Mit großer Spannung wurde die Einlassung von Kevin N. erwartet. Ihm wirft der GBA vor, Knockout 51 mitbegründet zu haben und auch als Rädelsführer der mutmaßlich terroristischen Vereinigung agiert zu haben. Als bislang erster Angeklagter der beiden Prozesse hat er sich zu einer umfänglichen Aussage entschlossen.
Seit langer Zeit sind deshalb auch die Reihen des Publikums wieder gut gefüllt. Auch die Mutter eines Angeklagten aus dem ersten Knockout 51-Verfahren verfolgte das Geschehen und nutzte eine Verhandlungspause, um sich mit N.s Verteidiger, Matthias Bauerfeind, auszutauschen.
Abarbeitung der Gliederung
Zunächst stellte N.s Rechtsanwalt Picker hierfür den beabsichtigen technischen Ablauf vor. Er wolle neben dem Angeklagten während dessen Einlassung Platz nehmen. Dieser werde anhand einer mitgebrachten Gliederung selbstständig zu den genannten Punkten Angaben machen. Danach seien auch Fragen aller Verfahrensbeteiligten vorgesehen.
Dann ergriff N. selbst das Wort und bezeichnete sich anfangs als „wortkarger Typ“. Zu seinen persönlichen Verhältnissen verwies er auf die Anklageschrift und teilte mit, dass er das Studium des Bauingenieurwesens nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft fortsetzen wolle. Hierzu könne er auch die Immatrikulationsbescheinigungen vorlegen. Danach folgten wiederum von seinem Anwalt einige rechtlichen Ausführungen bzgl. der Tilgung von N.s Jugendstrafen.
Danach kam er direkt auf seine Sympathie für den FC Rot-Weiß Erfurt zu sprechen, er orientiere sich dabei eher an „patriotische Fans“ und sei folglich der Gruppierung „Jungsturm“ verbunden. In diesem Zusammenhang erwähnte er auch seine Teilnahme an der rechtsextremen Kampfsportveranstaltung „Kampf der Nibelungen“, bei der er auch selbst als Wettkämpfer teilgenommen habe. Er verstehe darunter vorwiegend nur eine „Sportveranstaltung nach üblichen Regeln“.
Gewalt und Politik
Dann entschloss sich N., das Thema „Gewalt“ anzureißen. Zur Darstellung seines vorgegebenen Positionswandels wolle er mit der „Wurzel“ beginnen. Seine Frühphase im politischen Kontext soll als Abgrenzung zu seiner heutigen Haltung dienen. So habe er mit 16 Jahren an einer größeren Demo in Hannover teilnehmen wollen, sei aber durch eine „größere Gruppe schwarz Vermummter“ verprügelt und aus dem Zug geworfen worden. Auch in Gera sei es ihm Rahmen eines „politischen Konzerts“ zu einem ähnlichen Vorfall gekommen.
Aufgrund der beiden geschilderten Erlebnisse in seiner Jugend habe er mangels Reife die Konsequenz gezogen, dass Gegengewalt das richtige Mittel sei. Dies habe zu mehreren „Jugendstrafsünden“ geführt. Als anfängliche Überlegung habe dann die strategische Entscheidung gefolgt, dass dies in eine Sackgasse durch Haftstrafen etc. führe. Später sei er auch politisch von Gewalt nicht mehr überzeugt gewesen.
Zu der persönlichen Läuterung hätte auch ein Vortrag von Martin Sellner über „gewaltfreien Widerstand“ geführt, der ihn nachhaltig inspiriert hätte. Auch durch die Geburt seiner Tochter sei er darin bestärkt worden, dass Gewalt in der Gesellschaft nichts zu suchen hätte. Somit unterstütze er heute „politisch gewaltfreien Aktivismus“, weshalb er sich auch bei „Kontrakultur Erfurt“ hauptsächlich nach seinem Wegzug aus Eisenach engagiert. Die von ihm als „neu-rechte bzw. patriotische Gruppierung“ stehe aus seiner Sicht für eine Form von „Greenpeace-Aktivismus“, also nicht gewalttätige Störaktionen.
Zusammengefasst habe sich seine Gewaltablehnung aus rein strategisch-politischer Gesichtspunkten zu einer persönlichen Überzeugung fortentwickelt.
Funktion von Knockout 51
Im nächsten Gliederungspunkt äußerte sich Kevin N. dann auch erstmals konkret zu Knockout 51 und folgte dabei den bereits bekannten Narrativen, wonach in erster Linie keine politischen Ziele mit der Vereinigung verfolgt worden seien. Vielmehr vereinten alle Trainingsteilnehmer nur das gemeinsames Interesse für den Kampfsport, auch wenn sich einige auch politisch betätigt hätten. Es gäbe auch keine quasi-militärische Struktur, vielmehr gab es eher fließende Entwicklungen durch neue Ideen.
Für ihn sei es auch logisch gewesen, dass er durch seine Erfahrung auch Trainings geleitet habe. Zugang auf den Instagram-Account von Knockout 51 habe er nicht gehabt. Im Zusammenhang mit dem Vorwurf der „Ordnungsmacht“ kam er zunächst auf Überfälle gegen Mitglieder von Knockout 51 zu sprechen, woraus sich die Notwendigkeit von „Selbstschutz“ ergeben hätte. Eine Funktion als „Möchtegern-Polizei“ würde er Knockout 51 nicht zusprechen.
Auch bei dem nächsten Gliederungspunkt thematisierte er das Tragen von Messern und kam dabei wieder auf erlittene Überfälle zu sprechen. Da ihnen dadurch klar geworden sei, dass „immer wieder Leben in Gefahr“ sei, wäre die Bewaffnung „elementar“. Er selbst sei „nicht so kaltblütig, wie es so dargestellt wurde“. Auch andere Aktivitäten wie der „Saalschutz“ oder stattgefunden Vorträge seien aus seiner Sicht völlig üblich bzw. „keine Knockout 51-Geschichte“.
Fragen vom Gericht
Nach seinen anfänglichen Schilderungen zu einzelnen Punkten begann die Befragung des Gerichts. Diese beschränkte sich meist auf die Nennung der Stichpunkte der Anklageschrift, ohne kritische Nachfragen folgen zu lassen. Kevin N. betonte dabei mehrfach, nichts zu anderen Personen aus seinem Umfeld sagen zu wollen. Hinsichtlich des Gründungsakts schilderte er, dass es aus dem Zweck der Gruppenidentifikation normal sei, sich eigene Namen zu geben – mit 16 war er erstmals in Strukturen „locker eingebunden“.
Konkret sprach er über die Organisationen „Antikapitalistisches Kollektiv“ (AKK) sowie „Jugendoffensive Wartburgkreis“. Für ihn waren sie zunächst nur „biertrinkende“ Jugendliche, später unter AKK seien sie „ernster strukturiert“ gewesen. Dies hinge damit zusammen, dass auch die politische Situation aus Sicht von N. ernster wurde. Nicht alle hätten sich aber für das „Politische“ interessiert, sodass auch manche Jugendfreundschaften heute nicht mehr bestehen würden. Entgegen einer Äußerung von Leon R., wonach sie aus „aus anderen Gruppen rausgeworfen [wurden], weil wir Nazis waren“, würde er sich auch selbst nicht als Nationalsozialist ansehen.
Trotz des geäußerten Selbstverständnisses von Knockout 51 als „politische Aktionsgruppierung“ sei das Politische in der Gruppierung nach seinem Geschmack eher zu kurz gekommen. Er machte auch keinen Hehl daraus, dass er ein elitäres Selbstverständnis begrüßte, damit nicht jeder „Dahergelaufene mitmachen kann“. Eisenach bezeichnete er als eine „ostdeutsche Kleinstadt mit Drogenproblemen“, viele würden „Junkies und Versager“ werden. Es sei darum gegangen, dem etwas entgegenzusetzen.
Trainings und Nazikiez
Für ihn sei es auch logisch gewesen, das Training aufgrund stattgefundener Überfälle anzupassen, indem er Parallelen zu „Selbstverteidigungskursen“ zog. Dabei seien auch Laufmuster trainiert worden. Die wöchentliche Trainingsteilnahme sei durch seinen Umzug nach Erfurt schließlich nicht mehr möglich gewesen. „Selbstschutz“ sei auch mit der Thematik „Nazikiez“ verknüpft. So wollten sich die Mitglieder von Knockout 51 selbst schützen, indem sie alle im selben Viertel gewohnt haben. Dies sei auch „subkulturell untermauert“ worden.
Für Kevin N. stellt es keinen Widerspruch da, dass es für ihn „mit Anfang 20 darum [ging], sich einen Ruf aufzubauen“. Denn Migrant:innen oder Linke müssten keine Angst vor ihnen haben, da Attacken ein „bisschen plump“ gewesen seien. Ohnehin würde sich selbst gar nicht als Rassist ansehen. Er sehe zwar kulturelle und ethnische Unterschiede zwischen Menschen, würde aber kein Überlegenheitsdenken befürworten. Nachgefragt, wie dies mit den von ihm erstellten Grafiken über politische Themen vereinbar ist, wurde an dieser Stelle nicht.
Widersprüche zu Gewalt bei Demos
Über die einzelnen Gruppenmitgliedern vorgeworfenen Körperverletzungen hätte er überwiegend erst aus der Anklageschrift erfahren. Auch an Montagsspaziergängen hätte er in Eisenach gar nicht teilgenommen. Die Anklage nahm auch auf eine Sprachnachricht aus dem Mai 2020 Bezug, in dem davon die Rede ist, dass Macht demonstriert werden müssen, damit „der Name in der Stadt nicht vergessen wird“. Diese Überlegungen könne N. nachvollziehen, führte er aus. Denn es sei ein wichtiges Anliegen, „einen Ruf zu haben“.
Bei der überregionalen Corona-Demo in Berlin hätte er sich zurückgehalten, um einen Bewährungswiderruf nicht zu riskieren. Schließlich sei er ja auch von etwaigen Vorwürfen in diesem Zusammenhang vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten freigesprochen worden. Im Hinblick auf eine spätere Corona-Demo in Leipzig gestand N. ein, sich „ungünstig geäußert zu haben“.
Im Nachgang bezeichnete er das Ganze rückblickend als „10/10 für Action, eine der geilsten Demos“. Hierzu führte er weiter aus, dass es zwar seiner persönlichen Taktik entsprach, sich an Gewalttätigkeiten aufgrund der fortdauernden Bewährung nicht zu beteiligen. Angriffe auf ihn seien ihm aber trotzdem „durchaus willkommen“ gewesen. Die Polizei hätte hierbei versucht, den „Spielverderber“ zu spielen.
Verhältnis zu Leon R. und terroristische Vereinigung
Leon R. bezeichnete er im Anschluss als „guten Freund“. Gemeinsam hätten sie auch Urlaub in der Ukraine gemacht, da die politische rechte Szene dort „sehr gesellschaftsfähig“ sei. Dabei hätte er auch überlegt, „Abenteuer zu erleben“, etwa indem er sich der Fremdenlegion anschließe oder in der Ostukraine kämpfe. Diese Pläne hätte er aber dann verworfen.
Schließlich folgten noch Fragen zu der mutmaßlichen Wandlung der Gruppierung zu einer terroristischen Vereinigung. Den Vorwurf bezeichnete N. als „abenteuerlich“. Er verwies darauf, dass es sich damals um eine „stressige Situation“ gehandelt hätte. Äußerungen wie „Die Idioten bringe ich um“ seien daher normal. Auch etwaige Befestigungen bei dem Flieder Volkshaus hätten für ihn nur eine defensive Funktion gehabt. Bei den Schießtrainings in Tschechien sei er auch nicht dabei gewesen.
Nur Fantasien
Nachdem das Gericht seine Befragung abgeschlossen hat, waren nur die Vertreter des Generalbundesanwalts an der Reihe. Auf Nachfrage gab er zunächst an, dass Knockout 51 angefragt worden wäre, ob sie bei dem „Kampf der Nibelungen“ mitwirken wollen, er hätte sich dann für eine Teilnahme bereit erklärt. Außerdem verneinte er, dass für die Security-Tätigkeit im Rahmen des „Saalschutzes“ eigene T-Shirts angefertigt worden wären.
Als Beleg für geplante Gewalt gegen Linke führte Oberstaatsanwalt Biehl dann einen Dialog zwischen N. und Leon R. heran, in dem sie darüber sprachen, einer Person Teleskopschlagstock „in den Arsch [zu] schieben“. N. tat dies als „Quatschfantasien“ und „alterstypisches Gerede“ ab und verwies auf den Namen der „Shitposting“-Gruppe. Ihm sei bewusst, dass die „Grenze des guten Geschmacks überreizt“ seien.
Biehl hielt ihm auch eine andere Konversation aus der Gruppe bzgl. der vorgeschobenen Notwehr vor. Dabei schrieb eine Person: „Axt, psychischer Schaden, Antifas umlegen, § 32 StGB ausreizen“. Eine andere antwortete hierauf „Herzlichen Dank an Notwehrparagrafen und guten Anwalt“. Kevin N. sieht auch hierin einen „humoristischen Sprachgebrauch“. Biehl entgegnete, dass langsam Schluss mit „lustig gemeint“ sei, da auch im Rahmen der Durchsuchungen tatsächlich Äxte aufgefunden wurden.
Schon bei der Befragung des Gerichts hielt N. es für möglich, dass eine Äußerung wie „Wenn jemand liegen bliebt, ist es so“ gefallen ist. Detaillierte Diskussionen über geplante Tötungen hätte es aber nicht gegeben. Von einer Notwehrschulung habe er keine Kenntnis.
Nachfragen zu Erfurt-Fahrt
Auch Thema der Befragung der Bundesanwaltschaft war die „Provokationsfahrt“ nach Erfurt, die als Beleg für eine terroristische Ausrichtung der Gruppierung dienen soll. Bereits bei der Befragung des Gerichts erklärte N., dass Leon R. dort nur eine Person abholen sollte, dann aber befürchtet wurde, dass dies nur als Vorwand für einen Angriff dienen sollte. Auch er sei deshalb informiert worden, da er ohnehin in Erfurt ansässig war.
Nachdem die geplante Abholung der Person in Erfurt doch abgesagt wurde, hätten sie stattdessen eine Rundfahrt gemacht, damit er die „wichtigsten Treffpunkte“ der Stadt zeigen konnte. Dies sei wichtig, um nicht „massiv aufs Maul [zu kriegen]“. Dies würde auch die Fahrt zum AJZ erklären. Biehl hielt dem entgegen, dass sie mehrere Fahrten zu dem AJZ an diesem Abend haben feststellen können, was dieser Erzählung entgegenstünde. Außerdem verwies er auf die Kommunikation der Mitgliede, was passieren solle, wenn eine linke Person dort erschiene.
Kevin N. vermutete nun, dass er bei etwaigen Besprechungen gar nicht mehr im Auto gewesen sei. Biehl kündigte an, weitere Nachfragen hierzu zu stellen, wenn TKÜ-Inhalte hierzu in die Verhandlung eingeführt werden. Staatsanwalt Oehme wollte dann noch wissen, ob auch der umgekehrte Fall einmal bestanden hätte – also, ob Rechtsextreme aus Erfurt um Unterstützung aus Eisenach gebeten hätten. Dies verneinte er, da der Großteil der Mitglieder von „Kontrakultur Erfurt“ der Öffentlichkeit nicht bekannt sei.
Wahrgenommene Rolle von Patrick Wieschke
Als letzter Block folgte dann die Befragung durch die Verteidiger. Rechtsanwalt Richter wollte mit seiner Befragung zeigen, dass Patrick Wieschke ein eher distanziertes Verhältnis zu gewissen Aktivitäten von Knockout 51 hatte. So führte Kevin N. aus, dass er Graffitis als „Jugendspinnereien“ angesehen hätte, da er eher in einem bürgerlichen Milieu verankert sei. Von dem Konzept des „gewaltfreien Widerstands“ sei Wieschke außerdem begeistert gewesen und hätte sich gewünscht, dass N. dieses auch Eisenachern Jugendlichen näherbringen könnte.
So sei Wieschke eher für einen „vernünftigen Aktivismus“ eingetreten, damit kein „Blödsinn“ gemacht werde. Bei gewissen Aktivitäten sei es auch merkwürdig gewesen, Wieschke überhaupt einzuweihen. Ohne ihm zu nahe treten zu wollen, sei er nicht Teil des „Jugendfreundeskreises“ gewesen und auch in der Gruppe „Shitposting“ nicht Mitglied gewesen. Gemeinsame politische Interessen hätten die beiden aber geteilt.
N.s aktuelle Situation
Anschließend folgten noch einige Fragen seines eigenen Anwalts Matthias Bauerfeind, die vor allem die Einschränkungen durch die aktuelle Haftsituation zum Ausdruck bringen sollten. So berichtete N., inwiefern die Haftbedingungen aufgrund des Vorwurfs wegen § 129a StGB verschärft seien. So wäre er von vielen Aktivitäten ausgeschlossen, hätte nur begrenzte Telefon- und Besuchszeiten.
Auch machte er dann noch ergänzende Angaben zu den bereits anfangs erwähnten Erlebnissen mit 16 Jahren. Die rechte Szene Eisenachs beschrieb er noch als „ungewöhnlich groß“ mit fließenden Übergängen zwischen einzelnen Gruppen. Danach folgten noch Fragen seines Anwalts zu „linken Outing-Aktionen“. Hierbei sei etwa die FH oder auch sein Wohnort betroffen gewesen. Auch vermute er, dass die „Herrschaften“ im Publikum versuchen würden, Informationen über ihn abzugreifen.
Auf Nachfrage von Marvin W.s Anwalt Elbs bestätigte Kevin N., dass er zu ihm auch deshalb keine Fragen beantworte, da es sich um eine öffentliche Hauptverhandlung handle. Informationen könnten auch für Outings oder Überfälle verwenden werden. Auf die Frage von Oberstaatsanwalt Biehl, wieso er dann zu Patrick Wieschke Fragen beantwortet hatte, folgte keine schlüssige Antwort.
Nach Beendigung seiner Aussage kündigte Rechtsanwalt Richter an, am nächsten Verhandlungstag eine Erklärung hierzu abgeben zu wollen. Das Gericht will dann auch mit den Fußnoten weiter fortfahren.