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Knockout 51 - Prozess

9. Verhandlungstag KO51 07.11.2023

Zum 9. Prozesstag begleiteten erneut und erfreulicherweise einige kritische Prozessbeobachter:innen den Prozess gegen die Neonazigruppierung „Knockout-51“ und nahmen über die Hälfte der verfügbaren Plätze des Gerichtssaals ein. Neben der Schwester und der Mutter des Angeklagten Leon R. waren keine weiteren Personen zu Unterstützung der Angeklagten anwesend. 

Geladen waren zu diesem Prozesstag insgesamt fünf Zeug:innen. Vier hiervon waren als Angehörige und ehemalige Angehörige der Polizei geladen. Diese sollten zu zwei sogenannten Querdenken-Demonstrationen befragt werden, die jeweils im November 2020 in Leipzig stattfanden und bei denen es zu gewalttätigen Übergriffen kam. Der erste geladene Zeuge entschuldigte sich wegen einer Prüfungsvorbereitung und konnte nicht vernommen werden. Die drei verbleibenden Polizeikräfte machten Aussagen zu den damals stattgefunden Einsätzen, ohne dass auf übermäßigen Erkenntnisgewinn gehofft werden konnte.

Der vierte Zeuge der insgesamt fünf geladenen Zeug:innen, ein Einwohner der Stadt Eisenach, der zu einem Übergriff im Neonazi-Treff „Flieder Volkshaus“ im März 2022 befragt werden sollte, machte von seinem Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch und machte keine Angaben.

Beweiserhebung und -einordnung durch die Polizei

Bevor der erste Zeuge vernommen werden konnte, stellte der vorsitzende Richter fest, dass ein geladener Zeuge – ein Angehöriger der Polizei – bei der heutigen Verhandlung nicht als Zeuge vernommen werden könne, da er in Prüfungsvorbereitungen stecke und deswegen entschuldigt sei. In diesem Zuge – da auch dieser Beamte mit der Einordnung und Vermerken zu Beweisen betraut war – wurde generell die Frage aufgeworfen, wie das Gericht zukünftig mit der Beweiserhebung fortfährt.

Konkret ging es um die Behandlung und Würdigung von Beweisstücken, die von ermittelnden Polizeikräften zuvor gesichtet und eingeordnet wurden. Im Rahmen dessen hätten diese Beweismittel eine Interpretation seitens der Polizeikräfte erfahren, die jedoch für das zuständige Gericht ohne Belang seien. Originär für die Beweiserhebung und speziell für die Beweiswürdigung zuständig sei das Gericht selbst. Daher würde man sich zukünftig darauf einigen, Beweise im Originalen in das Gerichtsverfahren einzuführen und bei Bedarf die bearbeitenden Polizeikräfte als Zeug:innen zu laden. Bei Letzterem ginge es schließlich darum, Fragen der Erhebung, Auswertung und Verwertung zu erörtern und weniger darum, die polizeiliche Interpretation der Beweise eins zu eins in das Gerichtsverfahren zu übernehmen. Die in Rede stehenden Beweise seien Bilder, Chatprotokolle oder auch Aufnahmen aus TKÜs.

Die anwaltschaftliche Vertretung der Angeklagten Leon R. und Eric K. merken hierbei an, dass allerdings entlastende Beweise dennoch womöglich fehlen würden, da beispielsweise bei zeitintensiven TKÜs und entsprechender Aufnahmen Kürzungen dieser Dateien stattfänden. Dieser Einwand wurde sowohl durch den Vorsitzenden Richter als auch seitens der Bundesanwaltschaft dadurch zügig unterbunden, dass auch die Verteidigung die Möglichkeit besäße, sowohl die Beweise im Originalen als auch die Verschriftlichungen selbst zu bewerten.

Polizist sagt zu Querdenken-Demo und Flaschenwurf aus

Der erste Zeuge, der an diesem Prozesstag vernommen wurde, war ein damaliger Angehöriger der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit der Polizei Schleswig-Holsteins. Diese Kräfte waren für den 07.11.2020 zur Verstärkung und Unterstützung der Polizeikräfte in Sachsen hinzugerufen, die für den Tag bei einer sogenannten Querdenken-Demonstration eingesetzt waren.

Der Zeuge beschrieb die generell aufgeheizte Stimmung vor Ort an dem Tag und gab an, dass die Teilnehmenden der Querdenken-Demonstration Polizeiketten durchbrachen und er schließlich einen Flaschenwurf aus der Menschenmenge wahrgenommen hätte, die zuerst einen hinter ihm stehen „Unbeteiligten“ getroffen und schließlich an ihm abgeprallt sei. Er selbst habe keine Verletzungen erlitten, lediglich der neben ihm stehende „Unbeteiligte“ sei durch die Mio-Mio-Mate Flasche derart am Kopf getroffen, dass er zusammengezuckt sei. Den Geschädigten hätte er zuvor mit einer Kamera das Geschehen begleiten sehen. Nach dem Flaschenwurf habe der Zeuge sowohl den vermeintlichen Geschädigten als auch die Täter:innen nicht mehr ausfindig machen können. Da keine weiteren relevanten Informationen zum Tatgeschehen erfolgen konnten, wurde der Zeuge schließlich ohne weitere Fragen seitens der Bundesanwaltschaft oder der Verteidigung entlassen.

Ehemaliger Kriminalhauptkommissar des Staatsschutzes nimmt Kontakt zum „Unbeteiligten“ und Geschädigten des Flaschenwurfes auf: Boris Reitschuster

Als zweiter Zeuge war ein mittlerweile pensionierter, damals als Kriminalhauptkommissar arbeitender Beamter der Staatsschutzabteilung der Polizeidirektion Leipzig geladen. Dieser gab zum Demonstrationsgeschehen am 07.11.2020 in Leipzig an, dass er selbst nicht mehr sicher sei, ob er auch tatsächlich vor Ort eingesetzt war. Jedenfalls hätte sich ein dynamisches Bild abgezeichnet, welche geprägt von gegenseitigen Beleidigungen und tätlichen Angriffen gewesen wäre. Dies sei eine Situation, die üblich sei, wenn sich Personen unter den Gruppen befänden, „die Gewalt nicht gänzlich abgeneigt wären“. 

Im Nachgang dieser Veranstaltung habe er im Zuge strafrechtlicher Ermittlungen von einem anderen Geschädigten den Hinweis auf ein Video erhalten, in dem ein „Journalist“ berichtet hab, ebenfalls an dem Tag verletzt worden sei. Diese Verletzung sei ihm durch einen Flaschenwurf zugefügt worden. Darüber hätte der „Beobachter“ und „Journalist“ ein Video erstellt und online hochgeladen. Durch den Hinweis des anderen Geschädigten und des öffentlich verfügbaren Videos sei es zu einem Kontakt per E-Mail zwischen dem damaligen Kriminalhauptkommissar und dem mutmaßlich durch den Flaschenwurf Geschädigten gekommen, welcher von dem Kriminalhauptkommissar initiiert wurde. Die E-Mails seien allerdings nicht mehr verfügbar, da sie vom System nicht er gespeichert wären. Auch wäre der Fall von einer anderen Stelle weiterbearbeitet worden.

Sicher ist nach dieser Aussage einzig, dass es sich bei der in Rede stehenden Person um den in rechten, verschwörungstheoretischen Kreisen verkehrenden Populisten Boris Reitschuster handelte. Sowohl dem ehemaligen Beamten der Staatsschutzabteilung wie auch der Bundesanwaltschaft sowie dem Gericht war dieser Umstand nicht einmal der Rede wert und blieb damit unerwähnt. Anschließend wurde der Zeuge aus dem Zeugenstand entlassen. 

Dritter Zeuge macht von Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch 

Der dritte für den Tag geladene Zeuge, ein 41-jähriger Einwohner der Stadt Eisenach, machte von seinem Zeugnis- und Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, da dieser sich aufgrund der damals geltenden Coronaschutzverordnungen selbst möglicherweise einer Straftat bzw. einer Ordnungswidrigkeit bezichtigen müsste.

Der Zeuge war vorgeladen worden, um zu einem Übergriff im Rahmen einer Party im Eisenacher Neonazi-Treff „Flieder Volkshaus“ im März 2022 befragt zu werden. Laut Anklage der GBA waren an diesem Abend Mitglieder von „Knockout-51“, darunter Eric K. für den ‚Saalschutz‘ eingeteilt. Als es zum Streit zwischen zwei Männern kam, soll Eric K. beiden ins Gesicht bzw. auf den Hinterkopf geschlagen haben.

Verstärkter Handschuh und Patrick Wieschke – Polizeizeuge macht Aussage zum 21.11.2020

Der vierte und letzte geladene Zeuge für den Tag wurde als Polizeiangehöriger ebenfalls zu einer sogenannten Querdenken-Demonstration befragt, die am 21.11.2020in Leipzig stattfand. Dieser gab an, aufgrund der Gefahrenprognose durch die bereits am 07.11.2020 stattgefundene Querdenken-Demonstration mit seiner Einheit beauftragt gewesen zu sein, zwei aus Eisenach stammende, sich im Zug nach Leipzig befindliche Gruppen zu kontrollieren. Hinweisen zufolge seien diese an dem 21.11.2020 auf dem Weg zur Demonstration gewesen.

Bei der Kontrolle der ersten Gruppe gegen 13:30 Uhr sei eine Gruppe kontrolliert worden, die circa 36 Personen umfasste und unter denen sich die beiden Angeklagten Leon R. und Bastian Ad. befunden hätten. Bei Letzterem sei schließlich bei der Personendurchsuchung ein Handschuh mit Verstärkung sichergestellt und angezeigt worden, die laut des Zeugen vor allem dazu diene, das Selbstverletzungsrisiko bei einem Schlag zu minimieren.

Die zweite Gruppe, welche mit der Bahn anreiste, setzte sich aus circa 12 Personen zusammen und wurde ebenfalls kontrolliert. Aufgrund der polizeilichen Sicherheits- und Risikoeinschätzung sei ein Ausreiseverbot in das Stadtgebiet Leipzigs ausgesprochen worden, sodass sich diese Personen einzig im und um den Leipziger Hauptbahnhof hätten aufhalten dürfen. Spätestens gegen 17:30 Uhr hätten diese Personen schließlich mit dem Zug Richtung Naumburg den Leipziger Hauptbahnhof verlassen. Auf die Nachfrage des vorsitzenden Richters, ob der Zeuge sich an weitere Namen der zwei Gruppen erinnern könne, sagte dieser aus, dass sich Patrick Wieschke unter den am Leipziger Hauptbahnhof kontrollierten Personen befunden hätte.

Nach der Entlassung des Zeugen wurde abschließend festgestellt, dass bislang alle der bis dato zu vernehmenden Zeugen vom Gericht vernommen wurden und innerhalb der nächsten Prozesstage Beweise und Aufnahmen aus polizeilichen Überwachungs- und Ermittlungsmaßnahmen in das Gerichtsverfahren überführt werden. 

Die Verhandlung wurde damit um 13:16 Uhr beendet.