Am Montag, den 28. April 2025, ging die strafrechtliche Aufarbeitung des Knockout 51-Komplexes vor dem Thüringer Oberlandesgericht in Jena in die zweite Runde. Vor dem 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts werden die Anklagen gegen Kevin N. und Marvin W. als zwei weitere mutmaßliche Mitglieder sowie gegen den Eisenacher NPD-Funktionär Patrick Wieschke als mutmaßlichen Unterstützer der Gruppe verhandelt.
Im Publikum befanden sich nicht nur Prozessbeobachter*innen, Angehörige der linken Szene, Journalist*innen und Medienvertreter*innen, sondern auch Unterstützer*innen der Angeklagten. Unter den zum Prozessauftakt angereisten Neonazis: zwei Angeklagte aus dem ersten Jenaer Knockout-Verfahren, Eric K. und Leon R. Sie waren im Juli 2024 vom Oberlandesgericht zwar zu milden Freiheitsstrafen verurteilt worden, sind jedoch auf freiem Fuß. Denn das erste Jenaer Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es befindet sich derzeit in der revisionsrechtlichen Überprüfung durch den Bundesgerichtshof.
Der Verhandlungsbeginn war vom Gericht für 9.30 Uhr angesetzt worden. Bereits eine Stunde zuvor hatte sich eine längere Schlange am Gerichtseingang gebildet. Die Wartenden standen unter ständiger Beobachtung der anwesenden Polizist*innen.
Insgesamt aber war der Andrang bereits am ersten Verhandlungstag geringer, als zu Beginn des ersten Verfahrens in Sachen Knockout 51 im August 2023. Zu Konfrontationen zwischen den politischen Lagern oder anderen Zwischenfällen kam es nicht.
Kurz nach 9.30 Uhr wurden schließlich die in U-Haft sitzendenden Angeklagten W. und N. in Handschellen durch die Justizbediensteten in den Saal geführt. Mit wenigen Minuten startete dann der erste Termin der öffentlichen Hauptverhandlung, die der Senat nach seiner bisherigen Planung zum Ende des Jahres abgeschlossen haben will.
Als Vorsitzender amtiert der Richter am Oberlandesgericht Matthias Blaszczak – ein ebenfalls aus dem ersten Knockout-Verfahren bekanntes Gesicht. Damals war er schon als beisitzender Richter Teil des dort entscheidenden 3. Strafsenats. Der Vorsitzende Blaszczak stellte zunächst die Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten fest.
Die Angeklagten werden von jeweils zwei Rechtsanwälten verteidigt, sodass sich insgesamt neun Männer die Anklagebank teilen. Mit von der Partie sind einmal mehr auch Szeneanwälte. So gehört etwa zur Verteidigung Wieschke der Saarbrücker Rechtsanwalt Peter Richter. Vor dem Bundesverfassungsgericht vertrat er die NPD im zweiten Parteiverbotsverfahren.
Altbekannte Gesichter finden sich schließlich auch auf der Seite der Anklagebehörde, also des Generalbundesanwalts (GBA). Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof Dr. Biehl und Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof Oehme hatten den GBA schon im ersten Prozess während der meisten Verhandlungstage vertreten und auch das Plädoyer gehalten. Nun sind sie von Tag eins an Vertreter der Anklage.
Auf einer Bank mit den Vertretern des GBA sitzt auch die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe Erfurt. Sie ist anwesend, weil Kevin N. zum Tatzeitpunkt einiger angeklagter Handlungen noch minderjährig war. Bei ihm steht jedenfalls in gewissem Umfang die Anwendung des Jugendstrafrechts im Raum. Das Gericht hatte schon Eric K. im ersten Verfahren zu einer Jugendstrafe verurteilt.
Nachdem der Vorsitzende dann die Angaben zur eigenen Person aller drei Angeklagten abgefragt hatte, drehte die Verteidigung Wieschke die erste prozessuale Pirouette auf dem langen – und voraussichtlich häufig auch wieder zähen – Weg zum Urteil. Rechtsanwalt Baitinger stellte einen Abtrennungsantrag für den Angeklagten Wieschke, dem sich sein Kollege Richter anschloss. Baitinger habe nicht genügend Zeit gehabt, um sich in den umfangreichen Prozesstroff einzuarbeiten, so die Argumentation. Weil das Gericht ihn erst Anfang April zum zweiten Pflichtverteidiger von Wieschke bestellte und er auch dann erst Akteneinsicht erhielt, habe er sich nicht ansatzweise ausreichend vorbereiten können. Die Vertreter des GBA traten dem Antrag entgegen und beantragten dessen Ablehnung.
Der Abtrennungsantrag wurde vorerst zurückgestellt, der Senat wird darüber noch zu befinden haben.
Danach verlas Staatsanwalt Oehme den Anklagesatz. Oder besser: Er unternahm den Versuch, denn schon nach wenigen Minuten musste er abbrechen. Die Tonübertragung in den für die Verhandlung eingerichteten Medienarbeitsraum war ausgefallen. Es folgte eine zwanzigminütige Unterbrechung, um das technische Problem zu lösen. Als die Verhandlung fortgesetzt wurde, teilte der Vorsitzende mit, dass diese Lösung darin bestand, dass die einzige im Medienarbeitsraum sitzende Journalistin nun im Verhandlungssaal Platz gefunden hatte.
GBA-Vertreter Oehme begannen von vorn mit der Verlesung der Anklageschrift – zur Sicherheit, um die Öffentlichkeit des Verfahrens in vollem Umfang zu wahren.
Der von der Anklagebehörde präsentierte Sachverhalt teilweise bereits aus dem ersten Knockout-Prozess bekannt. Weitgehend neu dagegen waren die Unterstützungshandlungen, die Wieschke zur Last gelegt werden.
Insgesamt zeichnete die Anklage im Wesentlichen folgendes Bild von Knockout und den drei Angeklagten:
Knockout 51 sei eine rechtsextremistisch ausgerichtete Kampfsportgruppe gewesen, die spätestens im März 2019 vom Angeklagten N. und drei gesondert Verfolgten gegründet worden sei. Das von regelmäßig fünf bis 15 Teilnehmern besuchte Kampfsporttraining habe zweimal wöchentlich in Räumen des Flieder Volkshauses stattgefunden, der Geschäftsstelle von Landes- und Kreisverband sowie Stadtratsfraktion der Partei „Die Heimat“ (vormals NPD). Die Mitglieder und Anfänger hätten der Gruppe einen monatlichen Beitrag zu zahlen gehabt. Die Erprobungszeit bis zur vollwertigen Mitgliedschaft habe ein halbes Jahr bis zwei Jahre gedauert. Für Vollmitglieder sei das Tragen einer einheitlichen Kleidung vorgesehen gewesen, die bei fehlendem Engagement entzogen worden sei. Der Jugendbereich habe aus etwa 15 Personen bestanden.
Insbesondere der gesondert verfolgte R. habe Knockout überregional in die Szene rechtsextremer Kampfsportgruppen eingebunden. Er habe großen Wert auf eine rechtsextreme Haltung gelegt. Die Organisation als Kampfsportgruppe habe der Durchsetzung der Vereinigungszwecke gedient, nämlich der Teilnahme an gewalttätigen Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner und Polizeibeamt*innen. Das Training sei daher mit großer Brutalität geführt worden und habe simulierte Stresssituationen wie Überfälle und Schlägereien enthalten, um im Straßenkampf gegen politisch linksgerichtete Personen bestehen zu können. Zudem hätten Knockout-Mitglieder im Flieder Volkshaus für den Saalschutz zu sorgen gehabt.
Knockout habe beansprucht, Ordnungsmacht im sog. Nazi-Kiez in der Eisenacher Nordstadt zu sein. Dieses Stadtgebiet sei mit Graffiti gekennzeichnet worden und habe von möglichst vielen Mitgliedern bewohnt werden sollen. Linke, Ausländer, Drogenabhängige und Drogendealer seien dort von der Gruppe nicht geduldet und Ziel willkürlicher Gewalt geworden. Bei der Teilnahme an überregionalen Demonstrationen aus dem Lager von Coronaleugnern, Querdenkern und Reichsbürgern sei es in erster Linie um die Ausübung von Gewalt aus einer geschlossenen Gruppe heraus gegangen.
Der Angeklagte N. sei maßgeblich an der Gründung sowie der öffentlichkeitswirksamen Darstellung von Knockout beteiligt gewesen und habe ein Wandbild mit dem Logo der Organisation erstellt. Er sei vielfältig in führender Stellung beteiligt gewesen, habe über eine Zugangsberechtigung für den von Mitgliedern betriebenen Instagram-Kanal verfügt und im Mai 2020 dort ein Foto veröffentlicht. Bei Gruppentreffen zur ideologischen Schulung habe er von Juli 2019 bis Oktober 2020 einschlägige Vorträge gehalten. Dabei sei es ihm darum gegangen, Hass zu verbreiten. Zudem sei er für den Saalschutz verantwortlich gewesen.
Der Angeklagte W. sei von Beginn an tief in die Gruppierung eingebunden gewesen, habe am Training teilgenommen, Kleidung der Vereinigung getragen und sich als Ausdruck seiner Verbundenheit die Zahl „51“ auf die Handaußenflächen tätowieren lassen.
Am 25. Juli 2020 habe der Angeklagte N. mit fünf gesondert Verfolgten an einer von Wieschke angemeldeten Kundgebung in Oberbekleidung mit der Aufschrift „Knockout 51“ teilgenommen.
Am 31. Juli 2020 seien die Angeklagten N. und W. mit vier anderen als Mitglieder von Knockout nach Dortmund gefahren, um für die Partei „Die Rechte“ Plakate aufzuhängen. Nachts seien sie durch die Stadt gefahren und auf gewaltsame Auseinandersetzungen aus gewesen, zu denen es nicht gekommen sei.
Am 29. August 2020 sei der Angeklagte N. in Knockout-Kleidung mit fünf anderen zu Veranstaltungen gegen die Corona-Maßnahmen nach Berlin gefahren, um sich mit Mitgliedern der Dortmunder rechtsextremen Szene zu gewalttätigen Aktionen zu treffen. Der Angeklagte N. und drei weitere Personen seien an einer körperlichen Auseinandersetzung mit der Polizei beteiligt gewesen, bei der einer aus der Gruppe einen Beamten getreten und geschlagen habe. Der Angeklagte N. habe einen Beamten angegriffen und sei in Gewahrsam genommen worden.
Am 26. November 2020 habe der Angeklagte N. mit drei gesondert Verfolgten an einer Veranstaltung des Kampfsportnetzwerkes „Kampf der Nibelungen“ in Magdeburg teilgenommen und sei dort als Kämpfer für Knockout angetreten.
Am 7. November 2020 hätten sich die Angeklagten N. und W. neben zwei weiteren für Knockout an einer Versammlung in Leipzig beteiligt, die sich gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie gerichtet hätten. Ein gesondert Verfolgter habe während des Demonstrationsgeschehens in Richtung der eingesetzten Polizeibeamten eine Flasche geworfen, die zunächst einen Bereitschaftspolizisten getroffen und dann eine andere Person leicht am Kopf verletzt habe.
Am 21. November 2020 sei der Angeklagte N. in einer Gruppe von etwa 50 gewaltbereiten Personen im Leipziger Hauptbahnhof festgehalten worden. Danach seien sie von einer Gruppe aus dem linken Spektrum angegriffen worden, die sie bei einer gewaltsamen Auseinandersetzung in die Flucht geschlagen hätten. Hiervon sei ein Video zu Werbezwecken erstellt worden.
Am 20. März 2021 hätten die Angeklagten N. und W. neben drei anderen Knockout-Mitgliedern in entsprechender Bekleidung an einer Demonstration in Kassel gegen die Corona-Maßnahmen teilgenommen und seien auf Auseinandersetzungen mit der Polizei sowie linken Gegendemonstranten aus gewesen. Als sie eine Gruppe aufgrund roter Fahnen dem linken Spektrum zugeordnet hätten, habe einer von ihnen eine Person aus der anderen Gruppe angegriffen. Später habe der gesondert verfolgte R. jemanden grundlos mit der Faust gegen Hals, Kiefer sowie Kinn geschlagen und neben starken Schmerzen leichte Verletzungen verursacht.
Bis Ende April 2021 habe sich die Ausrichtung von Knockout von einer kriminellen zu einer terroristischen Vereinigung gewandelt. Den Mitgliedern sei seitdem bewusst gewesen, dass es beim Kampf gegen den politischen Gegner aus der linksextremistischen Szene zum Einsatz tödlicher Gewalt kommen könne. Das sei von ihnen aufgrund vorangegangener Anschläge von Linksextremisten auch gewollt gewesen.
Nach Überfallen aus Reihen der linksextremistischen Szene im Oktober und Dezember 2019 sowie im Januar 2021 sei unter den Mitgliedern von Knockout die Einschätzung gereift, solche Angriffe würden unter Billigung tödlich wirkender Gewalt ausgeführt. Für weitere erwartete Angriffe habe daher Konsens bestanden, zur Selbstverteidigung auch Messer, Macheten und Äxte einzusetzen, deren tödliche Wirkung in Kauf genommen worden sei. Nach einer Anschlagserie auf rechtsextreme Gebäudeobjekte im April 2021 hätten die drei Angeklagten und acht gesondert verfolgte Mitglieder von Knockout den Entschluss gefasst, weitere Angriffe der Linksextremisten zu provozieren, um die Angreifer unter dem Deckmantel vermeintlicher Notwehr töten zu können. R. habe darauf hingewiesen, dass unter Berufung auf „Putativnotwehr“ mit höherer Gewalt bei Überfallen reagiert werden und jeder Angehörige der Vereinigung sich mit allen Mitteln zur Wehr setzen müsse. Die Mitglieder seien sich der Überschreitung des Notwehrrechts beim Einsatz von Messern und Pistolen bewusst gewesen.
Die Neuausrichtung habe sich nach außen erstmals bei einem vom Angeklagten Wieschke initiierten Vernetzungstreffen am 8. Mai 2021 gezeigt, durch das Überfalle hätten provoziert werden sollen. Im Nachgang des Treffens habe Wieschke eine Chatgruppe zum Teilen von Informationen zu „Antifaterror“ eingerichtet. Dieser hätten neben auswärtigen Personen der Angeklagte N. und der gesondert verfolgte R. angehört.
Ab Anfang Mai 2021 seien die von Knockout durchgeführten „Kiezstreifen“ intensiviert worden. Diese hätten im Wesentlichen die Angeklagten N. und W. sowie sechs gesondert Verfolgte durchgeführt. Bei einer internen Schulung für Mitglieder hätten der Angeklagte Wieschke und R. Hinweise dazu gegeben, wie man sich bei Überfallen durch Linke zu verhalten habe, und die Bewaffnung im öffentlichen Raum thematisiert. An der Schulung habe der Angeklagte W. teilgenommen. Mitte Juni 2021 habe ein gesondert Verfolgter für Mitglieder von Knockout drei Macheten bestellt. Um die Anwendung tödlich wirkender Gewalt gegen den politischen Gegner umsetzen zu können, habe sich die Gruppierung zudem Schusswaffen beschafft.
Im Frühjahr 2021 habe der gesondert verfolgte R. dazu ein Salutgewehr und eine Schreckschusspistole in Schusswaffen umgebaut, mittels eines 3D-Druckers wesentliche Teile einer – in ihrer Wirkung mit der Maschinenpistole HK-MP5 vergleichbare – „FGC-9“ hergestellt und alle Komponenten für die Herstellung von 300 Schuss Munition, zwei Visiere, einen Rückstoßdämpfer sowie Federn für Magazine bestellt. Bei vier Fahrten von Mitgliedern der Gruppierung zu tschechischen Schießständen, zuletzt im Januar und Juli 2021, sei mit Schusswaffen trainiert worden. Daran habe auch der Angeklagte W. teil- genommen. Im März 2022 hätten zwei gesondert Verfolgte für den Besuch eines polnischen Schießstandes votiert, von dem zuvor berichtet worden sei, dass dort mit vollautomatischen Waffen geschossen werden könne. Ein Video eines solchen Ausfluges zeige, wie ein gesondert Verfolgter mit einer Maschinenpistole schieße, wobei die Zielscheibe digital bearbeitet und durch das Antifa-Symbol ersetzt worden sei.
Unter Führung des Angeklagten N. habe die Gruppierung außenwirksame Maßnahmen getroffen. Nach dem 14. April 2021 habe er Graffiti entworfen mit Texten „Defend Eisenach“, „wir bleiben motiviert“ und „Eisenach ist rechts“. In der Nacht vom 25. auf den 26. September 2021 seien die Angeklagten N. und W. mit zwei gesondert Verfolgten nach Erfurt gefahren in der Erwartung eines unmittelbar bevorstehenden Überfalls, den sie für einen tödlichen Angriff auf die Angreifer hätten nutzen wollen. Der von allen Mitgliedern zumindest gebilligte Plan habe vorgesehen, dass der Angeklagte W. unter dem Deckmantel vermeintlicher Notwehr mit dem Auto in die Gruppe fußläufig angreifender Linksextremisten fahren solle. R. solle sich zunächst in Abstand halten, um sodann mit einer mitgeführten Axt oder Machete mit tödlicher Wirkung auf die Angegriffenen „einzuhacken“. Der Angeklagte N. habe bei Bedarf seine Kontakte in das rechtsextreme Milieu in Erfurt nutzen und Unterstützung anfordern sollen. Zu einem Aufeinandertreffen mit Personen aus dem linksextremen Spektrum sei es aber nicht gekommen.
Nach den Festnahmen vier anderweitig Verfolgter am 6. April 2022 seien die Angeklagten N. und W. weiter fest in die Strukturen von Knockout eingebunden gewesen. Der Angeklagte W. habe sich als Saalschutz betätigt und in dieser Funktion an Veranstaltungen im September 2022 sowie Mai, Juni, August und Oktober 2023 teilgenommen. Ferner habe er sich öffentlich und rückhaltlos mit dem inhaftierten R. solidarisiert, dessen Freilassung gefordert und so zur Festigung des inneren Zusammenhalts der Vereinigung beigetragen.
Der Angeklagte W. habe aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses auf R. Bitte zwischen dem 20. und 21. April 2021 Bohr- und Schweißarbeiten an einem Verschluss durchgeführt, der einen wesentlichen Teil eines halbautomatischen Pistolenkarabiners des Kalibers 9mmx19 „FGC-9“ dargestellt habe. R. sei, wie der Angeklagte W. gewusst habe, im Besitz weiterer wesentlicher und nicht wesentlicher, mittels eines 3D- Druckers hergestellter Teile des „FGC-9“ gewesen, um daraus mindestens eine funktionsfähige Schusswaffe zu fertigen. Der Angeklagte W. sei in das Vorhaben eingeweiht gewesen und habe seine beruflich erworbenen handwerklichen Fähigkeiten sowie sein Werkzeug genutzt, um maßgeblich am Bau der Maschinenpistole mitzuwirken.
Der Angeklagte Wieschke habe den Fortbestand von Knockout in Kenntnis der organisatorischen, personellen, zeitlichen und interessenbezogenen Elemente der Vereinigung mit der Absicht gefördert, der Verwirklichung der Vereinigungsziele Vorschub zu leisten. Das habe er durch folgende Handlungen getan:
Im Zuge der Neuausrichtung der Vereinigung hätten Mitglieder von Knockout das Flieder Volkshaus im April und Mai 2021 auf Veranlassung des Angeklagten Wieschke gegen erwartete linksextremistische Angriffe befestigt. Dazu habe er eine Vorstandssitzung des Flieder Volkshaus-Vereins am 18. April 2021 arrangiert, einen Kostenvoranschlag für eine sodann eingebaute Stahltür eingeholt, Stacheldraht geordert und eine Alarmanlage installieren lassen. Im Hinterhof sei auf seinen Auftrag hin eine erklimmbare Holzwand zusätzlich mit Stacheldraht und Drähten gesichert worden, um die Überlegenheit von Knockout in bewaffneten Auseinandersetzungen sicherzustellen und möglichen Angreifern einen Fluchtweg abzuschneiden.
Auch habe der Angeklagte Wieschke Knockout das Flieder Volkshaus auch nach der Neuausrichtung als Waffenlager zur Verfügung gestellt. Die Vereinigung habe für das Training vorgesehene Gegenstände in einem Abstellraum aufbewahrt, in dem sich am 6. April 2022 Waffen oder als Waffen taugliche Gegenstände befunden hätten, etwa ein Teleskopschlagstock, eine Machete, Eisenstangen mit angeschweißten Haltegriffen, ein Vorschlaghammer, Kunststoffrohre mit Holzkern und Handschlaufen, eine Axt und mehrere Cuttermesser. Der Angeklagte Wieschke habe gewusst, dass die Waffen in erster Linie für gewalttätige Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner vorgesehen gewesen seien, und sie als Schutzbewaffnung bezeichnet.
Der Angeklagte Wieschke habe dem gesondert Verfolgten R. spätestens ab März 2020 für Vereinigungszwecke Zugriff auf den Computer in der Geschäftsstelle der NPD im Flieder Volkshaus gewährt. Ihm sei bekannt gewesen, dass es sich um den leistungsstärksten Computer gehandelt habe, über den die NPD verfügt habe. Mit seiner Kenntnis habe R. darauf eine Software installiert, mit der ein 3D-Drucker im Frühjahr 2021 wesentliche Teile eines halbautomatischen Pistolenkarabiners „FGC-9“ hergestellt habe.
In Umsetzung einer bei einem Vernetzungstreffen des „nationalen Widerstands“ in Eisenach am 8. Mai 2021 getroffenen Vereinbarung habe Wieschke am 15. Mai 2021 die Chatgruppe „Thüringen“ gegründet und als Teilnehmer unter anderem den Angeklagten N., den gesondert Verfolgten R., Eigentümer von Objekten der rechtsextremen Szene und Führungspersonen anderer rechtsextremer Kampfsportgruppen hinzugefügt. Die Chatgruppe, die 208 Nachrichten bis zum 17. Februar 2022 ausgetauscht habe, habe dem Zweck gedient, einen Überblick über die Aktivitäten des politischen Gegners zu erhalten, sich zu koordinieren und Knockout die Möglichkeit zur konzertierten Reaktion zu geben. Der Angeklagte Wieschke habe sich aktiv an den Chats beteiligt.
Bei einer am 12. Juni 2021 im Flieder Volkshaus unter anderem für Mitglieder von Knockout ausgerichteten Schulung habe der Angeklagte Wieschke einen Vortrag zur rechtlichen Bewertung von Waffen im öffentlichen Raum gehalten. Während der Veranstaltung seien Waffen ausgestellt worden. Darunter hätten sich auch die Art von Messer, Axt und Machete befunden, die Knockout bei der Aktion in Erfurt für die tödliche Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner habe zum Einsatz bringen wollen.
Am 21. August 2021 habe der Angeklagte Wieschke dem gesondert verfolgten R. für die „Kiezstreife“ die Information weitergeleitet, dass ein VW Passat mit einem bekannten Leipziger Kennzeichen gesichtet worden sei. Später habe er R. dazu erklärt, es sei ihm darum gegangen, dass Bereitschaft hergestellt werde und R. seine Leute in Rufbereitschaft halten solle.
Nach der Inhaftierung zahlreicher Vereinigungsmitglieder am 6. April 2022 habe der Angeklagte Wieschke die Organisation von Knockout aufrechterhalten und den An- geklagten W. in seiner Nähe wissen wollen. Um zu verhindern, dass dieser ohne die Anbindung an den gesondert verfolgten R. der Vereinigung den Rücken kehre, habe er W. als Hausmeister im Flieder Volkshaus engagiert und ihn in die Organisation der „Jugend“ von Knockout einbinden wollen. Für diese „Jugend“ habe der Angeklagte Wieschke Ende April 2022 ein Treffen organisiert, zu dem auch der Angeklagte N. erschienen sei. Der Angeklagte Wieschke habe bei dem Treffen eine Bestandsaufnahme machen und auf die Absetzung der von ihm als „apolitisch“ angesehenen Führungsperson hinwirken wollen. Zum Ergebnis des Treffens habe er R. geschrieben: „Wir lassen sie [die ‚Jugend‘] weiterhin nicht alleine und wenn ihr wieder da seit werden alle noch vorhanden sein.“ Für weitere Treffen der „Jugend“ habe er das Flieder Volkshaus zur Verfügung gestellt.
Diese Handlungen seien strafbar als Verbrechen und Vergehen
- für den Angeklagten N. wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an dieser sowie wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung als Rädelsführer,
- für den Angeklagten W. wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung sowie mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit der Herstellung und dem Besitz eines wesentlichen Teils von Schusswaffen
- und für den Angeklagten Wieschke wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in sieben Fällen.
Auf die Verlesung des Anklagesatzes reagierte Rechtsanwalt Picker (Verteidigung N.) dann mit einem längeren Statement, in dem er betonte, dass alle vorgetragenen Handlungen zunächst allenfalls einen Tatverdacht begründeten und dass dieser Verdacht in der Hauptverhandlung erst noch zu beweisen sei. Man dürfe sich die Beweisaufnahme keinesfalls leicht machen, sondern müsse gerade deshalb ganz besonders genau hinschauen, weil die Anklageschrift eine Vielzahl „neutraler Handlungen“ enthalte, denen nicht ohne weiteres der vom GBA angenommene Beweiswert zukomme. Vielmehr müsse man die subjektiven Vorstellungen der Angeklagten erforschen, was die schwierigste Aufgabe der Juristerei darstelle. Dabei müsse auch stets der In-dubio-pro-reo-Grundsatz beachtet werden.
Für die Verteidigung seines Mandanten N. kündigte er an, dass man das Verfahren nicht politisch führen wolle, sondern an einer konstruktiven Arbeit interessiert sei.
Ob die Verteidigung N. dem gerecht wird und ob dies auch für die gesamte Verteidigung gilt, wird sich zeigen.
Eine Vorausdeutung dazu machte möglicherweise Rechtsanwalt Richter (Verteidigung Wieschke) mit seiner kurzen wie polemischen Verteidigererklärung auf die Anklage: Wenn er den GBA-Vertreter richtig verstanden habe, dann sei man, wenn man anderen Leuten mit einem Hammer auf den Kopf schlägt, nur kriminell, aber wenn man sich dagegen verteidige, ein Terrorist.
Zum Schluss teilte der Senat auf die Nachfrage der Verteidigung noch mit, dass es möglich sei, sich den Inhalt einer Festplatte mit digitalen Beweismitteln, die der GBA noch zu den Akten gereicht hatte, an einem der kommenden Verhandlungstage auf eine eigene Festplatte aufzuspielen. Auch in diesem Verfahren werden alle Beteiligten wieder große Datenmengen aus Maßnahmen der Telekommunikations- und Fahrzeuginnenraumüberwachung zu bewältigen haben.
Nach gut zweieinhalb Stunden fiel der erste Vorhang im zweiten Jenaer Verfahren zum Knockout-Komplex.