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Knockout 51 - Prozess

21. Verhandlungstag KO51 29.01.2024

Vor Beginn des Beweisprogramms gab Rechtsanwalt Heiermann (Verteidigung Eric K.) noch eine Erklärung ab. Auf Fotos bei der Hausdurchsuchung seines Mandanten, die im Selbstleseverfahren eingeführt wurden, waren Testosteron-Ampullen und Spritzen zu sehen. Da auch bereits die Jugendgerichtshilfe von einer Testosteronsucht sprach, forderte der Anwalt das Gericht auf, dies entsprechend zu bewerten. Eine eigene Einlassung hierzu wird es von Eric K. allerdings nicht geben, so sein Verteidiger.

Der Bundesanwaltschaft hatte am 19. Verhandlungstag angeregt, Briefe aus der Haftpost einzuführen, um Verbindungen der Angeklagten Leon R. und Maximilian A. zu Adrenalin Braunschweig zu belegen. So befänden sich in ihren Haftakten Briefe vom Braunschweiger Neonazi Lasse R.. Der Staatsanwalt regte an, diese ins Selbstleseverfahren zu übergeben, da sie beide ein sehr langes Gedicht aus dem nationalsozialistischen Werk „Der Giftpilz“ enthielten, das extrem antisemitisch ist.

Nationaler Aufbau Eisenach

Anschließend wurde die Beweisaufnahme fortgesetzt, wobei zunächst die Bezüge zu der Vorgängergruppierung „Nationaler Aufbau Eisenach“ hergestellt werden sollten. Die rechtsextreme Gruppe wurde mutmaßlich von Leon R. und dem gesondert verfolgten Kevin N. angeführt. Dabei wurden etliche Thesen hintenan gestellt, da das Gericht in den polizeilichen Vermerken keine originären Beweismittel sah, sondern in den Vermerken lediglich auf Internetbeiträge verwiesen wurde („Im Internet zu lesen ist kein Beweismittel“). Stattdessen müssten die zuständigen Polizeibeamt:innen als Zeug:innen geladen werden. Auch etwaige Schreiben des Bundesamts für Verfassungsschutz zu der Struktur der Jugendgruppe enthielten aus der Sicht des Senats keine konkreten Beweismittel und wurden daher erst gar nicht verlesen.

Inhaltlich auseinandergesetzt wurde sich somit erst mit der These, dass der Gruppierung „Nationaler Aufbau Eisenach“ 24 Personen zugeordnet waren, wozu auch Eric K. gehört haben soll. Eric K. zeigte dabei einer anderen Person ein Album mit Fotos aus der damaligen Zeit. Demnach hat er bereits seit 2015 an rechtsextremen Aktionsformen teilgenommen. Nach seinen Äußerungen hat er unter anderem am Rudolf-Heß-Marsch in Berlin Spandau (wohl im Jahr 2017) sowie 2016 an einer Demo in Eisenach teilgenommen.

Bastian Ad. stand zwar auch schon seit 2016 mit Kevin N. Kontakt, schien aber anfänglich für eine regelmäßige Teilnahme an Treffen nur bedingt motiviert zu sein. So lehnte er die meisten Einladungen ab oder reagierte erst gar nicht. Bezüglich einer Anti-TTIP-Demo (2016) schlug Ad. vor, eine „CO2-Knarre“ mitzunehmen. Letztendlich nahm er aber erst gar nicht teil, da er offenbar mehrere Stunden in Oldenburg festsaß. Danach sollte es darum gehen, dass Mitgliedern vom „Nationalen Aufbau Eisenach“ zwischen 2015 und 2017 Straftaten aus 42 Ermittlungsverfahren zugeordnet werden, darunter unter anderem Körperverletzungen, Staatsschutzdelikte und Sachbeschädigungen durch rechtsextreme Graffitis. Auch hier fehlte es aber bislang an einem geeigneten Beweismittel.

Schließlich ging es noch um das Ende der Gruppierung. Leon R. habe dabei am 25.11.2019 die Auflösung der Gruppe bekanntgegeben, um hierdurch wohl ein offizielles Verbot zu verhindern. Damit hat sich auch im Prozess bestätigt, dass nach der rein formellen Auflösung ein Übergang zu Knockout51 erfolgte. Dabei wird von der Anklage davon ausgegangen, dass diese Entscheidung mit einem erschienen Internetartikel im Zusammenhang stand, der Bezüge zwischen Leon R. und der „Atomwaffen Division“ hergestellt hat. Hierfür erhielt Leon R. offenbar auch eine Anfrage eines ZDF-Journalisten, die er allerdings unbeantwortet ließ.

Politische Soldaten“

Trotz der scheinbaren personellen Kontinuitäten wird davon ausgegangen, dass zwischen den beiden Gruppierungen auch intern klar abgegrenzt wurde. Diesbezüglich hat Leon R. bereits in einem überwachten Gespräch eines vorherigen Verhandlungstages klargestellt, dass Knockout51 eine Sonderstellung zukommen sollte, um eine Elite in der rechtsextremen Eisenacher Jugendszene zu formen. In einem weiteren Gespräch mit Bastian A. und Leon R. stellte Kevin N. zudem klar, dass eine „kulturelle Vorherrschaft“ angestrebt werden müsse. Nach ihrem Selbstverständnis seien sie „politische Soldaten“ und würden ihr Handeln danach ausrichten. Dabei wurde in einem ebenso bereits angehörten Gespräch auch eine Parallele zu „Combat 18“ als Kampfeinheit gezogen.

Gleichzeitig sahen die mutmaßlich führenden Gruppenmitglieder eine Steigerung der Muskelmasse als ausschlaggebend für den Straßenkampf an. In dem hierfür herangezogenen Gespräch wurde eine Demo in Leipzig thematisiert, in der es zu Konfrontationen mit linken Demonstrant:innen und der Polizei kam. Dabei gab Leon R. in einem Gespräch zu bedenken, dass das absolute Mindestgewicht, „um auf der Straße das Maul aufzureißen“, 80 Kilogramm betrage und er körperlich selbst zu wenig Masse habe. Kevin N. erwiderte daraufhin, dass der politische Gegner bei Konflikten auf der Straße chancenlos wäre, wenn sie alle 90 Kilogramm wiegen würden.

Testosteron-Konsum

Wie bereits am Beginn des Verhandlungstages angeklungen war, soll auch Testosteron-Konsum zur Steigerung der Muskelmasse beigetragen haben. Hierfür sprachen auch die Ergebnisse der Hausdurchsuchung. Auf erneute Nachfrage gab zunächst die Verteidigung von Eric K. an, dass sich die Verteidigung erst intern beraten müsse, ob Eric K. zumindest mit einem Gutachter über seinen eigenen Konsum sprechen würde.

In mehreren Gesprächen tauschte sich Leon R. unter anderem mit Marc B. über ihre Produktempfehlungen hierzu aus und versicherten, sich bei künftigen Testosteron-Bestellungen gegenseitig zu unterstützen. Leon R. prahlte gegenüber Kevin N., dadurch „doppelt so viel Volumen wie sonst“ zu haben.

In der Mittagspause spielte sich vor dem Saal eine Diskussion zwischen einem Justizbeamten und einer:m Zuschauer:in darüber ab, was Zuschauer:innen (nicht) in den Saal mitnehmen dürfen. Der Justizbeamte betonte, dass in der Sitzungsordnung stehe, es dürfe nichts mit rein, was den Prozessablauf stören könnte – „und das ist im Prinzip alles“.

Nach der Mittagspause wurde auch wieder das Thema „Körpergewicht“ behandelt. Leon R. lobte dabei in einem Gespräch den gesondert verfolgten Nils A., da dieser sein Gewicht auf 95 Kilogramm gesteigert habe.

Alles dem Kampfsport unterordnen

Anhand eines weiteren Chats mit Kevin N. liegt auch der Schluss nahe, dass die Zweikämpfe beim Training von Knockout51 mit einer hohen Brutalität geführt wurden, um Teilnehmende an Schmerzen zu gewöhnen. Statt Boxhandschuhen seien die Hände nur mit Bandagen oder MMA-Handschuhen isoliert worden. Außerdem wurde zwischen Kevin N. und Leon R. abgesprochen, dass in Zukunft auch auf ein „neurologisches Training“ gesetzt werden sollte. So sollten die Trainingsteilnehmer durch realistische Simulationen im Umgang mit Stresssituationen und tatsächliche körperliche Auseinandersetzungen geschult, ihre Beobachtungsfähigkeit sowie auch Laufmuster trainiert werden.

Bereits 2019 sollen auch Kämpfe im Freiem stattgefunden haben, Knockout51-Mitglieder hätten laut Anklage an sogenannten „Ackerkämpfen“, u.a. an einem solchen Kampf mit „Jungsturm Erfurt“ teilgenommen. Fotos von Training und Kämpfen im Wald, die mit unkenntlich gemachten Gesichtern im Dezember 2019 in ein Fotoalbum „Skinhead Jugend Eisenach“ hochgeladen wurden, wurden im Original auf dem Smartphone von Leon R. gefunden (besagtes Flickr-Fotoalbum war Gegenstand des 13. Verhandlungstags).

Bastian A. übersandte an seine damalige Lebensgefährtin zudem ein Foto, dass ihn, Leon R. und eine dritte Person grinsend mit blutigen Gesichtern zeigte, kommentiert mit „Training jetzt“. Der weitere Chatverlauf legt nahe, dass schwere Verletzungen positiv und „männlich“ hervorgehoben und entsprechend dokumentiert wurden. Bereits frühere Thesen, die im Prozess verhandelt wurden, legten nahe, dass die Kampfsporttrainings auch der Abhärtung dienten.

Eine weitere Chatgruppe mit dem Namen „Shitposting“, in der die Angeklagten und etwa zwanzig weitere Personen, darunter auch weitere Beschuldigte, Mitglied waren, wurde ins Verfahren eingeführt. Auch in dieser Gruppe wurden Videos und Fotos von den Kampfsporttrainings und daraus resultierenden Verletzungen geschickt.

In einem Chat aus Juni 2020 kritisierte Kevin N., dass Leon R. bereits mehrfach nicht beim Training teilgenommen habe. R. erwiderte, dass er an dem Sonntag, als das Training stattfand, auf sein Kind habe aufpassen müssen. Kevin N. zeigte hierfür kein Verständnis und forderte ein, dass die Lebensgefährtin von Leon R. hierauf Rücksicht nehmen müsse, da eine Trainingsteilnahme für den „Zusammenhalt in der Kameradschaft“ unentbehrlich sei.

Gewalt als Heldentat

Dass die Gewaltschwelle von Bastian Ad. besonders niedrig sei, sollte ein überwachtes Telefonat über sein Mobiltelefon nahelegen. Dabei wurde eine Fahrt nach Erfurt – wohl zu einem Fußballspiel – thematisiert. Ad. kündigte an, davor noch Alkohol zu konsumieren, damit „das Gewaltpotenzial hoch ist […], wenn wir auf Zecken treffen“. Anschließend wurde auch diskutiert, dass gewisse Leute im Fußballkontext sie vom Stadion „weghaben“ wollen. Deshalb gab Ad. dem Gesprächspartner – dem gesondert Verfolgten Maximilian H. – den Rat: „Dann pfefferst du die weg und latschst auf dem Schädel rum, so wie auf dem Acker auch.“

Als Beleg für die Glorifizierung von Gewalt sowie die mutmaßliche Ausrichtung von Knockout51 auf körperliche Auseinandersetzungen mit Polizist:innen wurde auch erneut auf ein Gespräch in einem Fahrzeug verwiesen, dass sich offensichtlich nach der Berliner Querdenken-Demo am 29. August 2020 (siehe 10. Verhandlungstag) ereignet haben soll. Dabei wurde eine Person besonders für ihren „Einsatz“ gelobt, die einen Polizisten „umgekickt“ habe und sich damit wohl gleichzeitig als Anwärter bewährt habe. So soll der gesondert Verfolgte Yves A. für einen Angriff auf Bereitschaftspolizei auch Knockout51-Kleidung als Belohnung erhalten haben. Die Angriffe bei Demonstrationen sollen zu einem späteren Zeitpunkt in der Verhandlung noch ausführlicher thematisiert werden.

Weitere Äußerungen zwischen Leon R. und einer weiteren Person stammen aus einem Telefongespräch über einen Interview-Fragenbogen, der ihnen zugeschickt wurde. Dabei bestand ein Konsens darin, dass man nicht nur keine Angst vor der Polizei haben dürfe, sondern auch „einen Bullen umgehauen haben [muss], aber keinen Streifenbullen, sondern [einen] Robocop“ und man solle die „Turner-Tagebücher verinnerlichen“. Anschließend fiel in dem Zusammenhang noch die Äußerung „Brauchen keine NPD“. Laut der Verteidigung seien diese Äußerungen lediglich ironisch zu verstehen, auch da im Gespräch viel gelacht wurde. Zudem würden die Knockout51-Mitglieder gezielt Desinformation streuen, da sie vermutet hätten, der Fragebogen stamme vom politischen Gegner.

Saalschutz“

Der letzte inhaltliche Abschnitt drehte sich erneut um die mutmaßliche Betätigung von Knockout51 als Ordnungsmacht in Eisenach. Dabei wurde zunächst auf ein bereits bekanntes Gespräch verwiesen, in dem Leon R. schon im Jahr 2019 „Saalschutz und Kampfsport“ als Betätigungsfeld von Knockout51 charakterisierte. Dabei habe die Befürchtung bestanden, dass die Besucherzahlen im Flieder Volkshaus aufgrund einem mangelnden Sicherheitsgefühl einbrechen könnten. Gleichzeitig war es aus Leon R.’s Sicht schwierig, „vernünftige Leute“ für den Saalschutz im Flieder Volkshaus zu finden, da manch einer zu schnell „zuschlage“ oder es an charakterlicher Eignung fehle („Saalschutz“ bereits thematisiert am 15. Verhandlungstag).

Als geeignet wurden – im Gegensatz zu Eric K. – beispielsweise Kevin N., Nils A. oder Robert S. angesehen. Die Koordination lief dabei über Leon R., der zusammen mit Kevin N. Anfang 2020 auch über Vorkehrungen wie Security-Kleidung nachdachte, um den Besucher:innen ein Sicherheitsgefühl zu vermitteln. Für jenen „Saalschutz“ sei von Leon R. vereinigungsbezogene Kleidung mit der Aufschrift „KO51“ und „Security“ bestellt worden. Dies wurde aus einem Chatverlauf aus März 2020 rekonstruiert, der jedoch nur teilweise von den durch die forensische Datenaufbereitung wiederhergestellt werden konnte.

Patrick Wieschke forderte unter anderem bei einem „Liederabend“ im Flieder Volkskhaus mit dem neonazistischen Liedermacher Marco Bartsch (Sleipnir) am 29. Februar 2020 mehrere „Ordner“ bei Leon R. an, wofür Nils A., Kevin N. und Robert S. eingesetzt werden sollten. Kevin N. musste eine Übernahme des Saalschutzes im Juli 2021 aufgrund seiner Teilnahme an einer Demo der Identitären Bewegung in Wien absagen. Dies bedauerte er ausdrücklich, da „Junkies klatschen immer [geht]“. Noch mehrere weitere Chatverläufe wiesen auf den wiederholten Einsatz dieser Art durch mutmaßliche Knockout51-Mitglieder hin.

Die Verhandlung wird am 30.01.2024 fortgesetzt.