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Knockout 51 - Prozess

25. Verhandlungstag KO51 26.02.2024

Zum 25. Verhandlungstag erschienen im Publikum neben etwa zehn kritischen Beobachter:innen, drei Journalist:innen lediglich die Mutter des Angeklagten Leon R. mit einem männlichen Begleiter im selben Alter.

Inhaltlich wurde sich an diesem Verhandlungstag der mutmaßlichen Mitwirkung von Knockout51 an den rechten Ausschreitungen in Chemnitz 2018, an rechten und rassistischen Protesten 2019 und 2020 in Eisenach, an Ausschreitungen bei Coronaprotesten 2020 in Berlin und Leipzig gewidmet. Chats dazu gaben Einblicke in die Gewaltbereitschaft und menschenverachtende Ideologie. Auch ging es um Schulungen und verbesserte Koordination extrem rechter Strukturen sowie das neonazistische Projekt „Junge Revolution“.

Kriminelle oder terroristische Vereinigung – bald Zwischenbilanz

Zu Beginn gab der Senat der Verteidigung die Möglichkeit, Erklärungen abzugeben hinsichtlich der Anträge, die vom Generalbundesanwalt am letzten Verhandlungstag gestellt wurden. Hier beantragte die Bundesanwaltschaft, die Angeklagten nach § 265 StPO darauf hinzuweisen, dass nicht nur die Verurteilung wegen Bildung von bzw. Mitgliedschaft in einer kriminellen, sondern einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB) in Betracht käme.

Die Verteidigung äußerte sich dem gegenüber ablehnend und sah für diesen Hinweis keine Grundlage. Einerseits, so argumentierten die Verteidiger, sei der Beschluss des Bundesgerichtshofs über eine Haftbeschwerde des gesondert Verfolgten Marvin W., in welchem Knockout51 etwa ab April 2021 als terroristische Vereinigung eingestuft wird, nicht bindend für das hiesige Gerichtsverfahren. Auch sah die Verteidigung keine neuen Verdachtsmomente oder Tatsachenänderungen zum Nachteil der Angeklagten gegeben, auch nicht durch die neueste Vernehmung des inhaftierten Patrick Wieschke.

Der vorsitzende Richter Giebel teilte die Sicht des Senats dazu mit. So ginge es der Bundesanwaltschaft nicht nur um die Erteilung eines rechtlichen Hinweises, sondern auch darum, die Haftbefehle der Angeklagten potenziell anzupassen hinsichtlich des Verdachts einer terroristischen Vereinigung. Der Senat kündigte an, bald eine „Zwischenbilanz“ zu ziehen, insbesondere zum Tatverdacht der kriminellen Vereinigung – „was wir bejaht haben“ – oder der terroristischen Vereinigung – „was wir verneint haben“. Da sich die Angeklagten bereits seit etwa zwei Jahren in Untersuchungshaft befinden, stünden Überlegungen zu etwaiger Haftverschonung im Raum, auch abhängig von der Art der mutmaßlichen Vereinigung.

Nachträge

Anschließend folgten Nachträge zum vergangenen Verhandlungstag. Bezüglich der Beteiligung von Leon R. und anderen an Protesten und Ausschreitungen wurde eine Kleine Anfrage an die Thüringer Landesregierung und die Antwort des Thüringer Innenministeriums angesprochen, jedoch nicht eingeführt. Der Vorsitzende kündigte an, dass der Senat Internetquellen, so auch in der Anfrage kein originäres Beweismittel sähe, dies aber prüfen würde.

Weiter regte die Verteidigung von Bastian Ad. an, auch zu einer bereits angesprochenen Demo in Plauen 2016, eine Landtagsanfrage und zugehörige Antwort einzuführen. Der Vorsitzender korrigierte den Verteidiger jedoch, da sich die besagte Anfrage auf eine andere Demonstration beziehe. Außerdem betonte er erneut, dass die Verteidigung konkrete Beweisanträge stellen solle.

Ausschreitungen in Chemnitz 2018

Anschließend ging es weiter im regulären Beweisprogramm. Laut Anklage sei Leon R. mit Mitgliedern von „Nationaler Aufbau Eisenach“ zu den rechten Protesten in Chemnitz Ende August 2018 angereist, die in gewalttätigen Ausschreitungen durch Neonazis mündeten. Auch Lasse R. und Pierre B. von „Adrenalin Braunschweig 381“ seien hier dabei gewesen seien.

Hierzu wurde ein Polizeivermerk zur Versammlungslage in Chemnitz am 26. und 27. August 2018 verlesen. Leon R. leitete am 27. August 2018 per Chat die Anweisungen des Dortmunders Dennis B. alias „Knipser“ zur koordinierten Anreise nach Chemnitz weiter – eine Nachricht mit einer „Planänderung“: „Wir empfehlen Anreise mit dem Zug, da vermutlich Anreisestraßen kontrolliert werden. Der Treffpunkt am Parkplatz […] ist gestrichen.“ Ein neuer Treffpunkt vor dem Bahnhof wurde in der Nachricht kommuniziert und der Aufruf, sich anzuschließen. Im Polizeivermerk wurde rekapituliert, dass Medienberichten zufolge etwa 6000 Menschen an den Versammlungen teilgenommen hätten unter Beteiligung Rechtsextremer. Es sei davon auszugehen, dass Leon R., ein Max Josef M. und der besagte Dennis B. teilgenommen hätten.

Leon R. erklärte gegenüber per Chat gegenüber seiner Mutter Ulrike E., dass Chemnitz aktuell „Kriegsgebiet“ sei. Stunden zuvor forderte Ulrike E. ihren Sohn auf, dass er und seinen Mitreisenden sich von der Demo in Chemnitz zurückzuziehen sollten. Leon R. verneinte dies, bat seine Mutter jedoch, seine Partnerin Ann-Kristin W. zu kontaktieren. Diese habe er in das erste Auto zurück nach Hause gesetzt, denn ihm zufolge bräuchten sie dort „Kämpfer“, man könne keine Frau gebrauchen und dafür einen „Boxer heimschicken“. Ulrike E. äußerte im Chat Sorge, ob Leon R. seine Partnerin „mit Gewalt ins Auto befördert“ hätte, was Leon R. verneinte. Am späten Abend des 27. August berichtete Leon R. seiner Mutter, dass er die Rückreise mit dem gesondert Verfolgten Kevin N. antreten würde, wobei Personen von der NPD einen Mietwagen holen und Menschen einsammeln würde. Leon R. und seine Mutter sprachen noch am Abend die Anreise mit Autos von Eisenach nach Chemnitz für den Folgetag ab. Laut Anklage habe auch Ann-Kristin W. zum Nationalen Aufbau Eisenach gehört.

Rechte Demonstration in Eisenach 2019

Weiter hätten Leon R. und andere mutmaßliche Knockout51-Mitglieder mit ihrer Teilnahme an Demos in Eisenach dafür sorgen wollen, dass die Gruppe nicht in Vergessenheit gerate. Kevin N. äußerte in einem Chat mit Leon R. im Mai 2020 den Vorschlag, bei einem Coronaprotest „bisschen Macht demonstrieren“ zu wollen und mit anderen zusammen in „Knockout-Klamotten mit[zu]demonstrieren“. Leon R. äußerte zwar seine mangelnde Sympathie mit den Protesten, sagte jedoch seine Teilnahme zu, nachdem Kevin N. betonte „es geht nicht um die Inhalte, es geht um Einfluss“.

Weiter beteiligten sich mindestens Leon R., Eric K. und die gesondert Verfolgten Kevin N. und Patrick Wieschke an einem rechten, gegen Antifaschist:innen gerichteten Protest in Eisenach am 19. Dezember 2019 beteiligt. Unter dem Titel „Stoppt die Gewalt! Das Übel an der Wurzel packen!“ zogen sie vor das Linken-Wahlkreisbüro „RosaLuxx“. Hierzu wurde auch ein Foto eingeführt, das online in dem (bereits im Verfahren mehrfach thematisierten) Flickr-Fotoalbum „Skinhead Jugend Eisenach“ und im Original auf dem Mobiltelefon von Leon R. festgestellt wurde. Darauf zu sehen waren NPD-Funktionär Thorsten Heise, Eric K. und Kevin N. an einem Plakat mit dem Text „Rote Sümpfe trockenlegen“.

Per Messenger hatte Leon R. den Aufruf zu der Versammlung zuvor an Thorsten Heise übersendet. In Rücksprache mit Patrick Wieschke habe Leon R. die Grafik erstellt, mit der zur Teilnahme an der Demonstration aufgerufen wurde. Dies wurde mit einem langen Chatverlauf zwischen Wieschke und Leon R. belegt. Weiter hatte Wieschke am Veranstaltungstag von Leon R. zwei Ordner angefragt, welcher dies zusagte.

Rassistischer Protest in Eisenach 2020

Weiter ging es um die Teilnahme und organisatorische Mitwirkung an einer Demonstration „Kriminelle Ausländer raus […]“ durch Leon R., Bastian Ad., Maximilian A., Eric K. sowie Kevin N. und Yves A. am 25. Juli 2020 in Eisenach. Die Neonazis instrumentalisierten eine vermeintliche sexualisierte Gewalttat durch migrantische Personen für ihren rassistischen Protest.

In einem Chatverlauf zwischen Leon R. und Ronny D. wurde deutlich, dass Leon R. den Vorfall als gute Gelegenheit ansah, um Rechte auf die Straße zu kriegen, weshalb er auch überregional mobilisierte, so in Leipzig und Dortmund. Auch zeigten Aussagen der beiden im Chat deren misogyne und verächtliche Haltung gegenüber Frauen und Betroffenen sexualisierter Gewalt. So machten Leon R. und Ronny D. die betroffene Person der mutmaßlichen Vergewaltigung selbst für diese verantwortlich. Laut Leon R. hätte die Person „es verdient“. Jedoch würde er für „jeden Deutschen“ derartigen Protest machen und es käme es „politisch […] uns auf jeden Fall zugute“.

Am Tag der rassistischen Demo in Eisenach schickte Leon R. ein Foto von jenem Protest an Stanley Röske (Führungsfigur von „Combat 18 Deutschland“) welcher seine Begeisterung für die Bildaufnahme kundtat. Auf dem Foto war ein Banner mit der Aufschrift „Importierte Kriminalität stoppen. Remigration jetzt“ zu sehen, daneben Leon R. selbst. Im Polizeivermerk hieß es, dass Patrick Wieschke, der mit der NPD zu dem Protest aufgerufen hatte, versucht habe, die sexuelle Gewalttat „auszuschlachten“. In einem Chatverlauf nach der Demonstration bedauerte Leon R., dass sie von linken Gegendemonstrant:innen keine brauchbaren Fotos machen konnten, da sie von diesen durch Zäune und Polizeifahrzeuge vierzig Meter getrennt gewesen seien.

In einem längeren Chatverlauf im Vorfeld des rassistischen Protests beauftragte Patrick Wieschke Leon R. mit der Erstellung der Grafik für die Demonstration. Im Chat tauschten sie sich auch mit Sprachnachrichten über die aus ihrer Sicht am besten geeigneten rassistischen Slogans dafür aus. Wieschke war wichtig, dass die Grafik über die extrem rechte Szene hinaus Menschen erreichte und „hier geht das gemeine Volk auf die Straße“ vermittelte, denn „Nazis wie du und ich“ kämen ohnehin. Leon R. erwiderte, dass er „keinen Kopf für familienfreundliche Gestaltung“ habe und schickte Wieschke mehrere Entwürfe, bis sie sich einig waren. Wieschke kündigte an, mit Lautsprecheranlage schon vor Beginn der eigenen Demonstration da sein zu wollen, um den feministischen und antirassistischen Protest, den die Antifaschistische Linke Eisenach auf dem Markt in Eisenach organisierte, akustisch zu stören. Schließlich gab Leon R. noch die Information durch, dass Eric K. für den Livestream während der Redebeiträge zur Verfügung stünde und dass das Transparent fertiggestellt sei. Dazu schickte er ein Video von dem Banner, welches auch auf den Demofotos zu sehen war. In einem Chat hatten sich Eric K. und Kevin N. am 21. Juli 2020 zum Anfertigen vom „Transpi“ im Bull’s Eye verabredet.

Die besagten Angeklagten und Beschuldigten trugen bei der Demonstration Knockout51-Kleidung, wie auf Fotos zu erkennen war. So hätten sie laut Anklage auch diese Versammlung zur Selbstdarstellung der Gruppe genutzt. Auch waren offenbar mehrere von ihnen als Ordner auf der Versammlung eingesetzt, was „Ordner“-Armbinden u.a. bei Eric K. und Bastian Ad. auf den Fotos zeigten.

Ausführlicher ging es noch um ein Foto [→ https://www.flickr.com/photos/nicokuhn/50152206166/in/album-72157715235935063/], auf dem der Angeklagte Bastian Ad. in Knockout51-Oberteil mit erhobenen angewinkelten Armen und geballten Fäusten an dem rassistischen Banner posierte, was laut Anklage die bezweckte Machtdemonstration verdeutliche. Laut polizeilichem Vermerk könnte es sich bei dem abgelichteten Oberteil um jenes handeln, das bei der Durchsuchung der Wohnung seiner Partnerin Kristin H. sichergestellt wurde. Rechtsanwalt Urbanczyk, Verteidiger des Angeklagten Eric K., sah Anlass seinem Unverständnis Ausdruck zu verleihen: Die Pose des Angeklagten Bastian Ad. als Ausdruck der Machtdemonstration zu interpretieren, gehöre „zu den absurdesten Unterstellungen der Anklageschrift“. Vielmehr gäbe es im Ruhrgebiet einen Ausdruck für das Gehabe des Angeklagten – „das ist einfach nur Assi.“

Hauptsache Randale“ – Coronaproteste 2020

Weiter ging es dann um die Beteiligung von mutmaßlichen Knockout51-Mitgliedern an Protesten von Coronaleugner:innen und Querdenken-Bewegung – am 29. August 2020 in Berlin sowie am 7. November 2020 in Leipzig.

Per Chat tauschten sich Leon R. und Kevin N. über ihre Positionen zur COVID-19-Pandemie, den staatlichen Infektionsschutzmaßnahmen und den Protesten dagegen aus. So sei es ihnen bei der Teilnahme an den überregionalen Corona-Protestveranstaltungen nicht um Inhalte gegangen sondern um die strategische Nutzung für ihre Ziele. Vielmehr betonte Leon R. sein Verständnis für die Maßnahmen, aber er wolle „Randale machen“ und der Regierung schaden. Kevin N. stimmte dem zu und äußerte ebenfalls krisenhafte Zustände nutzen zu wollen um Ausschreitungen zu „befeuern“ – „Hauptsache Randale“. Leon R. glorifizierte in dem Zuge auch den nationalsozialistischen Staat, in dem seiner Ansicht nach um die Gesundheit gehen würde statt „um Politik und Geld“. Weiter äußerte sich Leon R. menschenverachtend über Menschen mit Behinderungen und mit krankheitsbedingt geschwächtem Immunsystem und stufte deren Leben als „egal“ ein und lediglich als Belastung für das Krankenkassensystem.

In der Chatgruppe „Westthüringen“ mobilisierten Leon R. und Kevin N. zur Demonstration in Berlin am 29. August 2020, aus der Region würden drei Reisebusse fahren. Auch ordnete Leon R. am frühen Morgen des Tages an, zu recherchieren, an welchen Orten eine Eskalation zu erwarten wäre, und kündigte an, die Polizeikräfte „bekommen aber richtig, wenn sie es wagen“. Aus den Chatverläufen des Tages wurde deutlich, dass mindestens Leon R., Bastian Ad., Eric K., Kevin N., Yves A. und Ann-Kristin W. an den Protesten, von dem aus Menschen an diesem Tag versuchten, das Reichstagsgebäude zu stürmen, dabei waren.

Am Nachmittag kommunizierten die Mitglieder in der Chatgruppe, nachdem sie infolge von Maßnahmen der Polizei getrennt und teilweise in Gewahrsam genommen wurden. Auch schickten sie sich Fotos und Beiträgen von antifaschistischen Recherchemedien aus, auf denen Leon R. und weitere in Maßnahmen bzw. in Auseinandersetzungen mit Polizei zu sehen sind. Als Legitimation für die Verletzungen, die sich Yves A. offenbar durch die Auseinandersetzungen zugezogen hatte, fiel die Parole „Alles für Deutschland“ der nationalsozialistischen SA. Auch Leon R. betonte, dass er „immerhin für Deutschland gekämpft“ habe. Verteidiger Wölfel stellte nach Verlesung des Chatverlaufs die These infrage, dass ein Interesse an Eskalation bestanden hätte, sondern es um eine Eskalation vonseiten der Polizei gegangen sei.

Über die Proteste in Berlin äußerte sich Leon R. in einem Telefonat im Nachgang unzufrieden, da trotz hoher Teilnehmerzahl zu wenig passiert und es vielmehr „auf Frieden aus“ gewesen sei. Er berichtete von dem Demonstrationsgeschehen, den Auseinandersetzungen mit der Polizei und seiner Ingewahrsamnahme. Laut Leon R. hätten „Nationalsozialisten mit tausend Mann […] mehr Druck“ gemacht.

In einem Chat mit Kevin N. im Dezember 2020 resümierte Leon R. erneut negativ und formulierte seine Meinung zusammenfassend unter der Überschrift „#sturmaufberlin aus unserer Sicht“. Er kritisierte mangelnden „Kampfgeist“ und äußerte sich abwertend über andere Teilnehmende des Protests als „Dreck“ und wünschte diesen, dass die Polizei beim nächsten Mal ihre Demo „plattmacht“. Leon R. meinte, dass er einen Artikel in diesem Sinne „mal wieder“ für „Revolt NS“ schreiben wolle. Kevin N. meinte, dass er es inhaltlich gut fände.

Organisierte Anreise zu eskalierten Querdenken-Protesten in Leipzig 2020

Weiter ging es um die Beteiligung von mutmaßlichen Knockout51-Mitgliedern an einer Querdenken-Demonstration am 7. November 2020 in Leipzig, welche von der Polizei aufgelöst wurde und von Auseinandersetzungen durch Versammlungsteilnehmende geprägt war.

Eine Chatgruppe wurde hierzu ins Verfahren eingeführt, die der Koordination der Anreise zum Protest gedient habe. Kevin N. hatte die Gruppe wenige Tage zuvor unter dem Namen „Orga Leipzig“ gegründet und später in „Orga Dresden“ umbenannt. Mitglieder der Chatgruppe waren neben den Angeklagten Leon R. und Bastian Ad. mitunter Marvin W., Patrick Wieschke, Yves A., Lauro B., Christian Z., Ronny D. und Ulrike E., Leon R.s Mutter. Zwei Tage vorher rief Kevin N. dazu auf, geschlossen von der Demonstration an- und abzureisen, da auch „Zecken“ bundesweit mobilisieren würden und man keine Gelegenheit für etwaige Angriffe geben solle. Weiter riet er dazu, sich mit Schlauchschals auszustatten und in einheitlicher schwarzer Kleidung zu kommen.

Aus dem Chatverlauf von dem Tag wurde deutlich, dass Leon R. selbst nicht am Protest teilnahm, sondern aus dem Hintergrund Kommunikation übernahm, Kontakt zu Anwält:innen bereithielt und Anweisungen gab, während die anderen Gruppenmitglieder über das Geschehen informierten und damit brüsteten. Ulrike E. gab durch, dass sie sich in der ersten Reihe befänden und es „hochgekocht“ sei, woraufhin Leon R. Anordnungen zur Abwehr von Polizei erteilte. Während der Demo berichtete Kevin N. von „mehreren Scharmützeln mit Bullen in den Seitenstraßen“ und resümierte es später als „eine der geilsten Demos seit Langem“, für die er „für Action 10 Punkte von 10“ vergeben würde. Marvin W. ergänzte, man habe „schön Zecken gejagt“. Leon R. zeigte sich nach den Schilderungen merklich unzufrieden über seine Abwesenheit und beklagte sich auch bei Tom M. aus Dortmund darüber, dass er das Geschehen verpasste.

Der Chatverlauf aus der „Orga Leipzig“ Chatgruppe vom 5. November 2020 verdeutlichte, dass im Vorfeld Abstimmungen zu den Aktionen in Leipzig mit anderen anreisenden Neonazis und deren Strukturen stattfanden. So kündigte Ronny D. an, dass weitere Personen aus Erfurt und dem Raum Rudolstadt anreisen würden, laut Wieschke außerdem „Kameraden aus Nordhausen“. Leon R. regte zur Absprache mit Pierre B. aus Braunschweig an und forderte auf, die „restlichen Gruppen zusammen[zu]führen aus Thüringen“. Kevin N. bestätigte einen gemeinsamen Treffpunkt mit Menschen aus Halle.

Vonseiten der Verteidigung kam die Einschätzung, durch das Beweismaterial hätte sich gezeigt, dass keine Gewalt explizit durch Knockout51 auf jenen Demonstrationen ausgegangen sei. Vielmehr sei es – so der Vergleich des Verteidigers Urbanczyk – wie bei einer „Party mit Drogenszene“, bei der es einen Unterschied mache, ob man selbst Drogen zur Party mitbringt oder ob sowieso schon Drogen da sind und „man macht halt mit“.

Schulungen und bessere Koordination von Neonazistrukuren

Anschließend ging es darum, dass Knockout51 in Konsequenz angestrebt habe, sich besser zu organisieren, Schulungen zu veranstalten und bessere Koordination militanter extrem rechter Gruppen auf Demonstrationen aufzubauen.

So habe Leon R. mit Patrick Wieschke eine „Rechtsschulung“ in Eisenach mit Neonazi und Politiker von „Die Heimat“ (ehem. NPD) Sebastian Schmidtke beworben – laut Anklage, um für Auseinandersetzungen mit Linken auf Demos besonders vorbereitet zu sein. In einem Chat im Februar 2020 stimmten sie als Termin für die Schulung den 4. April 2020 ab, woraufhin Leon R. eine Grafik zur Werbung für die Schulung schickte. Aufgrund der Darstellung eines Polizisten in der Grafik sei laut Ermittler:innen anzunehmen, dass es sich um eine Rechtsschulung mit Bezug zu Polizei handelte.

Auch der gesondert Verfolgte Nils A. kündigte in einem Chat mit einem Nils K. im März 2020 an, dass sie in Eisenach „wieder mehr Schulungen“ machen würden, in Vorbereitung auf Demonstrationen. Hierfür schienen auch negative Demonstrationserfahrungen Anlass zu geben. Die Chatpartner waren sich einig, dass sie sich besser absprechen und vernetzen müssten. Ob Schulungen auch das bessere Erkennen des eigenen politischen Lagers lehren sollten, blieb offen. Nils A. berichtete zumindest davon, dass Leon R. vor kurzem im Demonstrationsgeschehen „von Kameraden auf’s Maul bekommen“ habe, da diese ihn für links hielten.

Zur selben Zeit gab Leon R. in der Chatgruppe „Westthüringen“ bekannt, dass sie in einer Sitzung beschlossen hätten, sich in Eisenach besser organisieren zu wollen, wozu Schulungen, „absolut interne“ Veranstaltungen wie „zum Beispiel Ostara, Sonnenwende“ und koordinierte Fahrten zu Demonstrationen zählen sollten.

Leon R. und Ann-Kristin W. sollen dazu auch eine Art Leitfaden für Neonazis auf Demos ausgearbeitet haben. In den Wohnräumen von Leon R. bei der Durchsuchung am 6. April 2022 ein mehrseitiger gedruckter Flyer mit der Überschrift „Organisiert im Widerstand“ gefunden, der mit handschriftlichen Notizen versehen war. Von jenem Flyer wurden Fotos in Augenschein genommen und verlesen. Es handelte sich dabei um einen Ratgeber, laut Polizeivermerk „für einheitliche Organisation auf Demos“. Nach Vermutung der Ermittlungsbehörden sei dieser von Leon R. und Ann-Kristin W. ausgearbeitet worden, beim Handschriftlichen habe es sich um „augenscheinlich weibliche“ Anmerkungen gehandelt. Eine Veröffentlichung des Schriftstücks konnte laut Polizei nicht festgestellt werden. In dem Flyer wurde mitunter zum Agieren in hierarchisch strukturierten Bezugsgruppen aufgerufen, in welchen bestimmte Rollen zu verteilen seien wie „Wortführer“, „Späher“ und „Versorger“. Weiter wurde auf verschiedene Positionen und Rollen bei Demonstrationen eingegangen, so beispielsweise „Fronttransparent“ oder „Verteidigung von außen“. Weiter wurden Richtlinien zum Umgang mit Polizei und bei „Angriffen von Linksextremen“ formuliert und es würden „militärische Eigenschaften wie Disziplin“ verlangt.

Zusammenbringen in der „Jungen Revolution“

Nach einer kurzen Unterbrechung ging es schließlich noch um die „Junge Revolution“. So erklärte Leon R. in einem überwachten Gespräch in seinem Fahrzeug am 8. November 2020 gegenüber Lauro B., dass er „junge revolutionäre“ Gruppen zusammenbringen wolle. Dies wolle er durch das Projekt „Junge Revolution“ erreichen und über dieses sollte auch die gemeinsame Teilnahme an Demonstrationen koordiniert werden. Auch führte Leon R. die Vision aus, gemeinsam und geschlossen koordiniert mit zweihundert Menschen und mit ebenso vielen Personen aus dem Fußballkontext nach Leipzig fahren zu wollen. Auch hier ging Leon R. auf die Überzeugung hierarchischer Organisierung ein. So brauche man für ein solches Vorhaben „Führungskräfte“, die sagen „wo’s langgeht“ – diese Rolle hätte am Vortag (bei den Protesten in Leipzig) Kevin N. eingenommen.

Bei dem Projekt „Junge Revolution“ handele es sich laut Anklage um ein rechtsextremes Netzwerk, das im Sommer 2019 gegründet worden sei, um junge Menschen für rechte Szene zu gewinnen und um als Medienprojekt in der Szene zur Vernetzung zu fungieren. Dazu wurde eine Auswertung des Bundeskriminalamts von diversen Social Media Accounts vom Netzwerk „Junge Revolution“ und von Personen eingeführt, die dem Netzwerk zugeordneten wurden. Darunter fanden sich verschiedene Kanäle auf dem Messengerdienst Telegram und mehrere Instagram-Accounts. Auch wurden Kanäle von „Junge Revolution“ auf Videoplattformen aufgeführt. Auf einem der Kontos wurde auf eine Spendenmöglichkeit über Paypal verwiesen, um Aktionen wie ein „nationales Zeltlager“ unter dem Label der „Jugendarbeit“ zu finanzieren. Videos seien außerdem über den Kanal von Neonazi Tommy Frenck verbreitet worden. Auch waren die mit dem Netzwerk in Verbindung stehende Accounts „Aktionsgruppe Baden“ und „Nordwürttembergsturm“ Teil der Auswertung sowie Accounts von einem Marc R. und einem Samy K., über welche Werbung für den „Versand der deutschen Jugend“ und Bilder von Veranstaltungen von Junge Revolution verbreitet wurden und unter deren Abonnent:innen sich auch Leon R. befand.

Die Vertreter der Bundesanwaltschaft regten noch an, auch die inhaltlichen Erkenntnisse, die aus der Auswertung gezogen wurden, zu verlesen – so insbesondere hinsichtlich des Spendenaufrufs und der Teilnahme an Demonstrationen. Der Vorsitzende entgegnete, dass er gezielt versucht habe, es darauf zu beschränken, was nach außen sichtbar sei. Jedoch würde er dies erneut prüfen und gegebenenfalls nachreichen.

Abschließend ging es um ein Zeltlager von „Junge Revolution“ im Juli 2020 in der Nähe von Themar. In der Chatgruppe „Westthüringen“ warb Leon R. für dieses „Sportlager“, welches die Teilnehmenden in „Sportlichkeit und Wehrhaftigkeit“ ausbilden solle. Hierbei sollte es neben verschiedenen Kampfsporttrainings und Vorträgen auch Bogenschießen und Speerwurf geben, ein Teilnahmebeitrag von zwanzig Euro sei zu entrichten. Zur Anmeldung wurde eine Kontaktadresse von „Junge Revolution“ angegeben, jedoch äußerte Leon R. im Chat auch die Möglichkeit, sich direkt über ihn anzumelden. An dem Zeltlager hätten vier Mitglieder von Knockout51, darunter Maximilian A., Nils A. und Kevin N., teilgenommen. Leon R. und Kevin N. seien in die Organisation eingebunden. Hierzu wurde ein Chat vom 17. Juli 2020 zwischen den beiden eingeführt, wobei Leon R. von Kevin N. über den Verlauf der Anreise und der Veranstaltung informiert wurde. Letztlich sei die Polizei gekommen, hätte sie kontrolliert und ihnen Zeit gegeben, um die Veranstaltung zu beenden und das Gelände zu räumen. Sowohl Kevin N. als auch Leon R. hätten beide ihre Kontakte in die Kampfsportszene genutzt um Teilnehmer zu gewinnen.