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Knockout 51 - Prozess

4. Verhandlungstag KO51 21.09.23

Am 4. Prozesstag haben sich vor dem Gerichtsgebäude schon früh etwa dreißig kritische Prozessbeobachter*innen eingefunden. Vor und in dem Gericht wartete ein Polizeiaufgebot mit etwa zwanzig Polizeifahrzeugen und mehreren Dutzend Polizist*innen. Ebenfalls da waren drei Unterstützer*innen der Angeklagten, darunter die Schwester des Angeklagten Leon R. und ein männlicher Zuschauer mit Tätowierungen rechter Symbole und in szenetypischer Thor-Steinar-Kleidung.

Vor dem Haupteingang des Gebäudes kam es zu einer kleineren Auseinandersetzung. Diese setzte sich vor der zweiten Einlassschleuse vor dem Gerichtssaal fort, als Leon R.s Schwester bei der Personalienkontrolle auffällig über die Schulter in den Personalausweis einer Prozessbeobachter*in schaute. Eine Person, die dies laut kritisierte und die fehlende Fürsorge für den Datenschutz durch die Justizbeamt*innen bemängelte, wurde von Justiz und dazu eilender Polizei beschwichtigt und angewiesen, Abstand zu nehmen und still zu sein.

Video aus dem Unterstützerumfeld

Der heutige Verhandlungstag begann mit einer halben Stunde Verspätung. Als die vier Angeklagten in Handschellen vorgeführt wurden, schien vor allem Eric K. in bester Stimmung zu sein, er grinste und grüßte die Unterstützer*innen im Publikum. Der Vorsitzende Richter Giebel kündigte zunächst an, ein kursierendes Video zu zeigen, das beim letzten Prozesstag und in der Presse Thema gewesen, aber den Prozessbeteiligten und der Öffentlichkeit bisher nicht bekannt sei. Daher wolle das Gericht nun „für maximale Transparenz“ sorgen. Das nur wenige Sekunden lange Video zeigte ein Foto vom Justizzentrum Jena, vor dem einige Unterstützer der Angeklagten posieren. Darüber kündigt ein Text an, die „Brüdas“ im Prozess in Jena zu „supporten“ und es ist die titelgebende Zeile des Songs „F**k den Richter“ (von Sadiq feat. Capo) zu hören. Der Vorsitzende ging auf das Video nicht weiter ein, ebenso wenig wie auf einen Antrag von Rechtsanwalt Wölfel (Verteidiger von Leon R.) bezüglich einer Haftbeschränkung, da dieser nicht unmittelbar die Hauptverhandlung beträfe.

Erster Zeuge – bleibt still, dafür Debatte um Rechtsauslegung des § 55

Inhaltlich sollte am heutigen Verhandlungstag eine weitere Attacke der Gruppe im Mittelpunkt stehen. Dabei geht die Anklagebehörde davon aus, dass Leon R. am 10. Februar 2021 gemeinsam mit Maximilian A. zu der Werner-Aßman-Halle in Eisenach gefahren sei und dort drei jungen Männern teils schwere Verletzungen zugefügt habe.

Einer der mutmaßlich Geschädigten wurde hierzu als erster Zeuge des Tages geladen: ein 23-jähriger Mann mit Glatze, in schwarzem Shirt mit großem Emblem der Marke Alpha Industries. Im Zuge der Zeugenbelehrung wandte Rechtsanwalt Wölfel ein, dass nach seiner Auffassung ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen (§ 55 StPO) einschlägig sei. Nach dieser Vorschrift darf ein Zeuge Auskunft auf solche Fragen verweigern, bei deren Beantwortung er selbst Gefahr laufe, wegen einer Straftat verfolgt zu werden. Deshalb entbrannte eine längere Diskussion zwischen den Verfahrensbeteiligten. Laut den Verteidigern sei der Zeuge auf Bildern der Akte bei Demonstrationsbesuchen zusammen mit Beschuldigten bzw. gesondert Verfolgten zu sehen, ebenso gäbe es Hinweise auf eine Teilnahme an Trainings von „Knockout-51“. Somit bestünde ein Anfangsverdacht gegen den Zeugen, selbst Teil der vorgeworfenen kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) zu sein.

Bereits durch die Aussage, einen der Angeklagten zu kennen, könne sich der Zeuge demnach selbst belasten. Dabei bezieht sich Wölfel auch auf die Anklageschrift, wonach der hier gegenständliche Angriff von „Knockout-51“ vollzogen wurde, „um Ordnungsmacht zu demonstrieren“. Da demnach die Körperverletzungstat im Zusammenhang mit dem Vorwurf der kriminellen Vereinigung stehe, müsse der Zeuge auch hierzu keine Angaben machen, obwohl er selbst Geschädigter sei. Abgesehen davon ergäbe sich aus seinen zwei Aussagen bei der Polizei der Verdacht der Strafvereitelung.
So hätte der Zeuge bei seiner ersten Vernehmung noch von Vermummten gesprochen, die ihn angegriffen hätten.

Der Oberstaatsanwalt wies die Auffassung der Verteidiger insgesamt zurück. Einerseits habe der Zeuge später seine ursprüngliche Aussage über eine Vermummung der Täter revidiert, was einem Rücktritt vom Versuch der Strafvereitelung entspräche. Zudem würde die bloße Teilnahme an Kampfsporttrainings nicht für einen Anfangsverdacht hinsichtlich des § 129 StGB und ein daraus resultierendes Aussageverweigerungsrecht ausreichen („Wir haben auch nicht alle, die jemals an Trainings teilgenommen haben, zu Verdächtigen gemacht“). Nach ihren Ermittlungen hätten bis zu 40 Leuten an den Trainings teilgenommen.

Weiterhin sei der Zeuge zum Zeitpunkt der Tat gar nicht Teil der Gruppe gewesen. Dies zeige sich an der aktenkundigen Begründung für die Tat, wonach die Geschädigten in den Augen der Beschuldigten „Assis waren“. Nach einer Unterbrechung verkündete Giebel die Einschätzung des Senats: Das Aussageverweigerungsrecht greife in diesem Fall zwar recht umfassend, was aber nicht bedeutet, dass der Zeuge gar nicht aussagen muss. Fragen im Zusammenhang mit „Knockout-51“ muss er allerdings nicht beantworten – also auch nicht, ob er die Angeklagten oder „Knockout-51“ kenne bzw. wisse, wer ihn geschlagen hat. Jedoch muss er zumindest darüber Auskunft geben, ob er geschlagen wurde und zu den Folgen dessen – denn als Geschädigter sei eine Selbstbelastung fernliegend.

Es folgte eine letzte Erwiderung der Verteidigung mit der Bitte, dem Zeugen zu verdeutlichen, dass er das Recht habe, einen Zeugenbeistand herbeizuziehen. Ein Verteidiger von Eric K. unterstrich dies mit einer Spitze und behauptete, dass der Zeuge den komplexen Umfang des Aussageverweigerungsrecht nicht „checken“ könne und verwies dabei auf dessen Aussage trotz vermeintlich massiver Alkoholisierung in der polizeilichen Vernehmung – was für Erheiterung auf der Anklagebank sorgte. Der Vorsitzende musste schließlich den Anwalt daran erinnern, dass auch er alle Beteiligten im Saal mit Respekt zu behandeln habe.

Nachdem der Zeuge wieder hineingerufen wurde, erklärte Richter Giebel dem Zeugen den Kontext der geplanten Befragung und sein Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen. Dies gelte auch für den Fall, dass er Sympathien für die mutmaßliche kriminellen Vereinigung hegte oder diese unterstützt habe. Die Befragung ist somit auf die Ereignisse des 10. Februars 2021 beschränkt. Auf Nachfrage des Vorsitzenden bejahte der Zeuge schließlich, einen Zeugenbeistand herbeiziehen zu wollen. Nach einer abermaligen Unterbrechung wurde er vorübergehend entlassen, um zu einem späteren Zeitpunkt erneut geladen zu werden. Zu guter Letzt wies Richter Giebel den Zeugen darauf hin, dann auch ein neutrales T-Shirt anstatt – wie an diesem Prozesstag – eines der Marke Alpha Industries zu tragen. Dies ist vor dem Hintergrund eines Beschlusses des Senats zu sehen, wonach Symbole, die den Anschein einer Zugehörigkeit zur rechtsextremen Szene erwecken, im Gerichtssaal nicht toleriert werden.

Zweiter Zeuge – zum mutmaßlichen Angriff vom 10. Februar 2021

Die erste Stunde des Prozesstages war inzwischen verstrichen. Durch die Befragung eines zweiten Zeugen sollte mehr zum besagten Angriff erfahren werden, was allerdings nur bedingt gelingen sollte. Der Vorsitzende Richter belehrte den Zeugen standardmäßig und fragte die Personalien ab: 21 Jahre, aktuell arbeitslos, wohnhaft in Eisenach. Doch auch diese Vernehmung konnte nicht beginnen, ohne dass ausführlich über den Umfang seines Auskunftsverweigerungsrechts diskutiert wurde. Die Verteidigung sah auch hier die Gefahr einer Selbstbelastung, da der Zeuge nach Aktenlage bereits 2021 an Trainings teilgenommen habe, als das Verfahren gegen mutmaßliche Mitglieder von „Knockout-51“ schon lief. Da der Zeuge zunächst im Gesamtzusammenhang berichten solle, bestünde hier im gleichen Maße das Risiko einer Selbstbelastung. Der Vorsitzende Richter sowie der Oberstaatsanwalt stellten sich dem erwartbar entgegen. Der Zeuge solle konkret zu dem Körperverletzungsdelikt im Februar 2021 aussagen – bei Bedarf könne im Laufe der Vernehmung eine erweiterte Belehrung stattfinden.

Der Zeuge wurde wieder hineingebeten, um nun Angaben über den besagten Vorfall in Eisenach zu machen. Zunächst gab er an, mit ein paar Freunden an der Werner-Aßman-Halle (große Sporthalle in Eisenach) Alkohol konsumiert zu haben, später sei dort auch ein Schaukasten beschädigt worden. Im weiteren Verlauf sei Leon R. auf sie zugekommen, was zu einer „Auseinandersetzung“ mit dem vorherigen Zeugen führte. Dann habe sich die Gruppe um den Zeugen entfernt. Mit Nachfragen entlockte der Richter dem zweiten Zeugen kleinschrittig weitere Informationen. Seine Gruppe hätte sich auf dem Parkplatz bei der Halle befunden. Mithilfe einer Metallstange habe „irgendwer“ das Schaufenster an der Sporthalle beschädigt, was wohl auf den Alkoholkonsum zurückzuführen sei. Von einem Streitgespräch habe er dagegen nichts mitbekommen. Der Zeitpunkt, an dem der Angeklagte Leon R. zur Gruppe stieß, war dem Zeugen nicht mehr präsent. Er hätte keine Erinnerung an eine Auseinandersetzung zwischen R. und seinem Freund und schlichtweg nicht hingesehen. 

Erst als Leon R. auch zu ihm und einem weiteren Begleiter stieß, sei er auf die gesamte Situation aufmerksam geworden. Dabei soll es sich jedoch lediglich um eine verbale Auseinandersetzung gehandelt haben. Dies steht allerdings im Widerspruch zu einer früheren Aussage, die der Richter ihm anschließend vorhielt: In einer Vernehmung vom 06.07.2022 durch BKA-Beamte habe der Zeuge noch ausgesagt, dass sowohl er als auch seine Freunde geschlagen wurden („Die sind gekommen und dann haben sie geschlagen“). Hieran konnte sich der Zeuge zwar nun wieder erinnern, aber wisse davon angeblich nur aufgrund Berichte seiner Freunde. Er selbst sei hingegen weggerannt und habe das weitere Geschehen nicht mehr gesehen. Auf einen weiteren Vorhalt des Richters hin erinnerte er sich zumindest, dass einer seiner Freunde, nachdem er – so seine Aussage im polizeilichen Vernehmungsprotokoll – geschlagen wurde, umgefallen sei. Es seien zwar mehrere Leute auf diesen zugekommen, einen Schlag konnte er hingegen nicht wahrnehmen.

Der Vorsitzende Richter erinnerte den Zeugen daraufhin eindringlich an seine Wahrheitspflicht und fragte „Kann das sein, dass sie Angst haben?“ – woraufhin der Zeuge erwiderte, dass er lediglich keine Lust habe. Richter Giebel betonte zwar sein Verständnis für seine schwierige Situation, aber auch die Zivilcourage, die so eine Aussage verlange, um zur Wahrheitsfindung beizutragen. Die Frage, ob er selbst auch geschlagen wurde, bejahte der Zeuge schließlich doch. Dabei habe ihm Leon R. einen Schlag im Bereich des Kopfes zugefügt. Auch bestätigte der Zeuge nun, dass auch der Dritte aus seiner Gruppe von R. am Kopf verletzt wurde, laut Vernehmungsprotokoll habe dieser „nur eine leichte Faust gegen den Kiefer bekommen.“

Leon R. sei außerdem nicht allein, sondern in Begleitung einer Person am Tatort erschienen, die er zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht gekannt habe. Auf Nachfrage des Vorsitzenden bestätigte der Zeuge, dass die Begleitperson auch im Gerichtssaal anwesend sei, nämlich auf der Anklagebank in der zweiten Reihe, links. Damit meinte er den Angeklagten Maximilian A. Einen Freund hätten sie später noch ins Krankenhaus gebracht. Dieser habe aus Mund oder Nase geblutet und über Kopfschmerzen geklagt.

Auf die Frage, ob er auch mitbekommen habe, dass dort eine Frau „angepöbelt“ und beleidigt worden sei, gab er an, dass er hiervon lediglich von anderen gehört habe. Jedoch vermute er, dass es etwas mit der Frau zu tun habe, dass es zu den Gewalttaten kam. Der Richter hielt ihm daraufhin erneut aus seinem Vernehmungsprotokoll vor: „Es soll ein Schild kaputt gegangen sein. Leons Mutter soll da gewesen sein und angepöbelt worden sein.“ Im Saal versicherte der Zeuge, dass er die Mutter von Leon R. dort nicht gesehen habe, sondern diese Information nur vom Hörensagen kannte.

Der Vorsitzende wirkte aufgrund weiterer Widersprüche zwischen der polizeilichen Vernehmung und dem heutigen Antwortverhalten zunehmend unzufrieden. So beteuerte der Zeuge zunächst, dass es weder gegenüber ihm noch anderen Geschädigten Versuche gegeben habe, ihr Aussageverhalten zu beeinflussen. Im Gegensatz dazu antwortete er in der polizeilichen Vernehmung auf die Frage „Hat Leon R. empfohlen, nicht auszusagen?“ noch, dass R. den anderen beiden Geschädigten geraten habe, „dass sie keine Aussage machen sollen“ und „R. hat gesagt, dass wir bei unserer Version bleiben sollen und nicht sagen sollen, wer der Täter war“. Der Zeuge dementierte nach dem Vorhalt des Vorsitzenden nun, das damals so ausgesagt zu haben. Auch hätte er in der polizeilichen Vernehmung nicht eingestanden, Angst vor dem Angeklagten Leon R. zu haben, sondern vielmehr „Respekt“ gegenüber dem mutmaßlichen Rädelsführer von „Knockout-51“ empfunden. Zudem hätten die Verletzungen durch die besagte Tat bei ihm keine bleibenden Spuren hinterlassen.

Der Oberstaatsanwalt beließ es bei wenigen Nachfragen an den Zeugen, welche schnell beantwortet wurden: Leon R. habe in der besagten Situation direkt vor einem von seinen Freunden gestanden – demjenigen, den R. zuerst geschlagen haben soll. Der Zeuge habe sich mit seinen beiden Freunden im Nachgang über das Verhalten in polizeilichen Vernehmungen unterhalten und die beiden mit Leon R. Auf die Nachfrage, wie der Zeuge auf seine damalige Aussage mit vermummten Männern gekommen sei, antwortete der Zeuge nicht, nachdem der Oberstaatsanwalt ihn auf sein Auskunftsverweigerungsrecht bezüglich dieser Frage hinwies.

Rechtsanwalt Wölfel setzte die Befragung des Zeugen fort und erkundigte sich unter anderem nach der Ausleuchtung des Areals und der Bekleidung seines Freundes. Auf dem Parkplatz befänden sich nur weiter entfernt Laternen, sein Freund habe schwarze Kleidung getragen. In der „Auseinandersetzung“ seien Leon R. und einer der Freunde des Zeugen aufeinander zugegangen. Außerdem schloss der Zeuge aus, dass es sich bei dem Gegenstand, mit dem die Scheibe zerbrochen wurde, um einen Teleskop-Schlagstock gehandelt haben könnte – eher sei es eine Hantelstange gewesen. Der Verteidiger von Maximilian A. schob noch die Frage nach, ob sein Mandant selbst etwas in der Situation gemacht habe, außer hinter Leon R. zu stehen. Dies verneinte der Zeuge.

Dritter Zeuge taucht nicht auf

Nachdem der zweite Zeuge schließlich um 12:10 Uhr unvereidigt entlassen wurde, sollte eigentlich mit einem weiteren Zeugen fortgefahren werden. Dieser blieb aber trotz ordnungsgemäßer Ladung fern, ihm wurde gemäß dem Antrag des Oberstaatsanwalts ein Ordnungsgeld in Höhe von 150€ auferlegt. Schließlich gab noch Rechtsanwalt Hentze (Verteidiger von Maximilian A.) eine Erklärung zu der Vernehmung des zweiten Zeugen ab und betonte, dass gemäß seiner Aussage Maximilian A. keinen aktiven Tatbeitrag geleistet habe. 

Ende des Prozesstags

Am Ende ging es noch um eine Festplatte, die gefunden worden sei. Auf dieser befänden sich Sprachnotizen aus Chatverläufen. Diese sollten den Verfahrensbeteiligten zur Verfügung gestellt werden und am nächsten Prozesstag (28.09.2023) Thema sein – neben weiteren Zeugenvernehmungen. Der heutige Verhandlungstag endete gegen 12.30 Uhr.