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Knockout 51 - Prozess

53. Verhandlungstag – KO51-Prozess – 01.07.2024


Nach über fünfzig Verhandlungstagen verkündete der dritte Strafsenat am Oberlandesgericht Jena an diesem Tag das Urteil im Knockout51-Prozess. Es blieb bei der Verurteilung als kriminelle, nicht als terroristische Vereinigung. Die angeklagten Neonazis erhielten für die Gründung und Mitgliedschaft von Knockout51 und weitere Straftaten jeweils gerade so mehrjährige Freiheitsstrafen sowie eine Jugendstrafe. Da das Urteil noch nicht rechtskräftig und auch der Haftbefehl von „Rädelsführer“ Leon R. aufgehoben wurde, verließen alle Angeklagten an diesem Tag das Gericht auf freiem Fuß. Der Tag war geprägt durch offensives Auftreten der Nazis und durch
Verharmlosungen des Vorsitzenden Richters, der die gewaltsame Betätigung von Knockout51 bis hin zur Waffenbeschaffung großflächig als Ausübung des Notwehrrechts vor dem Hintergrund einer Bedrohungslage von Links deutete.

Rechte Raumeinnahme im Gericht

Mehrere Stunden vor Beginn sammelten sich bereits über ein Dutzend Neonazis am Gericht. Neben der selbst der Unterstützung von Knockout51 beschuldigten Mutter von Leon R. und dessen Schwester kamen bekannte Gesichter aus der extrem rechten Szene – darunter der dem militanten Neonazinetzwerk „Hammerskins“ zuzuordnende Nils B., der eng mit Knockout51 in Verbindung stehende Tätowierer Eric R., der selbst Mitbeschuldigte Yves A. sowie der Dortmunder Neonazi Pascal O. Sie und mehrere junge Unterstützerinnen nutzten den Tag der Urteilsverkündung zum Schaulaufen mit Kleidung vom Neonazikampfsportevent „Kampf der Nibelungen“. Während diese Demonstration rechter Strukturen und Ideologie für die Justiz kein Problem darzustellen schien, blieb den Zuschauer:innen das Mitnehmen von Zettel und Stift in den Saal weiterhin untersagt.

Auch über dreißig antifaschistische Prozessbeobachter:innen erschienen, jedoch mehrheitlich erst nach 8.30 Uhr. Nicht zuletzt durch aggressive Raumeinnahme, Schubsen, Drängeln und Drohungen vor den Augen der Justizbeamten verschafften sich schließlich alle angereisten UnterstützerInnen der Angeklagten vordersten Publikumsplätze im Gerichtssaal. So war der Saal an diesem Tag das erste Mal seit Prozessbeginn wieder komplett gefüllt, viele kritische Beobachter:innen kamen nicht mehr rein und mussten draußen warten. Die sonst großteils leeren Presseplätze waren an diesem Tag ausgelastet.

Vor und im Gericht inszenierten sich die Nazis von Beginn an und bemühten sich um offensive Machtdemonstration. Andere Zuschauer:innen wurden angepöbelt, beleidigt und bedrängt, die Nazis scherzten laut über die den Angeklagten vorgeworfenen Gewalttaten, fielen immer wieder durch queerfeindliche, misogyne und andere menschenverachtende Äußerungen auf. Auch kurz vor Beginn der Urteilsverkündung interagierten die Angeklagten locker und erheitert mit ihren UnterstützerInnen. Der Angeklagte Eric K. verkündete, nach dem Urteil „geht’s nach Sylt“.

Das Urteil kompakt

Der Senat betrat den Saal und der Vorsitzende Richter Giebel verkündete sogleich das Urteil. Der dritte Strafsenat am Oberlandesgericht verurteilte alle vier Angeklagten, wie zu erwarten war, nicht wegen einer terroristischen Vereinigung, sondern nur wegen der Gründung und Mitgliedschaft in der kriminellen Vereinigung Knockout51. Neben dem Haupttatbestand nach §129 Abs.1 StGB kamen bei den Angeklagten jeweils noch mehrere, teils gefährliche und im Rahmen der Vereinigung begangene Körperverletzungen, Verstöße gegen das Waffengesetz und einige weitere Delikte hinzu.

Leon R. wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Bastian Ad. erhielt eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, Maximilian A. zwei Jahre und zwei Monate. Eric K. wurde zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die drei nach Erwachsenenstrafrecht Verurteilten – Leon R., Bastian Ad. und Maximilian A. – müssen die Kosten des Verfahrens tragen.

Vor der Urteilsbegründung verkündete der Vorsitzende noch, dass der Haftbefehl gegen Leon R. aufgehoben wird, was Freude im rechten Publikum auslöste. Der Senat begründete, dass er die Untersuchungshaft nicht mehr als verhältnismäßig betrachte.

Urteilsbegründung

Giebel begann seine Ausführung der Urteilsgründe damit, die zwei Fragen, die der Senat während des Verfahrens als zentral sah und in den Schlussvorträgen von Bundesanwaltschaft und Verteidigung kontrovers beantwortet sah. Zum einen die Frage, ob mit Knockout51 eine terroristische Vereinigung vorlag, wie es die Vertreter des Generalbundesanwalts sahen – und zum zweiten, ob es sich wenigstens um eine kriminelle Vereinigung handelte oder aber, wie es die Verteidigung darstellte, ob es nur einzelne Delikte isolierte Einzeltaten gab, die mit Knockout51 nichts zu tun hätten. Die Richter:innen fanden beide Betrachtungen falsch und entschieden sich für „den Mittelweg“: Knockout51 sei nicht auf Mord und Totschlag ausgelegt gewesen (so der Vorwurf für das Vorliegen einer terroristischen Vereinigung nach § 129a Abs.1 Nr.1 StGB). „Nur eine Kampfsportgruppe“ sei es ebenso wenig gewesen.

Der Senat schrieb die diversen Körperverletzungen und anderen Straftaten der Vereinigung Knockout51 zu. „Daran besteht kein Zweifel“, so Giebel und führte weiter aus: Im März 2019 wurde Knockout51 gegründet durch Leon R., Maximilian A. und Eric K. und andere. A. sei erst später, spätestens ab 2020 Teil von Knockout51 geworden.

Der Vorsitzende hob Leon R. als „Rädelsführer“ von Knockout51 hervor. Er habe das Sagen gehabt und sei der Kopf der Gruppe gewesen. Leon R. habe „die Fäden in der Hand“ gehabt und entschieden, „wer drin ist“. Mit als Grund für diese Rolle nannte der Vorsitzende Richter dessen hohen „intellektuellen Fähigkeiten“. Leon R. habe das Programm für Knockout51 mithilfe seiner Kenntnisse und Vorstellungen von rechtsextremen Netzwerken aufgebaut. Die einheitliche Kleidung sei Teil des Systems von Belohnung und Sanktionierung in der kriminellen Vereinigung gewesen. Für „gute Leistungen“ wie etwa einen Angriff auf einen Polizisten, auf den der Vorsitzende referierte, sei man belohnt worden. Andersherum sei Mitgliedern, wenn sie etwas falsch gemacht hatten, die Sachen weggenommen worden, bis hin zum Ausschluss aus der Gruppe. Auch hier hob er die entscheidende Rolle von Leon R. hervor. So sei etwa Eric K. „wegen fehlendem Engagement“ zeitweise ausgeschlossen worden.

Der Vorsitzende machte nun sehr kurze Ausführungen zu der nationalsozialistischen Prägung von Knockout51: Es sei der Gruppe nicht nur um Kampfsport gegangen, sondern um „Verbreitung rechtsextremer Ideologie“. Knockout51 habe sich als Kampftruppe nationalsozialistischer Prägung verstanden und entsprechend Symbole des Nationalsozialismus verwendet.

Das Kampfsporttraining von Knockout51 habe dazu gedient, Körperstärke zu erlangen für die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner – in der Terminologie der Angeklagten seien das die linken „Zecken“, so Richter Giebel. Ebenfalls nur kurz erwähnte er, dass es auch „gegen Migranten“ gegangen sei. Als zentrales Ziel von Knockout51 betrachtete der Senat, dass sie eine „Ordnungsmacht in Eisenach“ parallel zu staatlichen Strukturen wie der Polizei etablieren wollten. Damit sei gemeint, dass Knockout51 „keine Assis“ – was Richter Giebel zunächst noch als Zitat markierte – und keinen Konsum von Drogen in der Stadt gewollt habe.

Die Gruppengröße habe sich zwischen zehn und zwanzig Personen bewegt. Sie hätten sozusagen mit ihrer „Öffentlichkeitsarbeit“ in Form von Graffiti, Plakaten oder Aufklebern vor allem die Weststadt von Eisenach als „Nazi Kiez“ oder „NS Zone“ markiert. Das sowie auch Sticker mit der Aufschrift „Defend Eisenach“ und Motiv eines Sturmgewehrs hätten dem Senat zufolge dazu gedient, Knockout51 in Eisenach bekannt zu machen und dem politischen Gegner klarzumachen: „Das ist unser Revier.“

Zu den einzelnen Taten – Ordnungsmacht durch Angriffe

Das Hauptziel der Vereinigung „umfasste eindeutig Körperverletzungen“, so Richter Giebel. Anschließend führte er aus, welche der diversen Tatvorwürfe, darunter vor allem Körperverletzungen, der Senat als bewiesen und als Taten mit Bezug zur kriminellen Vereinigung Knockout51 ansah.

Bei der Körperverletzung im Februar 2021 an der Werner-Assmann-Halle in Eisenach sei der „Vereinigungskontext klar“. Nach einer dort zu Bruch gegangenen Scheibe und Wortgefechten habe die zufällig anwesende Ulrike E. ihren Sohn Leon R. und Maximilian A. hinzugerufen, die das „regeln“ sollten. Die beiden teilten Schläge gegen mehrere Geschädigte aus, gezielt auch gegen den Kopf. Eine von Leon R. angegriffene Person ging dabei direkt zu Boden, erlitt massive Verletzungsfolgen und war eine Woche stationär in Behandlung. Als Mitglieder von Knockout51 haben die beiden dort Ordnungsmacht demonstrieren wollen. Dieses Vereinigungsmotiv umriss der Vorsitzende Richter wieder so: „Es sollte nicht randaliert werden“, „keine Assis“ und „keine Drogen konsumiert werden“. Einzelinteressen seien Teil der Gruppe gewesen im Sinne von „Einer für alle, alle für einen“.

Bei einer Kirmesveranstaltung in einem Ortsteil von Wutha-Farnroda am 14. August 2021 habe Bastian Ad. eine Person der linken Szene zugerechnet und verdächtigt, an einem Buttersäureanschlag auf die Nazikneipe Bull’s Eye beteiligt gewesen zu sein. Ad. sei ohne Vorrede auf den Geschädigten losgegangen, habe ihm einen Kopfstoß gegeben. Auch hier lag der Vereinigungskontext für das Gericht auf der Hand. So sei es um Szeneinteressen und um die Ausübung von Rache gegen die von ihm als links betrachtete Person gegangen.

Eine Körperverletzung im Oktober 2021 auf einer Halloweenparty im „Amare“ in Eisenach habe Maximilian A. gezielt öffentlichkeitswirksam inszeniert. Es sei dabei um die vermeintliche Interaktion seiner damaligen Partnerin mit einem anderen Mann gegangen, von der Maximilian A. gehört hatte. Richter Giebel legte Wert darauf zu betonen, dass Maximilian A. davon emotional „angeschlagen“ gewesen sei. Es sei vordergründig also um die „persönlichen Interessen“ vom Maximilian A. gegangen, die bei Knockout51 jedoch als Gruppeninteressen gezählt hätten. Auf Anraten von Leon R. fuhren sie zu zweit zu der Party im Lokal „Amare“, wo Maximilian A. den Geschädigten mit Faustschlägen und Tritten angriff, wodurch dieser kurzzeitig bewusstlos wurde. Leon R. und der im „Amare“ als Türsteher tätige Bastian Ad. hätten dafür gesorgt, dass niemand eingriff. So habe Ad. Umstehende angeschrien und ihnen gedroht „oder ich schieß euch weg“. Der hier vorliegende Vereinigungsbezug würde gut durch eine Aussage von Eric K. aus den Überwachungsmaßnahmen unterstrichen: Sie müssten „klarmachen, dass Knockout51 und unsere Frauen unantastbar sind“. Laut Richter Giebel hätten die Männer von Knockout51 auch Frauen als Teil (bzw. Objekte) der Gruppe betrachtet und „da hätten andere Männer nichts verloren“. Durch die Gewalttat im „Amare“ sei allen Anwesenden demonstriert worden, dass Bestrafung folgt, wenn man sich mit einer Frau von Knockout51 „einlässt“.

Bei einer Feier an Silvester 2021 in einer Kleingartenanlage sei Eric K. von der „Sympathisantin“ Lara T. über eine dort angeblich stattfindende „Zeckenparty“ informiert und gebeten worden, dort „für Ordnung [zu] sorgen“. Eric K. sei dem gefolgt, zusammen mit den gesondert Verfolgten Dennis K., Florian O. und weiteren Angehörigen der Jugend von Knockout51, ausgestattet mit Quarzsandhandschuhen, um die Party „aufzumischen“. Auch hier führte Giebel als Hauptmotiv für die Tat an, dass auf der Feier Drogen konsumiert worden seien. Die Täter hätten Kopfstöße und Faustschläge gegen die Feiernden ausgeübt, seien später nochmals für verbale Attacken wiedergekommen. In dem Zuge habe Eric K. auch Kopfhörer einer Person geklaut, kommentiert mit „die gehören jetzt dem Volk“.

Auch bei einer Feier in einem Eisenacher Garagenhof am 4. Februar 2022 habe Eric K. nach Anruf von Lara T. bei der so bezeichneten „Zeckenfeier“ einen dort privat anwesenden Polizeibeamten angegriffen. Unmittelbarer Grund sei gewesen, dass Eric K. der Kontakt seiner Partnerin zu diesem „nicht passte“. Eric K. hätte gleichzeitig auch die Rolle des Anführers in der Jugend von Knockout51 übernommen und in diesem Sinne gehandelt. Bei der Feier habe Eric K. nach ersten Drohgebärden vor dem Polizisten ein Messer gezogen und ihm mit verstärkten Handschuhen mindestens fünf Schläge ins Gesicht versetzt. Der Geschädigte habe mit Hilfe anderer und einer Leiter in die Garage und anschließend aus dem Fenster fliehen können. Durch den Angriff von Eric K. erlitt er gravierende Verletzungen: einen Splitterbruch des Kiefers und Jochbeinbrüche – weshalb er mehrere Tage in einer Spezialklinik habe behandelt werden müssen. In doppelter Hinsicht läge hier der Vereinigungsbezug vor: Einerseits bezogen auf den patriarchalen Besitzanspruch der Neonazis – oder in Worten des Vorsitzenden Richters: dass Frauen „tabu waren für andere Männer“ – andererseits habe Eric K. den Angriff gezielt zur Selbstdarstellung genutzt, indem er sogar darauf hinwies, dass er als Anführer der Jugend von Knockout51 agierte.

Diese zwei Körperverletzungen durch Eric K. gegen die von ihm politisch links gelesenen Feiern sollten der Aufrechterhaltung einer Ordnungsmacht dienen. Die Nazis hätten laut Richter Giebel für „saubere Verhältnisse“ in Eisenach sorgen wollen.

Für eine weitere gefährliche Körperverletzung durch Eric K. sei ein Geschädigter unter falschem Vorwand in einen Hinterhalt nahe der Werner-Assmann-Halle am 16. März 2022 gelockt worden, um ihn für eine Beleidigung gegenüber Lara T. zu bestrafen. Der Angriff sei durch Eric K. und die gesondert Verfolgten Dennis K., Florian O. und Tommy H. erfolgt. Eric K. habe dem Geschädigten Pfefferspray in die Augen gesprüht, um diesen wehrlos zu machen, woraufhin die Angreifer ihn ins Gesicht schlugen. Der Geschädigte verlor dadurch ein Stück des Backenzahns und litt zwei Wochen an starken Schmerzen. Dahinter habe ein „doppeltes Motiv“ gesteckt, denn es sei gleichzeitig um die Ordnungsmacht und um die Verteidigung von Mitgliedern und Sympathisant:innen gegangen. Der Vorsitzende betonte hierbei, dass Eric K. und Lara T. den Geschädigten auch der „Drogenszene“ zugerechnet hätten.

Nur wenig später schmissen Eric K. und zwei Mittäter in der Nacht des 26. März 2022 die Fensterscheiben des RosaLuxx, dem Eisenacher Jugend- und Wahlkreisbüro der Partei Die Linke, mit Steinen ein. Kurz ordnete der Vorsitzende diese Tat als Sachbeschädigung ein, bei der ein Sachschaden in Höhe von 2.850 Euro entstand und der dem Kampf gegen den politischen Gegner dienen sollte.

Am selben Tag fand eine „Diskoveranstaltung“ in der NPD-Landesgeschäftsstelle „Flieder Volkshaus“ in Eisenach statt, bei der Eric K. für den „Saalschutz“ eingeteilt gewesen sei. Als ein alkoholisierter Gast in Streit mit einem anderen geriet, habe Eric K. „eingegriffen“. Er habe vier Mal auf den Hinterkopf des Geschädigten eingeschlagen und dem später durch Angriff des Komplizen Denis K. wehrlos am Boden liegenden nochmals einen Faustschlag ins Gesicht versetzt. Der Geschädigte erlitt eine starke Gehirnerschütterung dadurch. Auch hier habe das Motiv Vereinigungsbezug. Es habe mit Gewalt „für Ordnung gesorgt werden“ sollen bei der Veranstaltung.

Am 5. April 2022 verletzte Bastian Ad. für Knockout51 eine weitere Person wegen des Verrats von Gruppengeheimnissen. Er habe dem Geschädigten Kevin S. kurz vor der Haustür fünf Mal mit der Faust ins Gesicht geschlagen, weil dieser zuvor am Oberlandesgericht Dresden als Zeuge Aussagen zu Knockout51 und Interna des Kampfsporttrainings gemacht hatte. Richter Giebel führte aus, dass das vonseiten der Gruppe „übel genommen“ worden sei und er von Ad. diszipliniert werden sollte. Durch den Angriff erlitt der Geschädigte einen Nasenbeinbruch, der einen stationären Eingriff erforderlich gemacht habe.

Teils Freisprüche für Demonstrationsstraftaten

Den Angeklagten waren diverse Straftaten im Kontext von rechten Corona-Protesten vorgeworfen worden. Überwiegend hätten sich diese laut Senat in Hauptverhandlung nicht bestätigt, sodass sie unter anderem von Vorwürfen des Landfriedensbruchs, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Gefangenenbefreiung freigesprochen wurden. So wurden die Angeklagten lediglich für folgende Vorwürfe im Demonstrationskontext verurteilt:

Bei einer Corona-Demonstration in Berlin am 29. August 2020 hätten sich Leon R., Bastian Ad., Eric K. sowie Yves A. und andere beteiligt. Die Bundesanwaltschaft hatte den Angeklagten hierbei Gefangenenbefreiung und Widerstand gegen Polizeikräfte vorgeworfen, wofür der Senat keinen hinreichenden Tatverdacht sah. Beim Versuch von Yves A. eine Festnahme durch die Polizei zu verhindern, hätten Bastian Ad. und Leon R. etwas entfernt gestanden und laut Senat weder verbal noch körperlich eingegriffen. Ihre „bloße Anwesenheit“ erfülle keinen Tatbestand. Dennoch verurteilte der Senat die Angeklagten für die Beteiligung an der Demo, die als Betätigung der kriminellen Vereinigung Knockout51 einzustufen sei. Knockout51 hab bei dem Protest in Berlin für die Gruppeninteressen geworben und sei öffentlich aufgetreten, was für eine Vereinigungstat reiche.

Ähnlich verhielt es sich bezüglich einer Querdenken-Demonstration in Leipzig am 7. November 2020. In dem Zusammenhang wurde Bastian Ad. eine Körperverletzung vorgeworfen. Im Verlauf der Demonstration sei es zu einem Glasflaschenwurf, der einen rechten Journalisten traf. Die konkrete Täterschaft zu der Körperverletzung habe der Senat Bastian Ad. nicht nachweisen können, sodass es bei der bloßen Betätigung für die kriminelle Vereinigung auf dem Protest blieb.

An einer Versammlung namens „Frühlingserwachen“ in Kassel am 20. März 2021 hatte Leon R. mit anderen Knockout51-Mitgliedern teilgenommen und in dem Geschehen andere Versammlungsteilnehmer angegriffen. Leon R. habe den Geschädigten, der im Verfahren auch als Zeuge ausgesagt hatte, aufgrund eines Ansteckers dem linken Spektrum zugerechnet. Leon R. habe den Anstecker abgerissen und dem Geschädigten mit der Faust auf Kehlkopf, Kiefer und Kinn geschlagen, woraufhin dieser Verletzungen im Mundinnenbereich erlitt und tagelang starke Schmerzen hatte. Als Tatmotiv und Vereinigungsbezug wurde vom Senat hier der „Kampf gegen linken Gegner“ gesehen.

Schließlich ging es um einen unangemeldeten Corona-Aufmarsch am 8. Februar 2022 in Eisenach. Eric K. habe den abendlichen Demonstrationszug von etwa 850 Personen durch die Eisenacher Innenstadt angeführt. Die Durchführung der nicht genehmigten Versammlung benannte der Vorsitzende Richter für sich als Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Darüber hinaus seien Eric K. und andere Teilnehmende mit Sturmhauben maskiert gewesen und hätten damit gegen das Vermummungsverbot verstoßen.

Waffendelikte

Daraufhin wurde kurz und technisch auf die Verstöße gegen das Waffengesetz durch die angeschafften und selbst (um)gebauten Waffen der Angeklagten eingegangen. So war bei der Durchsuchung von Leon R. eine umgebaute Salutwaffe gefunden worden, die vor Umbau nicht funktionsfähig war, danach aber die Qualität einer halbautomatischen Schusswaffe hatte. Ebenfalls ein Verstoß sei der Besitz der bei Leon R. aufgefundenen Gaspistole ohne das erforderliche Prüfsiegel. Aus den Bauteilen, die mit einem 3D-Drucker gedruckt und bei Leon R. sichergestellt wurden, hätte man durch die entsprechende Fortsetzung eine Schusswaffe herstellen können. Das Bundeskriminalamt habe die Waffe, ergänzt um die fehlenden Teile nachgebaut und bestätigt, dass dabei eine funktionsfähige Schusswaffe herausgekommen wäre – im Test habe die Waffe zwar eingeschränkt funktioniert, aber war geeignet, um bis zu zehn Schüsse abzugeben.

Auch bei Bastian Ad. wurden Waffen, so mehrere Schlagringe und ein Butterfly-Messer festgestellt, welche nach dem Waffengesetz verbotene Waffen sind.

Beweiswürdigung – „Notwehr“ statt terroristischer Vereinigung

Der Vorsitzende führte im Rahmen der Beweiswürdigung anschließend aus, warum Knockout51 aus Sicht des Senats schon „nach dem gesunden Menschenverstand“ keine terroristische Vereinigung sein könne, sondern vielmehr nur von ihrem Notwehrrecht Gebrauch machen würde.

Richter Giebel verwies auf die Ausgangsfrage „War Knockout51 eine Terrororganisation?“ und ordnete zunächst ein, dass man nur aufgrund des Anklagevorwurfs der terroristischen Vereinigung überhaupt heute hier säße, da das Oberlandesgericht erst dadurch zuständig wurde. Bei einer kriminellen Vereinigung hingegen sei das Landgericht zuständig. Bereits im Eröffnungsbeschluss sei der Senat schon nicht von einer terroristischen Vereinigung ausgegangen. Dennoch habe man das Verfahren nicht an das Landgericht Meiningen abgegeben, weil der Senat eine „Prognoseentscheidung“ gemacht habe. Es sei nie voraussehbar, was bei der Beweiswürdigung im Verfahren herauskommt. Wäre das Landgericht dann zu dem Schluss gekommen, dass eine terroristische Vereinigung vorliegt, für die es nicht zuständig ist, sei das nicht vertretbar gewesen, auch da dies dem Beschleunigungsgrundsatz widerspreche. Der Vorsitzende bemängelte darüber hinaus, dass die originären Beweismittel erst ein bis zwei Monate nach Eröffnung der Hauptverhandlung vorlagen. Vorher habe man nur schriftliche Abschriften der Gespräche gehabt. Dieser Umstand habe die Beweisaufnahme verschlechtert.

Giebel resümierte, dass sich die Prognose des Senats durch das „klare Ergebnis“ nach acht Monaten Hauptverhandlung bestätigt habe: Knockout51 hatte eine „eindeutig rechtsextremistische“ und auch nach eigener Anschauung „dezidiert nationalsozialistische Grundausrichtung“, die „klar gegen die Demokratie gerichtet“ war und gegenüber dem politischem Gegner Gewaltbereitschaft hatte. Diese Feststellungen und deren Auswirkungen charakterisierte der Vorsitzende nicht weiter. Dass „genauso eindeutig“ die Voraussetzungen für eine terroristische Vereinigung bei Knockout51 nicht erfüllt seien, führte er hingegen im Anschluss weitreichend aus und führte durch weit gespannte und relativierende Vergleiche weiter von dem Thema einer gewalttätigen neonazistischen Gruppierung wie Knockout51 weg.

Zwischen „Klimaklebern“ und abgeschossenen Flugzeugen

Der Vorsitzende wolle Missverständnissen vorbeugen und erklärte, dass nicht jede extremistische Gesinnung einer Gruppe einen Terrorverdacht begründe. Er fände es bedenklich, dass der Begriff „Terrorismus“ im politischen Tagesgeschäft „inflationär“ verwendet wird, wie zum Beispiel bei den „Klimaklebern“ – referierend auf Straßenblockaden der Bewegung „Letzte Generation“. Der Begriff würde so nur noch synonym dafür verwendet, dass „im weitesten Sinne demokratische Spielregeln missachtet werden“. Im Falle der „Klimakleber“ sei der Vorwurf, dass diese die Mehrheitsmeinung nicht akzeptieren und Menschen vor vollendete Tatsachen stellen würden. Richter Giebel kritisierte: „Wenn das Terrorismus sein soll, verliert der Begriff jede Kontur.“ In einem autoritären oder gar totalitären Staat würde jede gegen das Regime gerichtete Meinung durch Journalist:innen oder Demonstrationen als Terrorismus dargestellt. In der freiheitlich verfassten Grundordnung Deutschlands hingegen sei „Terror“ durch § 129a des Strafgesetzbuchs definiert. Dieser sei zwangsläufig im Zweck oder in der Tätigkeit auf die Begehung von Mord oder Totschlag gerichtet. Durch den Paragraphen sei somit auch klar, dass Klimakleber keine Terroristen sind, öffnete der Vorsitzende seine Klammer zum Thema „Terrorismus“.

Demgegenüber stellte Giebel, wodurch sich terroristische Vereinigungen „ihrem Wesen nach“ definiere und was sie so gefährlich mache. Dafür referierte er kurz auf den islamistischen Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016. Auch als Beispiel für das „perfide“ Merkmal von Terrorismus, dass „jeder zu jeder Zeit immer Opfer werden kann“ nannte der Vorsitzende den Anschlag von Hanau. Hier zeige sich, dass Menschen, nur weil sie in einer Bar oder einem Kiosk saßen, von einem „rechtsradikalen“ Täter erschossen wurden, der seine Waffe wahllos auf alle gerichtet habe. Das rassistische Motiv hinter dem Anschlag von Hanau am 19. Februar 2020 und der Auswahl der Anschlagsorte, an denen der Mörder gezielt neun migrantische Menschen ermordete, blieb unerwähnt. Als letztes Beispiel für Terrorismus nannte Giebel, wenn Menschen in den Urlaub fliegen und willkürlich Opfer eines Flugzeuganschlages würden.

Diese Definition von Terrorismus stünde in Kontrast zu der Ansicht der Bundesanwaltschaft, dass Knockout51 eine terroristische Vereinigung und auf Totschlag ausgerichtet gewesen sei. Aus Sicht des Senats handelte es sich dabei bloß um ein „juristisches Konstrukt“. Richter Giebel bestätigte vielmehr einen Punkt aus der Anklageschrift, in der der Generalbundesanwalt die Ausrichtung von Knockout51 insofern differenzierte, dass es darum gegangen sei, „linke Menschen zu töten“, dies aber ausschließlich im „Verteidigungsfall“. Nach Meinung des Senats würden die Neonazis sich also nur, wenn sie selbst angegriffen würden, mit Waffen „wehren“ wollen. Giebel fasste es in einem Satz zusammen: „Jede Tötung hatte die Voraussetzung, dass die Angeklagten selbst angegriffen werden.“

Den Richter:innen leuchtete nicht ein, wieso Knockout51 somit eine Terrororganisation sein solle. Giebel referierte nochmals auf die angeführten Beispiele von Terrorismus, deren einzig möglicher Schutz gewesen sei, wenn sie „ganz zuhause geblieben“ wären. Vor Knockout51 hingegen habe jedes potenzielle „Opfer sich dadurch schützen“ können und der Gewalt dadurch entgehen können, dass man sie „nicht angreift“. Auf diese Äußerung des Vorsitzenden regte sich im kritischen Publikum Widerspruch, die Angehörigen und Unterstützer:innen der Angeklagten nickten bestärkend zu dieser Täter-Opfer-Umkehr. Das sei „logisch“ und habe nichts mit Terrorismus zu tun. Weiter noch holte er aus, dass jeder, der Knockout51 mit dem sogenannten „NSU“ gleichsetzen, das Leid der tatsächlichen Opfer von Terrorismus und ihrer Angehörigen relativieren würde.

Juristische Bewertung – Tötungsabsicht als Selbstverteidigung

Daraufhin setzte der Vorsitzende mit der juristischen Bewertung fort, um zu untermauern, warum es sich bei jeder potenziellen Tötungsabsicht von Knockout51 um „Notwehr“ gehandelt habe. Die Annahme, Knockout51 wolle tödliche Gewalt durch Provokationen ausüben, fand der Senat nicht haltbar. Schließlich hätte es nie offensichtliche Provokationen gegen linke Personen gegeben, um „richtig zuzuschlagen“.

Laut Urteil der Richter:innen habe Knockout51 Tötungen „nur für den Fall vorgesehen“, dass sie selbst angegriffen würden. Der Vorsitzende erläuterte die Rechtslage von Notwehr nach § 32 StGB: Der Paragraph erlaube, sich mit Gewalt gegen Gewalt zu wehren. Es gelte kein Grundsatz der Waffengleichheit, sondern die Notwehr umfasse eine Verteidigung „mit allen Mitteln“, auch wenn es zu schwersten Verletzungen oder zum Tod des Angreifers führen würde. Giebel zitierte die Grundsatzformel „Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“. Der Angegriffene dürfe also auch ein stärkeres Mittel als das des Angriffs einsetzen – bis zur Grenze der Unverhältnismäßigkeit. Würde ein Kirschbaumbesitzer einen Dieb, der auf seinem Baum sitzt, erschießen, ginge das dem Vorsitzenden zufolge nicht.

Um die Ausrichtung von Knockout51 auf Mord und Totschlag in einem Fall nachzuweisen, müsse laut dem Senat nachweislich nun die Notwehr als Vorwand zum Angriff, statt mit dem Ziel der Verteidigung vorliegen. Doch aus Sicht des Senats hätten die Angeklagten dafür Angriffe und somit die „klassische Lage“ des § 32 StGB zur Prämisse gemacht. Solange man ihnen nicht nachweisen könne, das Notwehrrecht lediglich als „Deckmantel“ nutzen zu wollen, um den Gegner auszuschalten, läge auch keine unerlaubte Tötung vor. Mit drei Argumenten habe die Bundesanwaltschaft diese Instrumentalisierung des Notwehrrechts behauptet, worauf der Vorsitzende folgend einging.

Zum Ersten trat der Senat der Sicht des Generalbundesanwalts entgegen, dass im Februar 2021 objektiv keine Bedrohungslage für die Angeklagten bestand, als es zu einer Neuausrichtung von einer kriminellen zu einer terroristischen Vereinigung gekommen sei. Der Senat bewertete diese These als „eindeutig falsch“ und bezog sich auf zwei Angriffe im Oktober und Dezember 2019, von denen unter anderem Maximilian A. und Leon R. betroffen waren. Leon R. habe einen der Angriffe nur durch ein Messer „abwehren“ können. Auch den Angriff im Januar 2021 auf das leere Bull’s Eye mit einem Sprengsatz mit Buttersäure und einem Graffiti „fight nazis every day“ an der Außenwand nahm der Vorsitzende als Anlass, dass aus Sicht der Angeklagten die Gefahr weiterer Übergriffe „sehr real“ gewesen sein könnte.

Zweitens hätten die Angeklagten laut Bundesanwaltschaft die Grenzen des Notwehrrechts gezielt überschreiten wollen. Der Vorsitzende würdigte ein „paar Aussagen in Chats“, in denen das Notwehrrecht „thematisiert“ worden sei. Hier sei jedoch dem Senat zufolge lediglich ersichtlich, dass sie das Notwehrrecht „bis zu den Grenzen ausschöpfen“ wollten. Auch seien „abstrakte“ Vorüberlegungen über Notwehrszenarios rechtlich unerheblich, da erst im konkreten Einzelfall anhand einer Vielzahl von Faktoren zu bewerten sei, ob Angegriffene mit einem „Notwehrexzess“ reagierten – das wisse jeder Jurastudent. Den Vertretern der Generalbundesanwaltschaft warf der Vorsitzende juristische und methodische Fehler vor. Vielmehr sei es „reine Fiktion“, dass die Angeklagten die Grenzen des Notwehrrechts überschritten hätten.

Das dritte Argument der Bundesanwaltschaft, dass die Angeklagten vorgehabt hätten, Gegner zum Angriff zu provozieren, um Gewalt auszuüben, wertete der Senat als „nicht haltbar“. Im Falle einer solchen selbst verschuldeten „Absichtsprovokation“ würde dem Provokateur das Notwehrrecht entzogen. Eine solche Notwehrprovokation wollte der Senat bei Knockout51 partout nicht sehen. Der Vorsitzende argumentierte, dass seit der laut Bundesanwaltschaft ab Februar 2021 bestehenden terroristischen Vereinigung bis zur Verhaftung fast ein ganzes Jahr Zeit gewesen wäre, um diese Ziele umzusetzen. Es hätte genug Gelegenheiten gegeben um – bei Demonstrationen in Kassel, Leipzig, Eisenach oder im Kontakt zu Linken – zu provozieren oder andere zu schlagen. Dazu sei es laut Senat nie gekommen.

Die Bundesanwaltschaft hatte dazu eine Fahrt am 25. September 2021 zum Autonomen Jugendzentrum in Erfurt angeführt, an dem Leon R., Maximilian A., Kevin N. und Marvin W. eine Auseinandersetzung mit Linken provozieren hätten wollen. Laut Senat sei an der Behauptung „gar nichts dran“. Der Vorsitzende referierte auf Gespräche aus der Fahrzeuginnenraumüberwachung vom besagten frühen Abend bis in die Nacht. Leon R. sei der Aufforderung einer Person, die er der linken Szene zuordnete, er möge sie bitte dort abholen, gefolgt und habe dies als mögliche Falle interpretiert. Leon R. habe sich selbst als herausgehobene Hassfigur, als Chef von Knockout51 und Besitzer des Bull’s Eye gesehen. Die Eisenacher Neonazis fuhren als Gruppe nach Erfurt – laut Senat in der Erwartung, überfallen zu werden. Die Initiative sei „von der Gegenseite“ ausgegangen – Knockout51 sei nur eingegangen auf das, wozu sie aufgefordert wurden. Knockout51 eine Absichtsprovokation zu unterstellen, sei laut Richter Giebel „lebensfremd“.

Statt dem gezielten Deckmantel der Notwehr, um Gegner mit Gewalt auszuschalten, deutete Giebel die Motivation von Leon R. an diesem Septemberabend in Erfurt vielmehr als „argwöhnend“ und ambivalent, was auch eine ermittelnde Polizeibeamtin so vermerkt hatte. Leon R. habe geschwankt zwischen eigener Gewaltbereitschaft, der Hoffnung, auf einen Angriff, um mit Gewalt reagieren zu können einerseits, und Sorge vor körperlicher Auseinandersetzung und „Unbehagen“ andererseits. Auch haben die Mitglieder von Knockout51 „nicht kneifen“, sondern demonstrieren wollen, dass man „kein Feigling“ sei. Sich diesen „Gefahren“ zu stellen, habe dem Selbstbild von Knockout51 entsprochen, sei aber keine Provokation gewesen.

Außerdem sei neben eigener Angriffsbereitschaft auch Angst eine Motivation für die Gewaltaffinität gewesen. #KO51 hatte laut Gericht die berechtigte Sorge vor linken Überfällen. Aufgrund dieser Ambivalenz könne keine Absichtsprovokation vorliegen.

Dies habe sich aus Sicht des Senats durch die überwachten Gespräche bestätigt und sei gar nicht so widersprüchlich. Es habe einerseits in der Gruppe Gewaltbereitschaft bestanden, andererseits Angst vor Angriffen durch die linke Szene. Giebel sprach von „paranoiden Zügen“ bezüglich der sogenannten „Kiezstreifen“, bei denen von den Angeklagten oft stundenlang „observiert“ wurde, Daten von vermeintlich Linken „gesammelt und abgeglichen“ wurden und in Gruppen diskutiert worden sei, wie wahrscheinlich Angriffe durch den politischen Gegner wären. Giebel hob dabei erneut hervor, dass diese Sorge „nicht ins Blaue hinein“ gewesen sei, sondern sei Reaktion auf Angriffe gewesen.

Schusswaffen zur „Verhinderung von Gewalt“

Auch die Aufrüstung mit Waffen sei dem Senat zufolge mit Selbstverteidigung zu erklären. Es sei Knockout51 darum gegangen, so durch Abschreckung Gewalt zu verhindern.

Das Besorgen und Fertigen von Schusswaffen durch Leon R. sei kein Hinweis auf einen terroristischen Charakter der Vereinigung ab 2021 gewesen. Stattdessen sei diese Aufrüstung, inklusive des Druckens von Waffenteilen und die von der Gruppe durchgeführten Schießtrainings für den Terrorismusverdacht nicht ausreichend, sondern im Sinne der „Verteidigung“ zu sehen. Man könne dem Gegner so zeigen, „wir sind bewaffnet“ und „angreifen ist sinnlos“. Es erfolge eine Abschreckung durch die eigene Stärke und – so führte der Vorsitzende aus – gerade dadurch die „Verhinderung von Gewalt“. Hier wurde von Giebel noch ein weit gespannter Vergleich zu der Abschreckung durch Aufrüstung in der Nachkriegszeit gezogen.

Erneut betonte Giebel den Widerspruch des Senats gegen die Lesart der terroristischen Vereinigung ab Frühjahr 2021. Aus dieser würde folgen, dass alle folgenden Körperverletzungen nach der vorgeworfenen Neuausrichtung somit „terroristische Körperverletzungen“, die zerstörte Scheibe vom RosaLuxx eine „terroristische Sachbeschädigung“ seien. Ein Bezug zu Mord und Totschlag und somit auch zu Terrorismus sei aber nicht erkennbar.

Mosaik“ zeige kriminelle Vereinigung

Zu der zweiten Ausgangsfrage „War Knockout51 eine kriminelle Vereinigung?“ hielt der Vorsitzende seine Ausführungen kurz, mit denen er der Verteidigung der Neonazis entgegentrat. Die Verteidiger waren der Meinung, dass die Taten nichts mit Knockout51 zu tun gehabt hätten. Laut Senat hätten sie es sich damit zu einfach gemacht und die Einzeltaten isoliert betrachtet, statt die Aspekte für den Gruppenbezug zu sehen. Dies sei ein entscheidender Fehler, da es bei dem Tatvorwurf der kriminellen Vereinigung genau darum gehe, alle Details als Ganzes zusammenzufügen. So käme der Senat zu dem Gesamtbild, aus dem sich die kriminelle Vereinigung Knockout51 ergab.

Giebel untermauerte: Seit Beginn der Hauptverhandlung im August 2023 wurden über 500 Gespräche von Angeklagten und Dritten aus Überwachungsmaßnahmen angehört, über 500 Chatnachrichten inklusive Sprachnachrichten, die die Weltanschauung der Mitglieder widerspiegelten, sowie eine Vielzahl von Bildern und Videos eingeführt, die die Angeklagten teils über soziale Medien geteilt hatten. Durch all das hätte der Senat einen Einblick in das „Innenleben“ von Knockout51 gewonnen, um die Gruppe zu bewerten.

Am Beispiel der „Ordnungsmacht“, mit der Knockout51 mindestens in einem Viertel Eisenachs politische Gegner verdrängt und Polizei untergraben haben soll, unterstrich der Vorsitzende den „verengten Blickwinkel“ der Verteidigung. Im Verfahren wurde durch Beweismittel der Anspruch von Knockout51 deutlich, dass Mitglieder möglichst in einem Viertel wohnen sollten, Menschen zogen von außerhalb nach Eisenach. Giebel erinnerte dazu an einen Chatverlauf: Im Oktober 2022 hatte Leon R. sich mit einem Australier detailliert darüber ausgetauscht, wie man rechtsextreme Strukturen aufbaut. Leon R. zeigte sich überzeugt, dass es lokale, bewegliche, überschaubare und dadurch „schlagfähige“ Kleingruppen bräuchte, die nicht nur Freizeit, Sport, Weltanschauung miteinander teilen, sondern auch eine Nachbarschaft, den gleichen „Lebensraum“ teilten. Auch wurden im eigenen Wohngebiet Graffiti und Aufkleber mit „Nazikiez“ und ähnlichen Botschaften platziert. Bei einer Stadtrundfahrt erklärte Leon R. „voller Stolz“, dass sie im Viertel die „absolute Oberhand“ hätten.

All das zeige den Hintergrund der gezielten Nachbarschaft der Vereinigungsmitglieder. Dieser sei von der Verteidigung negiert worden. Richter Giebel adressierte Rechtsanwalt Urbanczyk, den Verteidiger von Eric K., der als Grund für die Umzüge vielmehr gegenseitige Hilfe unter Nachbarn proklamiert hatte. Richter Giebel entgegnete, dass eindeutig nicht das Ziel war, sich beim Keller aufräumen zu helfen. Sondern gemeint sei gewesen, in Situationen sofort präsent zu sein und zu „helfen“ im Sinne der kriminellen Ausrichtung von Knockout51. Dass schnelle Erreichbarkeit und die räumliche Nähe der Mitglieder zueinander wichtig seien, äußerte Leon R. in überwachten Gesprächen. So sei zum Beispiel Bastian Ad. nachts angerufen worden, weil ein anderer „Probleme mit Migranten“ gehabt habe, wie der Vorsitzende es ausdrückte, woraufhin Ad. sich sofort auf den Weg gemacht habe, um zu „helfen“.

Mit Blick auf die Frage der kriminellen Vereinigung argumentierte der Vorsitzende, man müsse das Mosaik als ganzes anschauen, nicht nur einzelne „Farbkleckse“.

Strafzumessung

Der Senat blieb mit den Strafen deutlich hinter der Forderung der Bundesanwaltschaft zurück. Giebel erklärte das damit, dass sie lediglich von der kriminellen, nicht der terroristischen Vereinigung Knockout51 ausgingen. Er erläuterte die strafmildernden und strafschärfenden Gründe sowie die Einzelstrafen, aus denen der Senat die jeweiligen Gesamtstrafen für die Angeklagten zusammensetzte.

Rädelsführer Leon R.

Dem Hauptangeklagten Leon R.käme zugute, dass seine begangenen Straftaten schon lange zurücklägen und die heute verhängte seine erstmalige Freiheitsstrafe sei. Ebenso wirke sich seine über zwei Jahre andauernde Untersuchungshaft strafmildernd aus. Auch sei zu berücksichtigen, dass die verschärften Haftbedingungen, monatelange Isolationshaft aufgrund des Vorwurfs der terroristischen Vereinigung und die Trennung von seinem Sohn eine „harte Zeit“ und einen starken Einschnitt ins Leben bedeuteten. Strafschärfend sei allem voran seine umfängliche Rädelsführerschaft. Leon R. sei in jeder Hinsicht „der Kopf“ der Gruppierung Knockout51, habe bestimmt und man habe ihn um Erlaubnis fragen müssen. Gegen Leon R. sprachen seine Vorstrafen und die gravierenden Verletzungsfolgen, insbesondere die des Geschädigten, der durch den Faustschlag von Leon R. an der Werner-Assmann-Halle Gesichtsfrakturen erlitt und zwei Wochen stationär behandelt werden musste.

Der Senat sah in Leon R.s Fall einen besonders schweren Fall der Gründung und Mitgliedschaft nach § 129 StGB, wobei die Rädelsführerschaft den Regelstrafrahmen auf bis zu fünf Jahre erhöhte. Der Senat zog für Leon R. daraus eine Einzelstrafe von drei Jahren, also die höchste Einzelstrafe. Hinzu kamen die Einzelstrafen für die weiteren Taten. Für die gefährliche Körperverletzung bei der Werner-Assmann-Halle kam der Senat auf eine Strafe von einem Jahr und acht Monaten. Bei der Halloweenparty im „Amare“ habe Leon R. zwar nicht aktiv geschlagen, aber an der gefährlichen Körperverletzung mitgewirkt, was zu einer Einzelstrafe von zehn Monaten führe. Für die Körperverletzung beim Demonstrationsgeschehen in Kassel und für die Verstöße gegen das Waffengesetz fand der Senat jeweils eine Strafe von einem Jahr angemessen. Aus all dem wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten gebildet.

Zwei Jahre und sechs Monate für Bastian Ad.

Da Bastian Ad. bis auf ein paar Monate im gesamten Tatzeitraum erwachsen war, folgte der Senat der Jugendgerichtshilfe, die sich für eine Verurteilung nach Erwachsenenstrafrecht aussprach. Strafmildernd wirke sich wie bei Leon R. die Dauer der Untersuchungshaft aus und die Bedingungen der Isolationshaft. Strafschärfend wertete der Senat Bastian Ad.s „besonders ausgeprägtes radikales“ Verhalten und eine ebensolche Gesinnung. Es sei aufgefallen, dass er als einziger auf einem Foto den Hitlergruß gezeigt hatte. Auch durch Äußerungen in Chats und Telefonaten hätten die starke „rechtsradikale oder sogar menschenverachtende“ Gesinnung gezeigt. Ad. sprach in diesen verachtend über migrantische Personen. Richter Giebel zitierte die rassistische Beleidigung von Ad. ohne weitere Einordnung, dass damit Betroffene völlig entmenschlicht werden. Auch negativ bewertete der Senat die Verletzungsfolgen bei dem Geschädigten, der als Zeuge über Knockout51 ausgesagt hatte. Dem Argumentationsversuch der Verteidigung, dass eine einzelne Vorstrafe sich strafmildernd für Bastian Ad. auswirken müsse, erteilte der Vorsitzende eine Absage. Die Vorstrafe von Ad. würde lediglich nicht ins Gewicht fallen. Eine Strafmilderung könne nur durch gar keine Vorstrafen folgen.

Der Senat setzte die Gesamtstrafe für Bastian Ad. aus fünf Einzelstrafen zusammen. Die höchste davon verhängte der Senat für die eben genannte Körperverletzung mit einem Jahr und sechs Monaten. Aus der Tat bei der Kirmesveranstaltung in Wutha folgten neun Monate. Bei der gefährlichen Körperverletzung im „Amare“ hatte Bastian Ad. durch die Drohung und Angstmache, er würde Menschen „umschießen“, wenn sie eingreifen, mitgewirkt, wofür der Senat acht Monate verhängte. Die Mitgliedschaft in der kriminellen Vereinigung Knockout51 rechtfertige eine Einzelstrafe von einem Jahr und vier Monaten. Die Verstöße gegen das Waffengesetz durch den Besitz von Schlagringen und einem Butterflymesser seien für sich mit sieben Monaten zu ahnden. Daraus verhängte der Senat eine Gesamtstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.

Zwei Jahre und zwei Monate für Maximilian A.

Der Empfehlung der Jugendgerichtshilfe folgend verurteilte der Senat auch Maximilian A. nach Erwachsenenstrafrecht. Da keine Reifeverzögerung bei ihm vorgelegen und er einem Erwachsenen gleichgestanden habe, würde er auch dementsprechend bestraft. Strafmildernd für Maximilian A. sei, dass er erstmals in Haft geraten und laut Bundeszentralregister als nicht vorbestraft gelte. Er habe sich bei einem Geschädigten von der Halloweenfeier entschuldigt und dieser die Entschuldigung angenommen, was eine „Verständigung zwischen Täter und Opfer“ darstelle.

Der Vorsitzende hob positiv hervor, dass sich Maximilian A. auch „zeitweise distanziert“ habe von rechtsextremistischem Gedankengut, dass ihn Bedenken geplagt hätten und er habe aussteigen wollen. Den Ausstieg habe Maximilian A. nur nicht vollzogen, weil er sich insbesondere gegenüber seinen Freunden Leon R. und Bastian Ad. habe „loyal“ verhalten wollen. Auch berücksichtigte der Senat dabei ein Körperverletzungsdelikt von Maximilian A. aus dem Jahr 2019 an, der inzwischen aus dem Bundeszentralregister getilgt war. Maximilian A. sei verurteilt worden, weil er eine andere Person für das Zeigen eines Hitlergrußes durch körperliche Gewalt „diszipliniert“ hätte. Das sei kein „klassisches Verhalten“ von Knockout51-Mitgliedern.

Strafschärfen wurden die Verletzungsfolgen der beiden Geschädigten seiner Angriffe an der Werner-Assmann-Halle und im „Amare“ gewertet. Auch sei Maximilian A. Gründungsmitglied von Knockout51 und enger Helfer und Unterstützer von Leon R. gewesen. Entgegen seiner „Skrupel“ habe seine „Loyalität“ dazu geführt, dass er sich in den „Dienst der falschen Sache“ stellte.

Wie bei Bastian Ad. wurde die Mitgliedschaft von Maximilian A. in der kriminellen Vereinigung mit einer Einzelstrafe von einem Jahr und vier Monaten bewertet. Hinzu kamen die zwei ihm zur Last gelegten Körperverletzungen: An der Werner-Assmann-Halle im Februar 2021 unterstützte und ermöglichte Maximilian A. den Angriff von Leon R., wofür der Senat zehn Monate veranschlagte. Für die Körperverletzung im „Amare“ im Oktober 2021 gab es eine Einzelstrafe von vier Monaten. Als Gesamtstrafe ergab sich daraus eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten.

Jugendstrafe für Eric K.

Wegen der Schwere der Schuld sah der Senat bei Eric K. eine Jugendstrafe als erforderlich. Bei ihm stehe der Erziehungsgedanke im Vordergrund. Er hätte eine hohe Empathielosigkeit gegenüber den Geschädigten gezeigt, eine Perspektive sei bei ihm nicht zu erkennen.

Bei Eric K. folgte das Gericht der Bundesanwaltschaft und der Jugendgerichtshilfe, die sich für die Anwendung von Jugendstrafrecht aussprachen. Eric K. sei mit Abstand der jüngste der vier Angeklagten und fast während des gesamten Tatzeitraums noch heranwachsend, teils sogar noch Jugendlicher gewesen. Es seien deutliche Reifedefizite bei Eric K. erkennbar. Auch verstärkend zählten, dass er keine abgeschlossene Ausbildung habe und keine wirtschaftliche Eigenständigkeit. Auch ergebe sich die Jugendstrafe aus der Schwere der Schuld, die sich allein schon durch die Verletzungsfolgen eines Geschädigten begründen würde, der mehrfache Gesichtsfrakturen erlitt, die der Behandlung in einer Spezialklinik bedurften.

Für die einheitliche Jugendstrafe würden keine Einzelstrafen verhängt. Es ginge nicht um Vergeltung, sondern einzig und allein um den Erziehungsgedanken. Der Erziehungsbedarf ließe sich bei Eric K. aus der Art und dem Hintergrund der Taten ableiten. So hätten Gespräche aus den Überwachungsmaßnahmen deutlich Eric K.s Neigung zur „Selbstdarstellung und Überheblichkeit“ gezeigt. Der Senat folgte hier zum Teil der Ausführung der Verteidigung, dass dies „jugendlichem Imponiergehabe“ geschuldet sei. Bei Eric K. sei ein erhöhtes Gewalt- und Aggressionspotential festzustellen. Hier erwähnte der Vorsitzende auch, dass Eric K. zeitweise gezielt Testosteron eingenommen habe.

Bedenklich sei aus erzieherischen Gesichtspunkten die „völlige Empathielosigkeit“ von Eric K. gegenüber Geschädigten. Er habe sie im Nachhinein vor Dritten verhöhnt und keine Anzeichen gezeigt von Mitleid oder Verständnis gezeigt. Eine konkrete Perspektive sei bei Eric K. aktuell nicht zu erkennen, so habe auch die Jugendgerichtshilfe ausgeführt, dass bei ihm hinsichtlich Ausbildung und beruflicher Entwicklung noch alles in der Schwebe sei. Aus diesen Gründen habe der Senat entschieden, dem Erziehungsbedarf mit einer Jugendstrafe Rechnung zu tragen und verhängte eine Gesamtstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.

Einziehung von Waffen, Telefonen und mehr

Dann kam der Vorsitzende Richter Giebel zu der Entscheidung über die einzuziehenden Gegenstände, die bei Angeklagten sichergestellt worden waren. Der Vorsitzende wies darauf hin, dass die inhaltliche Urteilsbegründung durch sei und die Öffentlichkeit, wenn sie möchte, den Saal schon verlassen könne.

Die Bundesanwaltschaft hatte die Einziehung diverser Gegenstände von Leon R. gefordert. Davon sah der Senat ab, da Leon R. in der Hauptverhandlung bereits der Übereignung der beschlagnahmten Gegenstände zugestimmt habe. Somit sei der Staat bereits im zivilrechtlichen Sinne deren Eigentümer. Auch Fotos und Daten von den Mobiltelefonen, seien zwar nichts, was im rechtlichen Sinne einer Einziehung unterliegen würde, stünden damit aber auch dem Staat zur Verfügung.

Der Senat beschloss, von Maximilian A. unter anderem mehrere Messer, einen Schlagstock, eine Machete, ein Smartphone, Knockout51-Kleidung sowie ein Shirt vom „Kampf der Nibelungen“ einzuziehen. Auch von Bastian Ad. wurden mehrere Messer, darunter eine Machete, Butterfly- und Klappmesser, Schlagringe, Mobiltelefone, Kleidungsstücke der Vereinigung sowie ein Poster mit der Aufschrift „Nazikiez“ und diverse Aufkleber eingezogen. Weiter wurde die Einziehung von mehreren Pfeffersprays, Messern, einem Smartphone sowie einer schwarz-weiß-roten Stoffmaske von Eric K. beschlossen.

Vorerst Schluss

Der Vorsitzende erklärte schließlich noch, dass innerhalb einer Woche Revision gegen das Urteil eingelegt werden könne. Bei einer Revision am Bundesgerichtshof ist nur das Vorbringen von Rechts- oder Verfahrensgründen, keine erneute Beweiserhebung möglich. Die schriftlichen Urteilsgründe des heutigen Urteils müsse der dritte Strafsenat innerhalb eines Monats zustellen. Mit diesen technischen Ausführungen endete die Urteilsverkündung nach etwa eineinhalb Stunden.

Nach über fünfzig Verhandlungstagen endete somit der Knockout51-Prozess am Thüringer Oberlandesgericht mit geringen Strafen für die Eisenacher Neonazis. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts lehnte der Senat den Vorwurf der terroristischen Vereinigung bis zum Ende konsequent ab.

Alle Angeklagten inklusive Rädelsführer Leon R. durften das Gericht an diesem Tag als zunächst freie Männer verlassen, bis zum Antritt der nur sehr geringen abzusitzenden Haftstrafen. Leon R. wurde von den extra als Unterstützung angereisten und einschlägig bekannten militanten Neonazis mit offenen Armen empfangen und beglückwünscht. Kritische Prozessbeobachter:innen schien das Urteil eher sprachlos zu machen. Am Abend fand in Jena eine antifaschistische Kundgebung statt, die das Urteil kritisierte. Medienberichten zufolge legte die Bundesanwaltschaft zwei Tage später Revision gegen das Urteil ein.

Der Prozess bot einige Besonderheiten – wie die Aussage Patrick Wieschkes, einen Skandal um Verbindungen zur Polizeiinspektion Eisenach und die Vernetzung von Knockout51 mit Neonazistrukturen und Akteuren rechtsterroristischer Netzwerken bundesweit und darüber hinaus. All dies fand in der Beweiswürdigung keine Erwähnung. Obwohl das Gericht in seiner Urteilsbegründung ziemlich frei entscheiden und reden darf, machte der Vorsitzende so gut wie keine Ausführungen zu der faschistischen, rassistischen, menschenverachtenden Ideologie von Knockout51. Diese wurde lediglich festgestellt. Während ausführlich über den Begriff des „Terrorismus“ Ausführungen gemacht wurden, blieb eine Einordnung der kriminellen Neonazi-Vereinigung in die gegenwärtige politische Lage und die daraus erwachsenden gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen völlig zu vermissen. Abzuwarten bleibt, ob die dubiose Beweiswürdigung einer Revision vor dem Bundesgerichtshof standhält. Auch weitere Knockout51-Mitglieder werden sich noch vor Gericht verantworten müssen.