An diesem kurzen Verhandlungstag wurden die letzten Anklagethesen aus der Anklageschrift mit den zugehörigen Beweismitteln eingeführt. Inhaltlich ging es dabei um die Teilnahme von mutmaßlichen Knockout51-Mitgliedern an einem Corona-Aufmarsch in Eisenach 2022. Es folgten weitere Beweisanträge von der Bundesanwaltschaft und der Verteidigung. Der Hauptangeklagte Leon R. sagte zu seinen persönlichen Verhältnissen aus.
Begonnen wurde mit Anträgen, Stellungnahmen und Beschlüssen.
Die Vertreter der Bundesanwaltschaft nahmen Stellung zum Beweisantrag der Verteidigung, die STRG_F-Dokumentation „Nazi Kiez Eisenach – Wer sind Knockout51?“. Für die Schuldfrage sei es irrelevant. Auch sei in der etwa 20-minütigen Doku keine so aggressive oder diffamierende Berichterstattung über Leon R. u.a. zu erkennen, die die Angeklagten so stark beeinträchtigen würden, als dass es sich strafmildernd auswirken könnte. Vielmehr orientiere sich die Berichterstattung am ursprünglichen Anklagevorwurf der terroristischen Vereinigung, so Oberstaatsanwalt Oehme. Verteidiger Wölfel, der den Antrag gestellt hatte, pochte darauf, dass das Format vorverurteilend sei und es sich somit in der Strafzumessung bemerkbar machen müsse.
Anschließend verkündete der Vorsitzende Richter einen Gerichtsbeschluss. In dem Beschluss bekräftigte der Senat die Entscheidung, dass der am 45. Verhandlungstag geladene Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) nicht so umfassend befragt werden durfte, wie die Bundesanwaltschaft es gern getan hätte. In der Begründung wurde ausgeführt, dass der Kriminalhauptkommissar über mehrere Jahre beim BKA in die Ermittlungsarbeit zu Knockout51 einbezogen war und etwa zwanzig lange Polizeivermerke über seine Ermittlungsergebnisse verfasst hat. Der Senat hatte die Zeugenvernehmung gezielt auf einen Teil der Beweisthemen beschränkt, denn es sei nicht zumutbar, dass der Polizeizeuge sich auf alle Themen des Verfahrens vorbereitet oder aber unvorbereitet aussagt. Die Bundesanwaltschaft wollte ihn jedoch zu weiteren Themen zu Vermerken zwischen 2020 und 2023 befragen. Auch da sich alle Prozessbeteiligten angemessen auf Zeugenbefragungen vorbereiten können müssten, blieb der Senat dabei, dass diese Ausweitung des Fragerechts spontan nicht zulässig sei. Auch war der Polizeibeamte bei keinem zu ermittelnden Sachverhalt selbst anwesend oder beobachtend, sondern ordnete diesen lediglich Kommunikationsinhalte aus Chats, Handyauswertung und Telekommunikationsüberwachung zu. Die Fragen der Bundesanwaltschaft hätten lediglich auf Schlussfolgerungen, Werturteile oder die rechtliche Beurteilung des Polizeibeamten gezielt, dessen Wahrnehmung aber somit beschränkt sei. Außerdem könne und müsse der Senat seine Schlüsse aus dem Beweismaterial selbst ziehen.
Coronaprotest in Eisenach 2022
Anschließend ging es weiter im Beweisprogramm mit den letzten zehn Anklagethesen. Dabei ging es, in Fortsetzung vom vergangenen Verhandlungstag, um einen als Corona-Aufmarsch in Eisenach am 14. Februar 2022. Der Laufzug stoppte vor dem „RosaLuxx“, dem Jugend- und Wahlkreisbüro von Die Linke. Es wurden zwei Polizeivermerke dazu eingeführt, die den Mitschnitt eines Livestreams von der Versammlung und einer Audioaufnahme von Eric K.s Handy auswerten. Das Video habe gezeigt, wie Eric K. den „Spaziergang“ anführte und das Anhalten veranlasste. Zu hören sei auch, wie er dort mit einem Megafon eine Rede schwang, in der er Antifaschist:innen als „rote Schmutzfinken“, das RosaLuxx als die „Brutstätte“ dessen diffamierte. Aus der Demonstration heraus seien Jubel, Applaus und „Wir sind das Volk“-Rufe gefolgt. Zwei Standbilder aus dem Livestream zeigten Eric K. am Kopf der Demonstration und auf einem Stromkasten stehend. Ein kurzes Telefonat sprach sich Eric K. am Abend des Aufmarschs mit Mike K., der ebenfalls zur Jugend von Knockout51 gehört haben soll, über das Laufen in der ersten Reihe ab. Die mutmaßliche enge Verbindung und Koordination mit Gothaer Neonazis und die Rolle der Knockout51-Jugend bei den Eisenacher „Montagsspaziergängen“ waren schon am 27. Verhandlungtag Thema.
In zwei Audios aus der Innenraumüberwachung im Auto von Eric K. zeigte sich nochmals die Feindbildmarkierung gegenüber dem RosaLuxx als „die Antifa“. Laut Anklage sei Knockout51 deshalb schon in der Vergangenheit vor dem Rosaluxx aufgelaufen, wenn sie Auseinandersetzungen mit politischen Gegner:innen hätten provozieren wollen. In einem überwachten Gespräch sinnierte Eric K. über „Todesstrafe für Lina“ als Demospruch.
Im Frühjahr 2022 machte sich bei Eric K. und dem gesondert Verfolgten Dennis K. die Befürchtung breit, dass Ermittlungen gegen sie laufen und Verhaftungen gegenüber der mutmaßlich zu Knockout51 gehörigen Jugend drohen würden. Eric K. meinte nach dem Aufmarsch am 14. Februar 2022 am Telefon zu seinem Vater, dass der Leiter der Polizeiinspektion ihn als „Gruppenführer der Jugendgruppe rausgepickt“ habe. Als Quelle der Information verwies Eric K. auf einen „Kumpel bei der Polizei“. Sein Vater schimpfte mit Eric K., sein Auftreten sei „das dümmste, was man machen kann“.
Bereits vor der Demonstration hatte Eric K. in der Chatgruppe „JN Eisenach Info“ mitgeteilt, dass an diesem Tag allen „freigestellt“ sei, ob sie zur Demo gehen und teilte seine „verlässlichen Infos“ über die befürchteten Verhaftungen gegenüber Mitgliedern „der Jugend“. Etwa eine Woche später verschickte Dennis K. eine Chatnachricht, in der die „Montagsspaziergänge“ in Eisenach als Widerstand glorifiziert wird, denn aus seiner Sicht habe keine andere Stadt derartige „Entschlossenheit und benennt den Feind“. Dann kündigt er an, dass sie vorerst nicht an Aufzügen teilnehmen würden aufgrund der Vermutung , dass gegen sie ermittelt würde. Die Nachricht ist voll mit bekannter verschwörungstheoretischer Wortwahl über Corona-Schutzmaßnahmen, „gleichgeschaltete Medien“ und eine vermeintliche in Deutschland herrschende Diktatur.
Die Verteidigung erklärte, in den eingeführten Beweismitteln keinen Bezug zu Knockout51 zu erkennen.
Der Vorsitzende Richter verkündete, dass mit der Fußnote Nr. 879 nun die Thesen der Anklage, die seit dem 21. Dezember 2021 in der Verhandlung behandelt wurden, nun abgeschlossen wurden.
Persönliche Verhältnisse und Vorstrafen von Leon R.
Anschließend erteilte der Vorsitzende Richter dem Hauptangeklagten Leon R. das Wort, um zu seinen persönlichen Verhältnissen zu sprechen. Er wurde gebeten, auf freiwilliger Basis seinen Werdegang zu schildern und etwas zu seiner Kindheit, Schule, Ausbildung, Wertvorstellungen, Elternhaus zu sagen.
Leon R. berichtete, dass die Schule mit einem Hauptschulabschluss abgeschlossen habe. Nach einem zwischenzeitigen Intermezzo als Tischler sei er zunächst Angestellter und ab 2019 dann Inhaber der Eisenacher Nazikneipe Bull’s Eye gewesen. Diese habe er abgegeben und würde das Geschäft auch nicht wieder aufnehmen, da es mit der Familie nicht vereinbar sei. Stattdessen plane er eine Ausbildung im IT-Bereich. Weiter präsentierte sich Leon R. vordergründig als Familienmensch mit Kind und Partnerin, gutem Verhältnis zu seinen Eltern und zwei von drei Geschwistern. Er bezeichnete seine Mutter als „liberal“, bis die Corona-Pandemie gekommen sei, seinen Vater als politisch uninteressiert.
Nach der Verhaftung im April 2022 sei er zunächst in der Justizvollzugsanstalt Untermaßfeld inhaftiert gewesen und im August in die JVA Tonna verlegt worden. Er schilderte, die ersten Monate in Einzelhaft verbracht zu haben, der Kontakt zu Mitgefangenen und Zugang zu Bildungs- und Arbeitsmaßnahmen sei beschränkt worden. Unverhohlen antwortete er lachend auf die Frage des Richters nach Hobbies, dass er sich für Sport interessiere, so auch Kampfsport.
Auszug aus dem Bundeszentralregister von Leon R. enthielt vier Eintragungen. Die Urteilsgründe aus den Vorstrafenakten, also um welche Straftaten es sich genauer handelte, würden erst zum nächsten Verhandlungstag da sein und verlesen werden. Neben einem Fall von „Leistungserschleichung“ war unter den Einträgen ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, begangen im im November 2018, für die er nach Entscheidung des Jugendrichters am Amtsgericht Eisenach eine Geldstrafe zahlen musste. Weiter wurde Leon R. per Strafbefehl zu einer Geldstrafe wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen im Jahr 2019 verurteilt. Der vierte Eintrag war eine gebildete Gesamtstrafe aus den beiden Geldstrafen zu insgesamt 1.800 Euro. Laut Leon R.s Aussage seien diese bezahlt.
Beweisanträge derBundesanwaltschaft: Polizeizeug:innen zur Handyzuordnung
Die Vertreter der Bundesanwaltschaft stellten Anträge darauf, zwei Beamte des BKA als Zeug:innen zu laden. So sollten Handy und auch die Chatpartner in den als Beweismittel herangezogenen Chatverläufen zweifelsfrei den Angeklagten bzw. Beschuldigten zuordenbar gemacht werden. Laut Auffassung der Oberstaatsanwälte reiche allein die Verlesung von Beschlüssen, Vermerken (z.B. über Abfragen beim Mobilfunkanbieter), Chatprotokollen oder Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung dafür nicht aus. Vielmehr seien die Aussagen der ermittelnden Polizist:innen essenziell, um die Ermittlungsergebnisse lückenlos nachvollziehbar zu machen, wie es die Strafprozessordnung verlangen würde.
Ein Kriminalhauptkommissar sollte aussagen, wie das ursprünglich in einem anderen Ermittlungsverfahren sichergestellte Mobiltelefon von Leon R. aufgefunden, asserviert, dem BKA übergeben und ihm als Nutzer zugeordnet wurde. Das Handy wurde bereits bei einer Durchsuchung durch das Landeskriminalamt Thüringen am 30. April 2021 eingezogen wurde, in dem zu dem Zeitpunkt keine SIM-Karte eingelegt war. Der zu ladende Kriminalhauptkommissar könne jedoch belegen, dass eine auf Leon R. registrierte SIM-Karte mit entsprechender Nummer im Handy eingelegt gewesen war. Auch würde er darlegen, dass keine Hinweise auf dem Gerät festzustellen gewesen seien, dass andere Personen außer Leon R. das Mobiltelefon nutzten.
Die andere Kriminalhauptkommissarin sollte dazu beitragen, den gesondert Verfolgten Kevin N. als tatsächlichen Chatpartner in sichergestellten Chatverläufen zuzuordnen. Sie könnte als Zeugin aussagen, dass bestimmte Whatsapp-Chats mit einem unter Kevin N.s Namen eingespeicherten Kontakt auf dem Mobiltelefon von Leon R. festgestellt wurden und die dazugehörige Nummer laut Abfrage beim Mobilfunkanbieter auf Kevin N. registriert war.
Während der Verlesung der Anträge zeigte sich der Vorsitzende Richter still aber sichtlich genervt, schüttelte mit dem Kopf und schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen. Die unterschiedliche Rechtsauffassung zur Relevanz der Wahrnehmung von ermittelnden Polizeibeamt:innen war schon mehrfach ein Konfliktthema zwischen Vorsitzendem und Bundesanwaltschaft gewesen.
Beweisantrag der Bundesanwaltschaft: Nazis reizen Notwehrrecht aus
Außerdem beantragte die Bundesanwaltschaft einen Chatverlauf aus der „Shitposting“ Chatgruppe zu verlesen, in dem sich Leon R., Kevin N. und Benjamin S. auf die Gewaltanwendung gegen politische Gegner bezieht. Der Gruppenchat vom 23. Juli 2021 würde laut den Vertretern der Anklagebehörde zeigen, das mutmaßliche Mitglieder von Knockout51 das Notwehrrecht im strafrechtlichen Sinne gezielt ausreizen und missbrauchen wollten, um selbst brutal gegen Linke, unabhängig von einer tatsächlichen Angriffssituation, zu agieren. Im besagten Chat habe Leon R. auch davon geschrieben, einem Linken die „Fresse zerbastelt“ zu haben. Als Reaktion hätten Gruppenmitglieder der Wunsch geäußert, Fotos davon zu sehen.
Beweisanträge der Verteidigung: Harmloser Motorroller und Wand woanders
Es folgten zwei Beweisanträge. Zunächst beantragte die Verteidigung von Maximilian A. beantragte, die Person als Zeuge zu laden, bei dem der Angeklagte seinen Motorroller, der später für die sogenannten „Kiezstreifen“ der Neonazis zum Einsatz gekommen sein soll, gekauft habe. Der Zeuge solle er aussagen können, dass zum Zeitpunkt des Verkaufs vorne auf dem Roller noch kein Aufkleber mit der Aufschrift „I [Herz] Gay Porn“ aufgebracht gewesen sei, der auf einem in Augenschein genommenen Foto im Verfahren zu sehen war – und somit der Sticker erst nachträglich, im Besitz von Maximilian A., aufgeklebt worden sei. Laut Verteidiger Hentze wäre damit bewiesen, dass somit unter „keinen denkbaren Umständen“ der Roller für die „Kiezstreifen“ noch den Zweck der angestrebten Ausstrahlung einer Ordnungsmacht hätte erfüllen können.
In seinem zweiten Beweisantrag beantragte Hentze, die „Wall of Fame“, eine zum Sprühen von Graffiti freigegebene Wand im Norden von Erfurt, in Augenschein zu nehmen. Grund dafür sei, dass in einem in der Beweisaufnahme eingeführten Video zu sehen war, wie ein Graffiti mit dem rassistischen Slogan „White Boy Summer“ auf eine Wand gesprüht wurde. Mutmaßlich sprühte dabei Kevin N. und Leon R. filmte. Es handele sich dabei um jene Wand in Erfurt und keine in Eisenach. Dies war dem Verteidiger wichtig, denn damit sei das Video als Beweismittel ungeeignet, da es die Beweisthese der Ordnungsmacht in Eisenach nicht untermauern könnte. Die anderen Verteidiger schlossen sich dem Antrag an.
Ausblick
Der Vorsitzende Richter kündigte an, dass der Senat die Beweisanträge prüfen würde. Er bat die Verfahrensbeteiligten, ihre etwaigen Stellungnahmen zu den Anträgen vorzubereiten. Am nächsten Verhandlungstag sollten dann Maximilian A. und Bastian Ad. die Möglichkeit haben zu ihren persönlichen Verhältnisse auszusagen. Rechtsanwalt Heiermann, Verteidiger von Eric K. bestätigte nochmal, dass sein Mandant dazu nichts sagen würde. Der Vorsitzende stellte in Aussicht, dass nach seiner Prognose am übernächsten Prozesstag, dem 13. Juni 2024, die Beweisaufnahme geschlossen werden und sich dann für die Plädoyers bereitgehalten werden könne. Wie viele Verhandlungstage es dann noch bräuchte, hinge von der Länge der Plädoyers ab. Im Anschluss an diese müsse sich der Senat dann mit ausreichend Zeit zur Beratung zurückziehen.
Der 47. Verhandlungstag endete gegen 12.30 Uhr.