügelkampf“ der AfD und meinte, dass sie von einem Landesverband kontaktiert worden sei, die zwar nicht dem „Nationalen Aufbau“ aber den „Nationalisten“ geschlossen beitreten wollen würden.

Graffiti als Machtdemonstration und Überschneidungen mit „Kontrakultur Erfurt“

Weiter ging es um die Außendarstellung und Machtdemonstration, für die die Mitglieder von Knockout51 laut Anklage auch Graffiti genutzt hätten, was auch schon durch ein Graffiti von Kevin N. ersichtlich sei, der zur Gründungsfeier 2019 das Logo von Knockout51 auf eine Wand gebracht habe.

In Chatverläufen von 2020 trafen Leon R. und Kevin N. Absprachen für ein Graffiti in Solidarität mit der neonazistischen Hooligangruppe „Jungsturm Erfurt“ an einer legalen Wand. Von dem entstehenden und fertigen Graffiti schickte Kevin N. Fotos. Zuvor hatte Leon R. ein Graffiti für „Junge Revolution“ als Idee in den Raum gestellt. Rechtsanwalt Wölfel (Verteidiger von Leon R.) stellte den Bezug zu „Knockout51“ infrage und verwies auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofs von 2016, laut dem „solche Sprühereien“ nicht geeignet seien für den Tatbestand des §129.

Im April 2021 habe Leon R. laut Anklageschrift eine Reaktion auf eine Serie von Anschlägen auf Personen und Gebäude der rechten Szene für erforderlich gehalten. Deshalb habe er Kevin N. beauftragt, für eine Wand ein Motiv zu entwerfen und Sprühdosen zu organisieren, um ein Graffiti mit „Defend Eisenach. Wir bleiben motiviert. Eisenach bleibt rechts“ zu sprühen. Tage später regte Leon R. an, dass Kevin N. im Rahmen einer Graffiti-Aktion Bastian Ad., Maximilian H. und Marvin W. das Sprühen beibringen solle. Dazu wurden Chatverläufe und Gespräche von Leon R. aus der Mobilfunk- und Innenraumüberwachung eingeführt.

Es wurden Chatverläufe aus Juli 2021 inklusive mehrerer Videos eingeführt, die sich um ein rassistisches Graffiti in Erfurt drehten. Kevin N. schien als Initiator der Aktion zu agieren und bat Leon R., als Kameramann einzuspringen, um ein Video davon zu erstellen. Die Videos, die Leon R. dann am 25.07.2021 an Kevin N. schickte, zeigten den Entstehungsprozess eines Graffitis mit dem Text „White Boy Summer“ an einer Wand im Norden von Erfurt. Ein Foto von dem entsprechenden Graffiti fand sich einen Tag später auf Kanälen von „Kontrakultur Erfurt“. In den von Leon R. versendeten Videos ist unter mehreren Männern auch der Erfurter Neonazi Philippe A. erkennbar. Bei der vermummten Person, die im Video hauptsächlich sprühte, dürfte es sich um Kevin N. handeln. Zusätzlich zu dem Originalsequenzen schickte Leon R. Zwischenstände vom Schnitt des Materials in einem Videoprogramm und schließlich ein fertig zusammengeschnittenes Video, in der das Logo der extrem rechten Gruppierung „Kontrakultur Erfurt“ eingeblendet wurde.

Daraufhin wurde auf illegal angebrachtes Graffiti durch mutmaßliche Knockout51-Mitglieder eingegangen. Zunächst hatte Leon R. in einem Gespräch im April 2021 Bastian Ad. und Maximilian H. ermahnt, beim Sprühen von Hakenkreuzen aufzupassen, weil diese umgehend von der Stadt Eisenach wieder entfernt würden. Stattdessen gab er in einem Gespräch die Empfehlung, „Nazikiez“ zu sprühen. Maximilian H. habe dennoch ein „Sieg Heil“ gesprüht und sei dann enttäuscht gewesen, dass dies schnell entfernt worden sei. Einige Tage später hätten Leon R. und Bastian Ad. mit Maximilian H. und Marvin W. nachts eine Graffitiaktion „Nazi Kiez“ durchgeführt, wofür mehrere Gespräche der mutmaßlich Beteiligten herangezogen wurden. Leon R. sei dabei in der Nacht Patrouille gefahren, um die anderen vor etwaigen Polizeistreifen zu warnen, wobei laut Zuordnung der Polizei auf dieser Fahrt auch Kevin N. dabei war. Zuletzt wurde ein Dialog abgespielt, in dem Eric K. fragte, ob Leon R. nach dem Sport mitkäme zum „taggen“, um den „Nazikiez“ als ihren zu markieren. Leon R. habe nicht teilgenommen, aber angeboten, Sprühdosen zu Verfügung zu stellen.

Aufkleber von „Defend Eisenach“ bis „Für Heimat und Verein“

Anschließend ging es um Aufkleber mit rechten Inhalten, für deren Gestaltung sich Leon R. und Maximilian H. im Juni 2021 verabredet hatten. Unter den fünf später von Leon R. per Downloadlink verschickten Grafiken waren Entwürfe mit Beleidigungen gegen Antifaschist:innen sowie einer mit dem Text „Defend Eisenach“ und der Abbildung eines Sturmgewehrs. Ein weiterer Stickerentwurf trug die Aufschrift „Für Heimat und Verein“ und zeigte das Logo vom FC Rot-Weiß Erfurt und einem Deutschland-Wappen mit Bundesadler. Ein anderer enthielt ebenfalls das Logo des Fußballvereins, nur dass das Erfurter Rad durch eine „Schwarze Sonne“ ersetzt worden war. Maximilian H. fragte Leon R., ob er seine („deine“) Dateien zur Auswahl in die „Sportgruppe“ schicken dürfe, was Leon R. bejahte. In einer Sprachnachricht im Mai 2021 hatte Kevin N. angefragt, ob Leon R. Zeit hätte, Aufkleber „für uns“ zu designen. Diese sollten laut N. in Erfurt in einer Auflage von 40.000 gedruckt werden. Wichtig fand er, dass diese „die Zecken richtig anpissen“.

Die „Defend Eisenach“ Aufkleber seien laut eines Telefonats von Maximilian H. und Leon R. am 1. Juli 2021 angekommen. Bei einer Verkehrskontrolle im Oktober 2021 seien im Fahrzeug des Angeklagten Eric K. etwa fünfzig dieser Aufkleber gefunden worden. Die Verteidigung legte hierzu einen Verwertungswiderspruch ein.

Schließlich wurde noch Bezug genommen auf die über 1.500 im Rahmen von Durchsuchungsmaßnahmen im Bull’s Eye aufgefundenen Aufkleber, welche neben zahlreichen anderen rechten, rassistischen, neonazistischen Inhalten konkret Gewalt- bzw. Mordaufrufe gegen Linke und gegen Drogendealer enthielten oder solche, die für „Nationaler Aufbau Eisenach“ oder die „Junge Nationalisten“ warben.

Während die Beschlüsse von den entsprechenden Durchsuchungsmaßnahmen bereits ins Selbstleseverfahren gegangen waren, sollten die nun folgenden zwei Auswertungsvermerke in der Akte jene Aufkleber in den Fokus nehmen. Auch diese Vermerke übergab der vorsitzende Richter den Prozessbeteiligten ins Selbstleseverfahren. Da die zugehörigen 22 Lichtbilder jeweils mehrere Aufkleber mit diversen Beschriftungen enthielten, sollte die Inaugenscheinnahme dieser Funde erst am nächsten Verhandlungstag, dem 19. Februar 2024 folgen.

Der 22. Verhandlungstag wurde gegen 14 Uhr beendet.